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Astrophysiker Heino Falcke: „Der Gläubige ist immer ein Fremdling“

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Von: Arno Widmann

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Heino Falcke und das Foto vom Schwarzen Loch. Foto: Boris Breuer
Heino Falcke und das Foto vom Schwarzen Loch. © Boris Breuer

Vom Tohuwabohu, das man heute Quantenfluktuation nennt, zum Stern von Bethlehem: Der Astrophysiker Heino Falcke spricht im Interview über die Weihnachtsgeschichte und seinen Glauben an sie.

Herr Falcke, werden Sie Heiligabend predigen?

Nein, dieses Jahr nicht. Es war wissenschaftlich viel zu tun, und ich brauche jetzt einfach mal ein paar Ruhetage. Die nehme ich mir. Ich helfe in meiner Gemeinde ein wenig bei der Organisierung des Streaming-Gottesdienstes. Aber zur Vorbereitung einer Predigt fehlte mir gerade die Zeit. Eine Predigt schreibt sich ja nicht einfach so dahin. Und nun gar eine Weihnachtspredigt.

Was ist das für eine Gemeinde?

Eine ganz gewöhnliche evangelische Gemeinde, allerdings im Rheinland, also innerhalb einer stark katholisch geprägten Umgebung. Ich bin dort Prädikant – ein ordinierter Laie, der predigen, taufen, trauen und beerdigen darf.

Eine Diaspora-Gemeinde.

So sagte man früher. Heute ist das anders. Wir haben sehr gute Beziehungen zu den Katholiken hier. Die Gesellschaft spaltet sich ja schon lange nicht mehr entlang konfessioneller Linien. Das ist glücklicherweise vorbei. Es ist überwunden. Ich hoffe, dass diese Art von Borniertheit niemals wiederkommt. Wir Christen müssen uns zurückbesinnen auf unsere Gemeinsamkeiten und Anfänge, den Ursprung unserer Religion.

Auf Jesus?

Ja. Es gab eine Weile unter den Theologen radikale Positionen, die so weit gingen zu behaupten, Jesus habe es nicht gegeben. Die Evangelien berichteten von keiner Geschichte, sondern erzählten nur Geschichten. Das klang für mich eher nach Verschwörungstheorien. Heute ist das zum Glück nur noch eine sehr randständige Position. In der Wissenschaft geht man inzwischen davon aus, dass es Jesus gegeben hat. Dass über ihn und von ihm Geschichten erzählt wurden. Mal sehr ausgemalt, mal eher knapp. Sehen Sie mal in manche apokryphe Evangelien, da werden ganze Kitschromane erzählt. Dann begreifen sie erst, wie nüchtern und knapp zum Beispiel selbst Lukas – um dessen Weihnachtsgeschichte es in diesen Tagen ja geht – von Jesus erzählt.

Zur Person

Heino Falcke, geboren 1966 in Köln, lebt in Frechen und ist seit 2007 Professor an der Radboud-Universität im niederländischen Nijmwegen. Er war maßgeblich an der ersten Aufnahme eines Schwarzen Lochs beteiligt. 2020 erschien im Verlag Klett-Cotta sein Bestseller „Licht im Dunkeln“, das inzwischen auch in einer illustrierten Ausgabe vorliegt: „Licht im Dunkeln. Schwarze Löcher, das Universum und wir. Die illustrierte Ausgabe“, Stuttgart 2021. 464 S., 28 Euro.

.Es mag damals einen Prediger Jesus gegeben haben. Wahrscheinlich gab es Dutzende. Aber wieso war dieser eine Gott?

Ganzer Mensch und ganzer Gott. Das ist die Botschaft. Das ist Glaube und keine Wissenschaft. Um es begreiflich zu erklären: Jesus war ein Mensch, der so eng, so persönlich, so liebevoll mit Gott verbunden war, dass wir in Jesus Gott erkennen und erleben können. Das hat Menschen damals offensichtlich tief berührt. Es gibt keinen wissenschaftlichen Beweis dafür. Für gewöhnlich gehen die Menschen mit den Siegern. Jesus aber war nie ein Mächtiger. Das Christentum predigt die Botschaft des Kreuzes. Diesen Jesus, der nach Gottes Herz gelebt und Liebe gepredigt hat, haben wir gedemütigt, verhöhnt und am Ende gekreuzigt. Damit haben wir auch Gott gekreuzigt. Die Jesusleute aber wurden durch die Erfahrung der Auferstehung verändert und haben dann die Welt verändert. Gott kann man nicht begraben. Wir sollten Jesus folgen, nicht den Mächtigen. Die sanfte Kraft Jesu ist stärker. Das zählt am Ende für mich. Meine Lorbeeren kann ich nicht in den Himmel mitnehmen.

