Anti-asiatischer Rassismus: „Wir sind nicht schwarz genug und nicht weiß genug“

Die Autorin Cathy Park Hong über anti-asiatischen Rassismus in den USA, die Bedeutung der wirtschaftlichen Lage und eine widerständige Verwendung von Sprache.
Frau Park Hong, der Titel Ihres Buches lautet „Minor Feelings“, unbedeutende Gefühle (dt. Titel „Störgefühle“). Sie beschreiben, wie Sie Ihre Wahrnehmung von Rassismus zuerst nicht wichtig fanden, dann aber doch dieses Buch schrieben. Fanden Sie, dass endlich auch über den Rassismus gegen asiatische Menschen in den USA gesprochen werden sollte, dass es doch kein unbedeutendes Thema ist?
„Minor Feelings“ handelt zwar vom Rassismus in Amerika, aber ich glaube, die Fragen, über die ich schreibe, sind ziemlich universal. Sie handeln vom Menschsein, vom Verantwortlichsein, von Entfremdung und Einsamkeit, davon, was es bedeutet, Asian-American zu sein, aber auch von Amerika selbst. Es gab mehrere Gründe für mein Buch. Aber der entscheidende Moment war vielleicht, dass ich Mutter wurde, dass mich das an meine eigene Kindheit denken ließ. Ich dachte darüber nach, wie sehr die Dinge sich in der Gesellschaft verändert haben für asiatisch-amerikanische Menschen. Und ich wollte, dass meine Tochter einen besseren Platz im Leben findet, dass sie zuversichtlicher sein kann. Ich fühlte mich auch als Autorin verantwortlich, das Bewusstsein in der amerikanischen Gesellschaft zu verändern. Aber Ideen zu diesem Buch gärten schon sehr lange in mir.
Waren asiatische Menschen bisher zu leise? In Deutschland hat man immer nur von Black Lives Matter gehört.
Ich weiß nicht, ob Asiaten zu leise sind. Ich glaube, das hat mit den Mustern der Einwanderung zu tun, auch damit, über was in den Medien berichtet wird. Es gibt eine lange Geschichte von asiatisch-amerikanischem Aktivismus, zum Beispiel von Filipinos, die zusammen mit Latinos für mehr Arbeitnehmerrechte kämpften, von asiatisch-amerikanischen Menschen, die sich schon in den 60ern mit dem Black Power Movement verbündeten. Oder nehmen Sie all den Aktivismus, der nach 9/11 entstand, von muslimischen Asian-Americans – man hört jedoch darüber nicht sehr viel. Sehr viele asiatische Immigranten kamen auch erst in jüngster Zeit in die USA. Asiaten lebten zwar seit dem 18. Jahrhundert in den USA, aber es kamen viel mehr Asiaten nach dem Einwanderungsgesetz von 1965. Und wenn Sie gerade erst eingewandert, wenn Sie neu im Land sind, werden Sie eher nicht protestieren. Sie werden damit beschäftigt sein, sich ein- und anzupassen. Ja, sie waren also insgesamt stiller, aber es hatte mit der späten Immigration zu tun. Und gerade in den letzten Jahren gab es eine Menge Aktivismus von seiten der Asian-Americans, auch wegen dem Hass gegen sie, und man verbündete sich mit Black Lives Matter.
Verändern sich die Dinge dadurch? Oder weil Donald Trump, Schürer des Hasses, nicht mehr Präsident ist?
Schwer zu sagen. Aber der asiatisch-amerikanische Aktivismus ist, obwohl wir auch mit der Pandemie zu tun hatten, definitiv stärker geworden, das Nachdenken darüber, an welcher Stelle Asiaten in den USA in die Rassen-Gleichung passen. Ein Fortschritt während der Wahlen von 2020 war, dass Asian-Americans in höherer Zahl zur Wahl gingen als irgendwer sonst. Auch stimmten mehr junge Asian-Americans für Blau (Farbe der US-Demokraten, d. Red.), um Trump loszuwerden. Es wurden außerdem mehr progressive Asian-Americans in Ämter gewählt, eine Veränderung, die nicht nur ihnen nutzt, sondern auch African-Americans und Geringverdienern. Aber es gibt immer noch viele irrige Vorstellungen über Asian-Americans, immer noch viele Verbrechen aus Hass, das verschwindet nicht einfach. Es braucht eine lange Zeit, es braucht eine Menge Anstrengung von seiten des Staates, um soziale Gerechtigkeit zu schaffen, Diskriminierung zu beenden für alle.
Kommt bei asiatischen Frauen zum Rassismus, den sie erfahren, noch eine gute Portion Sexismus?
