Coaching seit der Antike: Aus Zeiten des Leidens zu Tagen des Glücks

Eine Erinnerung an Hesiod und die Frühgeschichte des beratenden Coaching .
In einem Werbespot während einer Spielpause bekommen wir manchmal den Auftritt von Jürgen Klopp zu sehen und zu hören, mit dem er dafür plädiert, sich im Umgang mit Geldsachen, wie er selbst es tue, der Expertise von Bankern anzuvertrauen. Der erfolgreiche deutsche Coach, der er für seine Leute in Liverpool auf dem grünen Rasen beruflich ist, wirbt für das Coaching auf einem ganz anderen Feld.
In dieser Rolle ist der berühmte Trainer allerdings nur eine Randfigur: Mehr als 8000 vorgebliche Lebensberater und Lebensberaterinnen aller Art sind in Deutschland als Coaches statistisch erfasst und angemeldet, die Zahl wächst mit jedem Tag, und zwar besonders im Bereich der nicht lizensierten, selbst ernannten angeblichen Hilfe. Oft ohne Approbation und entsprechende Ausbildung tut man sich groß mit Ratschlägen für alle Arten von realen oder eingebildeten Malaisen. Die Spanne der finanziell oft weit überzogenen Angebote reicht von der Überwindung psychischer Störungen, von Ängsten, Depressionen, dem Phänomen Burn-out, Konflikten in der Ehe oder mit der Selbstkontrolle bis zu Schwierigkeiten mit der freien Rede und Fragen der Karriereplanung.
Längst sind wir auf dem Weg, ein Land der Hilfsbedürftigen zu werden, verlangend nach Beistand, trügerische Heilung gleich um die Ecke. Motto: Und wem sonst noch nichts gelungen, der dilettiert jetzt mit Beratungen.
Natürlich gibt es auch seriösere Praktiken. Immerhin 580 Millionen Euro hat der Bund im Jahr 2020 für die Branche von 23 000 Unternehmensberatungen und deren Beschäftigten aufgewendet, seit 2008 hat sich die Zahl der Firmen dieser Sparte mehr als verdoppelt. Eingedenk der zunehmenden Komplexität politischer, wirtschaftlicher, auch kultureller Entscheidungen ist und bleibt das in der Mehrheit der Fälle wohl aber nicht zu vermeiden. Auch kann der Nutzen der Expertise durchaus beachtlich sein. Etwa am Beispiel der überzeugend kompetenten und reflektierten Kommentare des während der Corona-Krise zu den Beratern der Regierung gehörenden Virologen Christian Drosten war das eindrücklich zu erleben.
Und so wie vieles, das von lange her gewesen ist, uns noch heute beschäftigt, gibt es auch für den Vorgang der Beratung ein weit zurückliegendes Zeugnis. Es führt in eine andere Welt und in ganz andere Verhältnisse der Menschen, die in ihr gelebt haben. Das Zeugnis ist das eines Dichters, der damit ein Bild vermittelt, das aus der realistischen Schilderung bestimmter Situationen und Umstände Schlüsse nahelegt, denen die Zeitlosigkeit nicht abzusprechen ist.
Hesiod wurde um 700 v. Chr. im griechischen Askra geboren, einer ärmlichen Siedlung in Böotien. Bald nachdem der Vater gestorben war, gerieten seine Söhne Hesiod und Perses in Streit um das Erbe, ein Landgut. Zunächst willigte Perses in eine Teilung ein, versuchte aber dann, dem Bruder seinen Teil mit betrügerischen Mitteln zu entziehen. Die Spannung zwischen beiden veranlasste Hesiod zu dem Werk, das mit Homers „Ilias“ und „Odyssee“ eine der ersten erhaltenen Dichtungen der abendländischen Kultur ist.
Homer führte zurück in die frühgriechische Periode der Kämpfe um Troja, der jüngere Hesiod benutzt Homers Versmaß des Hexameters für seine Ratschläge, die dem törichten Bruder Perses Ermahnungen sind, sich zu einem redlichen, vor allem arbeitsamen Leben als Bauer und zu gerechtem Handeln zu entschließen. Der Klügere der Brüder, zweifellos ein besonnener Mann, hat seinen Texten, die wahrscheinlich als Sprechgesang von ihm selbst vorgetragen wurden, „Werke und Tage“ (im altgriechischen Original „Erga kai Hemerai“) genannt, lateinisch „Erga“, kurz für erga omnes: gerichtet an alle.
Der Titel bringt zum Ausdruck, was Hesiod über die Belehrung des Bruders hinaus leistet: Er entwirft gleichsam den programmatischen Leitfaden für eine Gesellschaft, in der Menschen imstande sind zusammenzuleben, indem sie das Gute vom Bösen zu trennen lernen. So wird etwa klargestellt, dass „Krieg immer ein Rückschritt“ ist und maßloses Machtstreben ein Grundübel, das jede Gemeinschaft gefährdet, dagegen Toleranz und Solidarität das Verhalten bestimmen sollten. Die Schwierigkeiten der Verwirklichung jener von Hesiod vor fast 3000 Jahren entwickelten Vorstellung einer menschenfreundlichen Gesellschaft liegen auf der Hand – Schwierigkeiten, die aktuell bedrängen. Mancher Vorschlag des Griechen liest sich wie nicht nur auf Putin bezogen.