Glauben Sie an einen Anfang?

Das ist keine Glaubensfrage. Die Urknall-Theorie sagt uns, dass einmal aus einem urchaotischen Nichts mithilfe der Naturgesetze Etwas wurde. Die Naturwissenschaft berührt sich da mit meinem Glauben, der mir sagt, dass Gott der Anfang von allem ist. Am Anfang war das Wort. Für mich sind auch die Naturgesetze Teil dieses Wortes. Das ist eine Setzung, eine sehr starke Behauptung. Am Anfang waren nicht die Sterne, die Blitze und der Donner. Am Anfang waren auch nicht die vielen Götter der anderen. Der jüdische Gott, der auch unser christlicher, der auch der muslimische ist, wendet sich genau gegen diese Vergöttlichung materieller Gewalten. „Am Anfang war das Wort“ ist ein Bruch mit den Götterbildern der Umgebung. Auch das Judentum bewegte sich in der Diaspora. Der Gläubige ist immer ein Fremdling.

Am Anfang der biblischen Schöpfungsgeschichte war nicht das Nichts, sondern ein großes Tohuwabohu.

Quantenfluktuation – sagen wir heute dazu. Wir telefonieren. Sie sehen mein Lächeln nicht. Natürlich hatten die biblischen Schreiber mit Tohuwabohu nicht unbedingt Quantenfluktuation gemeint und andersherum: Ob es am Anfang wirklich diesen Quantenschaum gab, ist in der Wissenschaft auch noch nicht abschließend geklärt. Aber die Ähnlichkeit beider Vorstellungen springt doch ins Auge. Die biblischen Geschichten sind natürlich keine Wissenschaft in unserem Sinne. Aber sie sind doch sehr viel weniger „Geschichten“ als zum Beispiel die antiken Mythologien. Der eine Gott, der das Universum schafft und zugleich mich liebt – das ist etwas Neues.

Das Universum...

Das ist ja in den vergangenen einhundert Jahren im wahrsten Sinne des Wortes explodiert. Relativitäts- und Quantentheorie wurden noch für ein Universum entwickelt, das nicht größer war als unsere Milchstraße. Erst Ende der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts wurde klar, dass unsere nur eine von vielen Galaxien ist. Heute wissen wir von hunderten von Milliarden Galaxien. In den 30er Jahren kam der Verdacht auf, dass es eine dunkle Materie geben könnte, in den 90er Jahre entdecken wir noch dunkle Energie, die das Universum auseinander treibt. Heute gehen wir davon aus, dass sie 95 Prozent ausmachen, dass also all unsere von uns erforschte Materie, über deren Gesetze wir glauben Bescheid zu wissen, nicht einmal fünf Prozent dessen ausmacht, was ist. Mit diesem Universum ist für Christen auch der Gott gewachsen, an den wir als dessen Schöpfer glauben. Alles ist größer und gewaltiger als unser kleiner Verstand es fassen kann.

Wie kamen Sie zum Glauben?

Ich bin christlich sozialisiert, aber Gott war etwas Fernes. Als Teenager habe ich in unserer Gemeinde den Kindergottesdienst mitgestaltet und aus der Bibel erzählt. Da wurden die alten Geschichten plötzlich auch für mich lebendig. Eines Morgens hatte ich plötzlich das Gefühl, Gott könnte mehr sein: Jemand. Ich habe dann das Experiment gemacht zu glauben und zu suchen und festgestellt: Gott trägt mich. Wichtig waren mir auch Bibelkreise im Christlichen Verein junger Männer (CVJM). Wir lasen dort nicht nur die Bibel. Wir konnten auch alles fragen und hinterfragen.

Würden Sie nicht an etwas anderes glauben, wären Sie anders sozialisiert worden?

Natürlich weiß ich nicht, was ich wäre, wäre ich ein anderer. Ich bin jetzt Mitte fünfzig. In all den Jahren habe ich mich stets mit anderen Menschen über ihren Glauben auseinandergesetzt. Ich habe eine Ahnung von den vielen Möglichkeiten, an Gott zu glauben, an eine höhere Macht, an eine Kraft, die das Ganze zusammenhält und so weiter. Aber für mich sind es die biblischen Geschichten, die Figur Jesu, an denen mein Glaube seinen Halt findet.