Sie können den Sexismus nicht vom Rassismus trennen, Rasse und Geschlecht, das lässt sich nicht trennen. Weiße Männer denken, dass eine asiatische Frau sanftmütig ist, feminin, still, und auch wenn sie sich von diesen Frauen angezogen fühlen, geht es immer um Rasse. Alles hat mit Rasse und auch mit Kolonialismus zu tun. Denken Sie an die „Massagesalons“ während der militärischen US-Besatzung der Philippinen, Koreas, Japans. In den Camps der weißen Soldaten gab es Frauen, gab es Prostitution, „Massagesalons“, in denen sexuelle Dienste geleistet werden mussten. Alles ist miteinander verbunden.

Heute sehen Sie Asiaten und Asiatinnen in den USA in einer Situation, in der sie „nicht weiß genug“ und „nicht schwarz genug“ sind, wie Sie schreiben.
Ich glaube, wir müssen aufhören, binär zu denken. Rassismus gibt es nicht nur zwischen Schwarz und Weiß. Es ist viel komplizierter. Ja, Asiaten sind nicht schwarz genug oder weiß genug, aber es gibt Asiaten, die wegen ihres Bildungsstandes und ihres ökonomischen Status als weiß wahrgenommen werden, und es gibt Asian-Americans, die sich sogar in einer schwierigeren Lage als schwarze mittelständische Amerikaner befinden, weil sie Flüchtlinge sind, weil sie in Armut leben. Über diese Asian-Americans sprechen wir nicht, stattdessen über die ehrgeizigen, hocherfolgreichen Asian-Americans.
Sie sind auch Lyrikerin. In Ihrem Buch schreiben Sie, Ihr schlechtes Englisch habe Ihnen geholfen, Ihre eigene Sprache zu finden. Können Sie erklären, wie Sie das meinen?
Ich spreche davon, dass ich aufgewachsen bin mit Koreanisch und Englisch, dass das für mich als Lyrikerin ein richtiger Gewinn war. Als ich aufgewachsen bin, habe ich mich geschämt, geärgert, dass ich koreanisch sprechen musste. Aber als ich dann anfing, Gedichte zu schreiben, hat es mir einen neuen Zugang zum Englischen verschafft. Es hat mir geholfen, auf eine sehr neue Art über Sprache nachzudenken. Kennen Sie den Lyriker Paul Celan? Er war eine große Inspiration für mich, er schrieb deutsch, war rumänisch, jüdisch. Obwohl er seine Gedichte in deutscher Sprache schrieb, hat er die Sprache auch auseinandergebrochen, auseinandergerissen, weil es für ihn war, als ob er in der Sprache seines Feindes schriebe. Es ist, als ob Sie in der vorherrschenden Sprache schreiben, aber die vorherrschende Sprache ist verantwortlich dafür, dass sie sich einverleibt, was Sie selbst in erster Linie sind. Wenn ich versuche, schlechtes Englisch zu schreiben, versuche ich, die englische Sprache aufzubrechen, eine Art Musik zu finden.
Sie beklagen, dass asiatisch-amerikanische Autoren und Autorinnen früher selbst oft Stereotype bedient haben.
Es gab große Unterschiede, aber sicherlich auch Druck, gefällig zu schreiben, es weißen Lesern recht zu machen, die Erwartungen zu erfüllen, die man an Asian-Americans und ihre Geschichten hatte. Das war die einzige Möglichkeit, veröffentlicht zu werden. Asian-Americans sind heute aber sehr bedürftig nach authentischen Geschichten. Was dieses Gefühl der Authentizität bedeutet, hängt natürlich auch davon ab, wer dieser Asian-American jeweils ist. Aber es gab früher entweder keine Geschichten über Asian-Americans oder es waren Geschichten, die den Geschmack der weißen Amerikaner bedienten. So dass Asian-Americans wirklich hungrig sind nach Geschichten. „Minor Feelings“ hat auf diesen Hunger reagiert. Und meinem Eindruck nach wurde inzwischen vielfältig auf diesen Hunger reagiert. Ich weiß nicht, ob das schon ein Fortschritt ist, aber wo es in den letzten Jahren wirklich Fortschritt gab, das ist, dass viele asiatisch-amerikanische Schriftsteller, Filmemacher, bildende Künstler richtig brillante, innovative Dinge schufen. Sie schielen nicht mehr auf das Massenpublikum.
Zur Person:
Cathy Park Hong , geboren 1976 in Los Angeles als Tochter koreanischer Immigranten, ist Autorin und Lyrikerin. An der Rutgers University in Newark unterrichtet sie Lyrik, sie ist außerdem Herausgeberin des Lyrik-Teils der Zeitschrift „The New Republic“. Als eine der hundert einflussreichsten Persönlichkeiten des Jahres 2021 führte sie das „Time Magazine“.
