Chatbots in der Literatur: Und die KI schreibt mit

Chatbots und andere intelligente textbasierte Programme könnten die Literatur revolutionieren. Wird es mehr genormte Bücher geben - und wer verfasst die Romane der Zukunft?
Bücher zu schreiben, ist ein toller Beruf – wenn nur die verdammte Schreibblockade nicht wäre. Selbst eine Bestseller-Autorin wie die Berliner Schriftstellerin und Verlegerin Zoë Beck kennt sie, und als wäre die geistige Sperre nicht schon schlimm genug, tickt meist im Hintergrund auch noch die Uhr. Die Deadline naht, der Verlag wartet. Dann muss etwas her, eine Idee, der zündende Einfall - und zwar schnell.
Die Möglichkeit, sich mithilfe von KI-Programmen wie ChatGPT ein kleines bisschen auf die Sprünge helfen zu lassen, etwas „anzupiksen“, wie es Beck nennt, scheint da gar nicht so abwegig. Oder? Aber sollte man, darf man die KI fragen – oder ist das nur der Anfang einer allzu bereitwilligen Abgabe des eigenen Kapitals – der Kreativität - an eine fremde Macht?
Zoë Beck hat es selbst noch nicht ausprobiert, ist für solche „Spielereien“ aber offen, sagt sie. Eine Schreibblockade sei der Zeitpunkt, über die Struktur, die Figuren, den Plot zu reflektieren, und zwar am besten im Gespräch mit einem Gegenüber. „Warum sollte das nicht die Künstliche Intelligenz sein?“
Fakt ist: Die KI ist bei der Generierung von Text schneller als der Mensch, sie kann schon jetzt einigermaßen kohärente Aufsätze schreiben, wie ChatGPT beweist. Und sie lernt extrem schnell hinzu. In der nahen Zukunft wird sie zwangsläufig die professionelle Textproduktion und damit auch die Literaturbranche verändern.
Etwa bei Arbeitsprozessen, in denen Menschen sich Geschichten ausdenken. Oder bei Arbeitsprozessen, in denen mit dem Text von Autorinnen, Autoren gearbeitet, ein Werk überarbeitet wird. Oder auch bei der Vorsortierung; bei der Bewertung und bei der Analyse von Manuskripten. Die Frage ist dabei: Beeinflusst die KI damit die Qualität und die Vielfalt von Literatur? Und sollte man das zulassen?
Online Dossier: Künstliche Intelligenz
Chatbots wie ChatGPT schreiben zwar nur auf Grundlage von Wahrscheinlichkeiten, welches Wort auf ein anderes folgt. Dennoch sind die Ergebnisse beachtlich.
Fachleute sind sich einig: Die Technik, basierend auf künstlicher Intelligenz (KI), wird unser Leben sehr schnell massiv verändern - in der Freizeit genauso wie in der Schule und am Arbeitsplatz.
Die Frankfurter Rundschau beleuchtet das Thema aus verschiedenen Perspektiven in vielen Ressorts - und bündelt ihre Berichterstattung in einem Online-Dossier.
Gesa Schöning hat vor drei Jahren das Unternehmen QualiFiction mitgegründet. Die Firma hat ein erstes KI-gesteuertes Programm für Belletristik entworfen, mit dem Verlage arbeiten können. Bislang tun das eher wenige, die Zahl der kooperierenden Verlage liege im zweistelligen Bereich, es seien hauptsächlich kleinere Publikumsverlage, wie Schöning sagt. Die Software heißt LiSA, und sie kann zum Beispiel dafür eingesetzt werden, Manuskripte zu sichten. Solche, die zu vielen Tausenden unverlangt an Verlage geschickt werden, und die oft ungelesen im Keller landen.

Das Programm „scannt“ ein Manuskript in Sekundenschnelle, es kann nach bestimmten Parametern suchen. Ist zum Beispiel ein Verlag auf der Suche nach einem Roman, in dem eine weibliche Hauptfigur in einem historischen Setting ein Abenteuer erlebt – dann kann das Programm eben solche Stoffe finden. „Es ist eine zusätzliche Chance für Manuskripte, für die Verlagsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter vielleicht keine Zeit haben“, findet Schöning.
Aber das Programm kann noch mehr. Es kann ein Buch nach dessen Potenzial untersuchen. Es durchforstet den Text nach sprachlichen Mustern, nach der Textlänge, der Bekanntheit eines Themas, einem Grundkonflikt, und vielen anderen Kategorien – und vergleicht den Text mit den Durchschnittswerten im jeweiligen Genre und mit „Bestsellern“, also Büchern, die sich besonders gut verkaufen.