Was ist mit dem „Stern von Bethlehem“ und den drei Weisen aus dem Morgenland? Ist das Geschichte oder Mythos?

Die Geschichte steht bei Matthäus. Sie kam mir immer irgendwie fremd vor, bis ich mehr über den geschichtlichen Hintergrund der Zeit erfuhr. Die Bibel lehnt die Vergötterung der Gestirne eigentlich ab. Sie sind nur Lichter, keine Götterboten und plötzlich spielt ein Stern eine zentrale Rolle? So eine Geschichte denkt man sich nicht aus. Merkwürdig ist auch, dass außer den Weisen kein anderer den Stern gesehen hat. Ein Komet kann also nicht gemeint sein. Sinn macht das Ganze, wenn man weiß, wie babylonische und andere Astronomen damals arbeiteten. Sie konnten den Lauf der Planeten schon mit Tabellen berechnen, und in ihrem Denksystem hatten bestimmte Konstellationen am Himmel bestimmte Bedeutungen. Zur Zeit von Jesu Geburt gab es zum Beispiel recht seltene Konjunktionen von Jupiter und Saturn, und im Jahr 6 v.Chr. begleitete eine ganze Parade von Planeten Sonne und Mond beim Aufgang. Dies konnte man mit bloßem Augen gar nicht sehen, aber man konnte es berechnen. Gut möglich, dass gebildete Reisende dadurch neugierig wurden und davon in Jerusalem erzählt haben. Beim paranoiden und astrologiegläubigen König Herodes kann so etwas leicht für Panikanfälle gesorgt haben. Die Weisen hat es zum Fragen angeregt: „Wo ist der neugeborene König der Juden?“ Um das herauszufinden ließen sie jüdische Gelehrte die jüdische Bibel befragen. „In Bethlehem“ sagte man ihnen. Das kann durchaus alles so passiert sein. Die Moral der Geschichte ist aber eine Glaubensaussage. Nachdenken alleine führt einen nicht zur Krippe. Man muss fragen, Bibel lesen, glauben und am Ende selber hingehen!

Aus dem Band „Licht im Dunkeln“: Das Hubble-Weltraumteleskop hat die „Säulen der Schöpfung“ neu aufgenommen und zeigt sie in einer ungewohnt scharfen Gesamtansicht der Struktur. Foto: Nasa, Esa, and the Hubble Heritage Team(STSCI/AURA)
Aus dem Band „Licht im Dunkeln“: Das Hubble-Weltraumteleskop hat die „Säulen der Schöpfung“ neu aufgenommen und zeigt sie in einer ungewohnt scharfen Gesamtansicht der Struktur. © Nasa, Esa, and the Hubble Heritage Team(STSCI/AURA)

Glauben Sie, dass den Hirten Engel erschienen sind?

Engel sind in der Bibel Boten Gottes, die Menschen einen Weg weisen. Die Hirten sehen mitten in der Nacht ein Licht. War es ein heller Meteor, ein Komet oder etwas anderes? Wir wissen es nicht. Die Wissenschaft kann mir das nicht erklären. Aber ich gehe davon aus: Die Hirten waren ergriffen von einer Erscheinung. Die war so mächtig, dass sie sich in Bewegung setzten und den Stall aufsuchten, in dem das Kind in seiner Krippe lag.

Eine wunderbare Geschichte. Sie funktioniert so gut, weil sie so gut erfunden, so gut erzählt und unter anderem von Bach so effektvoll in Szene gesetzt wurde. nicht aber, weil sie wahr ist.

Warum soll Maria keine Begegnung mit Hirten gehabt haben? So ungewöhnlich ist das nun auch wieder nicht. Über die Details können wir uns sicher streiten. Aber auch derjenige, der diese Erzählungen für komplett erfunden hält, kann vielleicht versuchen, sich darauf einzulassen. Das Tolle an der Bibel ist, dass sie tiefe Wahrheiten in scheinbar einfachen Geschichten versteckt. Ich erfreue mich an der Schönheit der Geschichten des Evangeliums, an ihrer Einfachheit, an ihrer Fähigkeit auch nach 2000 Jahren noch zu unseren Herzen und zu unserem Verstand zu sprechen. Auch das gehört für mich zur Wahrheit des christlichen Glaubens.

Interview: Arno Widmann

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