Ihr Buch „Minor Feelings“, dt. „Störgefühle“, Essays über ihr Aufwachsen als Asian-American und über anti-asiatischen Rassismus in den USA, wurde vielfach beachtet und ausgezeichnet.
„Störgefühle. Über anti-asiatischen Rassismus“. Aus dem Engl. von Eva Kemper. Aufbau Verlag, Berlin 2022. 222 Seiten, 22 Euro.
In Deutschland haben Diskussionen darüber begonnen, wer wen übersetzen darf, wer wen im Film darstellen darf. Sind Sie der Meinung, dass zum Beispiel nur eine Deutsch-Asiatin eine US-Asiatin übersetzen sollte?
Dazu habe ich keine feste Meinung. Ein ähnlicher Hintergrund wird Ihnen sicherlich ein besseres Verständnis der Wörter ermöglichen, die Sie übersetzen sollen. Deswegen verstehe ich, warum dies ermutigt wird. Aber ich denke nicht, dass es dazu irgendwelche Regeln geben sollte. Denn das Übersetzen hat auch mit Ihrem Ohr für Sprache zu tun, mit Musikalität, mit Ihrem kreativen Talent. Ich kenne weiße amerikanische Übersetzer, die koreanische Lyrik übersetzt und es sehr gut gemacht haben.
Die Diskussion dreht sich auch um kulturelle Aneignung ... ist das in den USA ein Thema?
Ja. Die Diskussion dreht sich weniger ums Übersetzen als darum, wer das Recht hat, eine bestimmte Art von Geschichte zu erzählen. Kann ein weißer Autor eine Geschichte aus schwarzer Sicht erzählen oder was kann ein Musiker verwenden. Besonders betroffen ist Literatur und sind Romane für junge Erwachsene. Ich finde diese Diskussion schränkt sehr ein. Es ist wichtig, dass mehr People of Color ihre Geschichte erzählen, denn in der Vergangenheit waren es vor allem weiße männliche Autoren, es gab keinen Platz für Schriftsteller anderer Hautfarbe. Es geht in dieser Diskussion auch um das Hamstern kultureller Zeichen und Traditionen, um ein kolonialistisches Vorhaben. Aber ich bin der Meinung, es sollte erlaubt sein, außerhalb seiner Rassen-Identität zu schreiben. Wir leben in komplizierten Welten, in diversen Welten, ich möchte nicht nur mit anderen US-Koreanern in Dialog treten, oder nur über ihre Identität schreiben. Das scheint mir unmöglich. Ich denke, es sollte nicht darum gehen: Du darfst nicht über dies schreiben, du darfst nicht über das schreiben. Es muss mehr darum gehen, wie man über den Anderen auf eine Weise schreibt, die respektvoll und verantwortungsvoll ist.
Sie haben zu Anfang von Ihrer Tochter gesprochen. Wird sie in einem anderen Amerika leben?
Sie ist sieben Jahre alt, lebt in Brooklyn, sie ist hier glücklich. In der Schule, auf die sie geht, kümmert man sich sehr um Einbindung, unterrichtet Black History, lehrt andere Kulturen. Sie ist sehr stolz darauf, dass sie zur Hälfte asiatisch ist, sie identifiziert sich als asiatisch. Es gibt inzwischen auch diverse Kinofilme, TV-Shows, das ist Fortschritt, das ist eine große Veränderung. Aber es gibt auch Sorgen. In Amerika mag die Repräsentation zwar besser werden, aber es gibt immer noch viel strukturelle Ungleichverteilung von Vermögen. Und dann ist da der Klimawandel. Und Amerika ist nun das, was man eine „sliding democracy“ nennt, eine abrutschende Demokratie.

Nehmen Sie die USA als immer stärker gespaltene Nation wahr?
Ja, sehr gespalten. Mehr als je zuvor. Das hat definitiv mit der GOP zu tun (Grand Old Party, Republikanische Partei, d. Red.) und mit der wirtschaftlichen Lage. Mit dem Internet und den sozialen Medien.
Sind Angriffe in den sozialen Medien ein Problem für Sie?
Ich habe das früher viel mehr genutzt, so wie das Autoren machen, die bekannt werden wollen. Jetzt nutze ich es, um Mediengeschichten zu vertiefen, auch ist es eine gute Möglichkeit, für die Arbeit von Freunden zu werben, für Bücher, die man bewundert. Aber ich halte die sozialen Medien für sehr giftig, sie lenken einen außerdem ab, so dass ich versuche, sie nur wenig zu nutzen.
Werden Sie rassistisch angegriffen im Internet?
Nicht so stark wie Ibram Kendi oder Nikole Hannah-Jones, ich bin nicht so eine öffentliche Figur. Aber ja, ich werde getrollt. (Interview: Sylvia Staude)