Diese und weitere, bisher mehrere zehntausend Bücher wurden in die Datenbasis des Programms eingespeist und ausgewertet. Es sind hauptsächlich Bücher, die in Verlagen publiziert wurden, mit denen QualiFiction zusammenarbeitet, sowie von großen Selfpublishing-Plattformen. Welche das sind und wie groß die Datengrundlage genau ist, bleibt ein Firmengeheimnis.
Die Analyse eines Manuskripts sei vor allen Dingen auch für die Autorinnen und Autoren selbst eine Möglichkeit, ihren Text zu checken und vielleicht noch mal zu überarbeiten, bevor sie ihn einem Verlag einreichten oder selbst veröffentlichten, erklärt Schöning. LiSA sage dabei nicht, ob ein Buch „gut“ oder „schlecht“ sei, es könne aber eine ergänzende Hilfestellung sein. Allerdings prognostiziert die Software auch den möglichen Erfolg eines Buchs, indem sie das „Leserpotenzial“ errechnet und einschätzt, für wie viele Leserinnen und Leser das Buch interessant sein dürfte.
Bisher haben diese Bewertung und Vorsortierung vor allem Literaturagenturen geleistet. Durch die Hände der dienstältesten deutschen Literaturagentin, der Münchnerin Lianne Kolf, sind schon unzählbar viele Manuskripte gegangen. Ist es möglich, dass die KI bald ihren Teil der Arbeit übernehmen könnte? Kolf, die seit 40 Jahren im Literaturgeschäft ist, fällt es trotz langer Erfahrung in der Textarbeit schwer, das abzuschätzen. Wenn sie ein Buch prüfe, dann könne sie sich nach wie vor sehr gut auf ihre Intuition verlassen: „Ich merke innerhalb von fünf Minuten, ob das Buch gut ist oder kompletter Schmarrn.“
Ein Buch müsse einen Sog erzeugen: „Ich muss als Leserin einfach dranbleiben wollen“, sagt Kolf. Es müsse emotional ansprechen, man müsse wissen wollen, wie es der Protagonistin oder dem Protagonisten ergeht, wie sie oder er eine Aufgabe meistert – oder an ihr scheitert. Festgesetzte Parameter aus der Bestsellerforschung, wie sie auch in einem KI-Programm wie LiSA gemessen werden, das seien höchstens Anhaltspunkte. Der direkte, menschliche Eindruck hingegen – das sei etwas, was die KI niemals nachvollziehen könne. „Eine KI kann nun mal nicht mitfühlen. Sie kann nicht weinen“, sagt Kolf.

Zumindest kann sie es bisher nicht, aber das Zeitalter der „Embodied AI“, in der humanoide, mit KI ausgestattete Roboter umherlaufen, ist auch noch nicht angebrochen – falls es überhaupt kommt. Emotionen in Texten könne die KI aber durchaus schon heute erkennen, glaubt Gesa Schöning; zumindest als Wahrscheinlichkeit. Anhand von sprachlichen Abfolgen und des Trainings der Algorithmen könne ihr Programm auch die Stimmung eines Textes analysieren und zum Beispiel auswerten, ob etwas lustig oder traurig ist.
Ein Versuch mit Zoë Becks dystopischem Thriller „Paradise City“ - und tatsächlich macht das Programm bei der Analyse eine „düstere Grundstimmung“ aus. Zugleich schlägt es vor: Das Buch hätte durchaus noch düsterer sein können – und etwas länger. Beck findet ein solches Check-up interessant, wie sie sagt, weil sie beim Schreiben eines Romans selber auf solche Parameter achte; auf die Atmosphäre, das Abwechseln von Spannung und Entspannung, den Rhythmus der Erzählung. Was das Programm ihr an Daten anbiete und vorschlage, könnte vielleicht zum Überlegen anregen - allerdings würde sie das Programm auch erst mal richtig kennenlernen wollen, um es einschätzen zu können. „Was ich am Ende aus den Daten und Vorschlägen mache, ist ja dann meine Entscheidung“, sagt Beck.
Die Sorge, dass eine KI-Analyse dazu verleiten könne, zu sehr nach Formeln zu schreiben, kann Zoë Beck aber auch nachvollziehen: „Das ist natürlich die Gefahr. Aber es ist doch klar, dass wir noch immer Menschen brauchen, die ihre eigene Note und ihren eigenen Verstand mit einbringen. Ich hätte jedenfalls mehr Angst davor, dass sich Menschen komplett auf die Technik verlassen, als vor der Technologie selbst.“
Die Fehlbarkeit von KI in Programmen wie ChatGPT ist derzeit noch ziemlich hoch – auch bei der Prognose des Leserpotenzials von „Paradise City“ lag die KI mit 4000 Leserinnen und Lesern weit von realen Tatsachen entfernt; Becks Roman war immerhin ein „Spiegel“-Bestseller. Dennoch steht die Frage im Raum: Wäre aus Becks Buch mithilfe der KI vielleicht ein noch besseres geworden?