Der italienische Philosoph Machiavelli hat 1513 in seinem Werk „Der Fürst“ (Il Principe), sehr im Gegensatz zu Hesiod, auch nicht in Gedichtform, ein Handbuch für das bedenkenlose Erreichen von Macht verfasst – grundsätzlich sei der Mensch böse, heißt es da, und auf dem Weg zur Herrschaft heilige das Ziel jedes Mittel. Schon zu Beginn des ersten nachchristlichen Jahrhunderts empfahl der Römer Seneca in seinen Briefen an den Neffen Lucilius, wie Hesiod, das Lebensglück auf Vernunft zu gründen – und doch war, wenn auch ohne den Zynismus Machiavellis, die Hoffnung des Stoikers Seneca auf eine Entwicklung der menschlichen Natur hin zum Guten, verglichen mit Hesiods Vertrauen auf die Zukunft, um einiges nüchterner – darum sein Rat für den jungen Adressaten: „Leben heißt kämpfen“ („vivere est militari“).
Von allen Ratgebern mit Weltruhm, hier ausgenommen die Ableitungen Kants, holt Hesiod mit seinen Ratschlägen für den Bruder am weitesten aus. Nach einem Dank an die Musen referiert er relativ knapp die Abfolge der Göttergeburt. Erzählt wird, dass Gaja, die Erdmutter, und Uranos, Gott des Himmels, den Kroniden erschaffen, einen Titan, dessen Sohn ist Zeus, fortan „Vater der Menschen und Götter“. Durch die von Zeus geschaffene Pandora und ihre Missachtung eines Gebots müssen die vordem „frei von Übeln“ lebenden Menschen in Zukunft viele Leiden erdulden, „verderbliche Übel in Unzahl“. Und sie werden dem Schicksal der bis dahin nicht vorhandenen Existenz des Gegensatzes von Gut und Böse ausgesetzt, in der Begrifflichkeit von Hesiod: einer guten und einer schlechten Eris.
Es ist diese Erzählung vom Entstehen der Welt und ihrer Bewohner auf Erden wie im Himmel, mit der Hesiod den Rahmen markiert, der den Menschen von den Göttern für ihre Handlungen unumstößlich vorgegeben ist. Die Eingrenzung ist eng, oft auch willkürlich gesetzt, weil die Gottheiten, ganz nach Menschenart, durchaus auch eigene Interessen verfolgen. Jede Beratung verlangt vom Ratgeber zunächst Aufklärung – über die unumstößlichen äußeren Gegebenheiten und Zusammenhänge, mit welchen der Ratsuchende es zu tun hat. Es ist diese Aufklärung, so märchenhaft sie uns eine Ewigkeit später vorkommt, die Hesiod mit dem Exkurs in die Schöpfungsgeschichte seiner Zeit den folgenden, eigenen Maßgaben vorausschickt.
Im Mittelteil von „Werke und Tage“ geht es dann um dringliche Vorhaltungen des Autors, die seinen Bruder motivieren sollen zu gewissenhafter täglicher Arbeit des Bauern: Nur beständiger Fleiß könne Wohlstand erzeugen und erhalten und damit dem Anspruch der ewigen Götter genügen, die vor jedes Gelingen „den Schweiß gesetzt haben“. Ebenso hoch wie die Arbeit wird die Gerechtigkeit als Voraussetzung für ein gutes Leben in Gemeinschaft bewertet. Hesiod geht bis in die Einzelheit von Freundschaften; nie solle man sie durch eine Kränkung belasten, wenn jedoch der Freund dir wiederholt wehtut, „vergiss es nicht und räche dich doppelt“. Beinah zwanghaft ist für alles Wollen und Tun der Sterblichen das Reglement der Götter. An dieser Einengung kommt kein Verhalten vorbei.
Dass für die Menschen damals die Winterzeit besonderes schwer zu ertragen war, wird deutlich an den Vorschlägen für die dem Wetter angemessene, richtige Kleidung. Die rechte Zeit sei bei allem, nicht zuletzt für das Beschneiden der Weinreben, das Beste.
Irritierend hingegen der Hinweis: „Wer einer Frau traut, der vertraut auch Dieben.“ Karl Marx, bekanntlich ein Bewunderer der Kultur der Antike, hatte keine Bedenken hinsichtlich solcher Ansichten. Urteile, die wir heute fassen, erachtete er sehr zu Recht für nicht übertragbar auf vergangene Epochen, indem nämlich damit der Prozess historischer Veränderungen außer Acht gelassen werde. Im Übrigen hat Hesiod an anderer Stelle seines beratenden Gedichts festgehalten, dass ein Mann nichts Besseres gewinnen könne als eine gute Gattin. Der Leser versteht, mit einem Merksatz von Botho Strauss gesagt („Oniritti“, Hanser 2016), dass „nur das Gedicht hält, was das Leben verspricht“.
Am Ende noch ein Durchlaufen der Tage und Monate, die Glück bringen können oder Unglück, immer nach Bestimmung der Götter. Zitiert sei eine detailliert günstige Aussicht: „Der neunte Tag der Monatsmitte ist gegen Abend hin glücklich, der Neunte am Monatsbeginn ist ganz ohne Leid für die Menschen. Prächtig ist dieser Tag ja zu Zeugung oder Geburt von Mann oder Frau, und niemals bringt er nur Unheil“. Na also.
Hesiod: Werke und Tage, Griechisch/ Deutsch, hrsg. von Otto Schönberger. Philipp Reclam, Stuttgart 1996.