Jenifer Becker forscht an der Universität Hildesheim zum Thema Literatur und KI. Sie findet, dass man bei der Einschätzung, wie sehr KI die Literatur beeinflussen wird, spezifizieren muss: Genre-Literatur etwa, die nach bestimmten Schemata abläuft, und die vor allem auf Variation von bekannten Inhalten abzielt, zum Beispiel Groschenromane, einige Fantasyromane, serielle Romane, Fan-Fiction, könne durchaus mithilfe von Computerprogrammen generiert werden.
Gerade in dieser Sparte gebe es auch schon Beispiele für Koproduktionen von KI und menschlichen Autorinnen und Autoren. Becker spricht bei der Zusammenarbeit von Computerprogramm und Mensch von „kollaborativem Schreiben“, und von einer „Augmented Creativity“, also einer gesteigerten – künstlich-menschlichen - Kreativität.

Eine solche Koproduktion könne zum Beispiel so ablaufen, dass man ein Programm wie ChatGPT frage: „Wollen wir zusammen einen Roman schreiben?“ Die Kommunikation mit der KI könne gerade bei der Ideenfindung und beim Assoziieren nützlich sein, findet Becker.
In einem Projekt hat sie mithilfe einer KI versucht, einen Roman im Stil von Sally Rooney zu schreiben und die KI zunächst Vorschläge zur Erzählprämisse, zum Ort der Handlung und den Charakteristika der Protagonistin machen lassen. Als ein solches Schreib-Werkzeug könnte KI in der Produktion von Literatur durchaus eingesetzt werden: „Es wird vielleicht in Zukunft stärker dahin gehen, dass Autorinnen und Autoren eher eine kuratorische Arbeit machen, und sie sich beim kollaborativen Schreiben auf das Prompting konzentrieren - also auf die Art der Eingabe in das Computersystem, das dann Textmöglichkeiten generiert - und auf das Überarbeiten der Vorschläge.“
Allerdings habe Becker auch die Erfahrung gemacht, dass die Überarbeitung von KI-generierten Texten sehr anstrengend und zeitintensiv sein kann – zumindest zu diesem Zeitpunkt. „Die Frage ist, ob es sich da nicht doch lohnt, die Texte gleich selbst zu schreiben.“
Ob eine KI in absehbarer Zeit einen Roman komplett selbst schreiben kann, der den Ansprüchen der Leserschaft genügt, das könne Becker angesichts der rasanten Entwicklungen nicht voraussagen. Was derzeit bei solchen Versuchen herauskomme, sei jedenfalls teilweise sehr absurd; es würden Figuren einfach vergessen, die Handlungen seien oft weder logisch noch stringent erzählt (was allerdings in der Lyrik nicht unbedingt ein Nachteil sei), und vor allen Dingen die Darstellung von Emotionen und Stimmungen sei sehr rudimentär. Was nicht verwundere: Eine KI besitzt – zumindest noch – nicht die Möglichkeit, körperlich und sinnlich zu lernen und damit auch Emotionen zu erfahren.
Und auch rein technisch gesehen sei das Generieren von langen Texten, etwa ganzen Büchern, noch ein Problem. Allerdings entwickelten sich die Programme enorm schnell. Darauf zu schließen, dass mit einer Fortentwicklung auch der Grad an Originalität zunehme – das ist wohl eher eine philosophische und (neuro-)psychologische Frage: danach, was Kreativität ist.
Eine KI kann immer nur neue Varianten von eingespeisten Daten liefern. Aber wie genau unterscheidet sich das von menschlicher Kreativität? Ist sie nicht letztlich auch nur eine neue Verbindung von Altem - von „eingespeisten“ Erfahrungen, Erlebnissen, Gefühlen? Eine neue neuronale Verknüpfung - für die ein Mensch im Gegensatz zur Maschine auch noch Entspannung und Ruhe braucht? Wäre eine künstliche Kreativität mit der Fortentwicklung der KI vielleicht in Zukunft eine wirkliche, ernstzunehmende Konkurrenz für die menschliche?
„So wird es sein“, sagt die Psychologin und Kreativitätsforscherin Jennifer Haase, die an der Humboldt-Universität Berlin und am Weizenbaum Institut arbeitet. Sie hat gerade mit einem Kollegen ein Experiment zur Erforschung der Kreativität von Künstlicher Intelligenz abgeschlossen. „Grundsätzlich gehen wir für die Bewertung von Kreativität vom Ergebnis her aus: Ist es nach der geltenden wissenschaftlichen Definition von Kreativität ,neu und nützlich‘? Wenn ja, dann muss der Prozess dorthin ein kreativer gewesen sein, und dementsprechend muss der Mensch – oder das System – dahinter auch kreativ sein. Und im Falle der heutigen Chatbots ist das durchaus der Fall.“

Allerdings müsse man Kreativität auf verschiedenen Ebenen betrachten: auf einem alltäglichen und einem darüber hinausgehenden Level. Für ihr Experiment wurden die Ideen von hundert Menschen nach alternativen Einsatzmöglichkeiten von Alltagsgegenständen abgefragt, etwa einem Ball, einer Hose, einer Zahnbürste. Ihre Antworten, die sie innerhalb von drei Minuten geben mussten, wurden dann hinsichtlich ihrer Anzahl und ihrer Originalität bewertet. Sechs Chatbots bekamen dieselbe Aufgabe. Das Fazit: Künstliche Intelligenz kann auf dem Level der Alltagskreativität mittlerweile absolut mit der von Menschen mithalten. Aber: die originellsten Ideen kamen noch immer von Menschen.
Auf einem höheren Niveau, auf dem tatsächliche Innovationen geschaffen werden, sei die KI eben noch nicht angekommen. Wobei es gut sein könne, dass auch dies nur eine Frage der Zeit sei, weil auch „wirklich Innovatives“ im Grunde nur eine andere Verbindung von bereits existierenden Ideen und Fakten sei – auf einem höheren intellektuellen oder fachlichen Niveau.
Was das Erschaffen von Kunst angehe, da spiele aber eine weitere menschliche Fähigkeit eine zentrale Rolle. Kreativität, also das „Neue und Nützliche“ im Sinne der Kunst, sei nämlich gerade der emotionale Output: das Provozieren von Gedanken und Gefühlen beim Publikum. „Und das kann eine KI nicht leisten, weil sie keine Gefühle an sich versteht und damit für einen künstlerischen Prozess nicht einsetzen kann“, meint Haase. Hochentwickelte Chatbots hätten dennoch ein enormes kreatives Potenzial: „Als Tool könnten sie die menschliche Kreativität in heute noch unabsehbare Sphären vorantreiben.“
Beim heutigen Stand der Technik ist die KI der menschlichen Kreativität zumindest auf höherem Niveau und im künstlerischen Kontext also noch hinterher. Würde man sie in der Verlagswelt flächendeckend zur Textbearbeitung und -einschätzung einsetzen – wer weiß, was an Potenzial verlorenginge? „Ich habe Bücher an große Verlage vermittelt – zum Beispiel Iny Lorentz’ ,Wanderhure‘ oder Daniel Specks ,Bella Germania‘ –, die in ihrem Genre ganz neu waren oder eben gar keinem bekannten Muster oder Genre entsprachen“, sagt Lianne Kolf, die Literaturagentin. Wie um alles in der Welt hätte eine KI, die ja immer nur anhand einer ihr eingespeisten Datenbasis vergleichen kann, das erkennen können?
Allerdings, überlegt Kolf, für eine Sache könnten die KI-gestützte Textprogramme dann vielleicht doch hilfreich sein: beim Einschätzen von Manuskripten, die weder überragend gut, noch sehr schlecht seien – und das seien nun mal die meisten. Dort herauszuarbeiten, welche Stärken es gebe, die man noch entwickeln kann – dafür könnte möglicherweise eine KI eines Tages taugen.
In der Verlagsbranche ist man noch zurückhaltend, was den Einsatz von KI angeht. Bei einer kleinen Umfrage der Frankfurter Rundschau gaben große Verlage wie Suhrkamp, C. H. Beck und Kiepenheuer & Witsch an, bei der Sichtung und Überarbeitung von literarischen Texten nicht mit Künstlicher Intelligenz zu arbeiten.
Allerdings sei die Neugier groß, wie es bei Kiepenheuer heißt. Andere Verlage tasten sich schon langsam an eine Arbeit mit der KI heran. „Wir experimentieren mit ChatGPT und überlegen, wo es sinnvoll sein könnte, damit zu arbeiten, im Lektorat etwa, im Korrektorat oder bei der Verschlagwortung von Texten“, sagt Friederike Schilbach, Leitende Lektorin im Aufbau Verlag. „Vielleicht schreibt ChatGPT ja auch bald schon super Klappentexte?“ Es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln.