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Architekt Christoph Mäckler: „Die Vorschriften müssen drastisch verändert werden“

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Von: Claus-Jürgen Göpfert

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Im Allerheiligenviertel Frankfurts sollen Wohnungen entstehen.
Im Allerheiligenviertel Frankfurts sollen Wohnungen entstehen. © Renate Hoyer

Christoph Mäckler, Direktor des Instituts für Stadtbaukunst, will beim Wohnungsbau die Einspruchsmöglichkeiten der Menschen beschneiden.

Herr Mäckler, das von Ihnen geführte Institut für Stadtbaukunst hat in einem Aufruf zur Bundestagswahl 2021 ein sehr kritisches Urteil zum Zustand deutscher Städte gefällt.

Ja, wir stellten fest, dass die gebaute Hässlichkeit, Tristesse und Leblosigkeit unserer Städte an vielen Orten unerträglich geworden war. Das hatte der Corona-Lockdown offenbart. Und an diesem Urteil ist auch nichts zurückzunehmen.

Sie forderten vor der Wahl, dass es wieder ein eigenständiges Bundesbauministerium geben müsse.

Seit fast 25 Jahren war das Bauen ein Anhängsel anderer Ministerien gewesen, des Verkehrsministeriums, des Umweltministeriums und zuletzt des Innenministeriums. Ich bin jetzt erst einmal zufrieden, dass endlich ein eigenständiges Bauministerium geschaffen wurde.

Welche Aufgaben müssen nun angepackt werden?

Der öffentliche Stadtraum muss verbessert werden. Es gilt, ihn für den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft zu gestalten. Dafür muss ein Bewusstsein in Deutschland geschaffen werden.

In der Vereinbarung der Ampel-Koalition heißt es, es solle ein lebendiger öffentlicher Raum gestaltet werden.

Die Frage ist, ob die Politik weiß, was sie da schreibt. Der öffentliche Raum ist der Wohnraum unserer Städte. In Italien ist das selbstverständlich. Das öffentliche Leben findet viel mehr draußen unter freiem Himmel statt als bei uns. In Deutschland war während des Corona-Lockdowns offenbar geworden, dass es keine schön gestalteten öffentlichen Räume gibt. Nur wenige Menschen haben hierzulande das Glück, an einem Park oder einem qualitätvollen Platz zu wohnen. Wenn draußen nur Tristesse herrscht, und Sie sind mit Ihrer Familie in einer Zwei-Zimmer-Wohnung zusammengedrängt, ist das furchtbar. In vielen unserer Wohnquartiere bilden die Häuser keinen öffentlichen Straßen- oder Platzraum mehr. Und wir bauen keine neuen Parks. Wir leben heute von den Parks, die vor 100 Jahren geschaffen worden sind.

Woran liegt das?

Es fehlt an Bewusstsein für diese Probleme, und viele deutsche Städte haben auch kein Geld, um qualitätvollen öffentlichen Raum zu schaffen. Viele Kommunen haben ihr Tafelsilber verkauft. Sie stehen vor dem Nichts.

Die Ampel-Koalition verspricht den Menschen, dass 400 000 neue Wohnungen gebaut werden in einem Jahr.

Tatsächlich ist der Bund gar nicht zuständig. Er muss Länder und Städte finden, die den Wohnungsbau umsetzen. Und die das Geld dafür haben. Ich bezweifle, dass 400 000 Wohnungen im Jahr gebaut werden können. Nicht mit dem Baugesetzbuch, das wir heute haben, nicht mit den Vorschriften, die jetzt gelten. Es gibt zu viele Hürden, etwa bei den Regeln zu Umwelt- und Schallschutz, aber auch bei den Einspruchsmöglichkeiten, die es beim Bauen gibt.

Müssen diese Einspruchsmöglichkeiten Ihrer Meinung nach reduziert werden?

Ja, ganz eindeutig. Sonst dauert das Bauen zu lange.

Aber war es nicht ein gesellschaftlicher Fortschritt, dass den Menschen die Möglichkeit eingeräumt wurde, beim Bauen Widerspruch einzulegen?

Das galt für die Zeit der sozialliberalen Koalition Anfang der 70er Jahre, als Bundeskanzler Willy Brandt sagte, man wolle mehr Demokratie wagen. Heute aber sind diese Einspruchsmöglichkeiten beim Bauen erdrückend. Sie dienen nicht mehr dem Gemeinwohl, sondern dem Eigenwohl. Wie lange dauert es, eine ICE-Strecke zu bauen? Viel zu lange.

Welche gesetzlichen Regelungen würden Sie streichen?

2019 haben Baubürgermeister und Planungsdezernenten aus mehr als 100 Städten in Deutschland die sogenannte Düsseldorfer Erklärung unseres Institutes unterschrieben. Sie forderten unter anderem, die Baunutzungsverordnung aus den 60er Jahren grundlegend zu verändern. Die Unterscheidung und die Trennung zwischen Gewerbegebiet, Kerngebiet, Wohngebiet muss aufgelöst werden. Wir brauchen eine funktional durchmischte Stadt, in der gewohnt und gearbeitet wird.

Aber das bedeutet, dass mehr Lärm möglich wird.

Ja, auch das. Heute ist es zum Beispiel so, dass Wohnungen in der Nähe von Sportanlagen nur mit besonderen Schallschutzmaßnahmen möglich sind. Das muss geändert werden. Eine Backstube kann nicht in einem Wohngebiet untergebracht werden. Das muss sich ändern.

Zur Person:

Christoph Mäckler, geboren 1951 in Frankfurt, machte sich bereits in den 80er Jahren einen Namen mit alternativen Stadtplanungskonzepten. Zu seinen Bauten in Frankfurt gehören die Hochhäuser Opernturm und Tower 185. Sein Büro ist auch für den Neubau des Terminal 3 des Frankfurter Flughafens und die (Mit-)Gestaltung des Deutschen Romantik-Museums verantwortlich.

Das Deutsche Institut für Stadtbaukunst, das heute in Frankfurt angesiedelt ist, gründete Mäckler 2008 in Dortmund.

Welche Einspruchsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger würden Sie streichen?

Ich bin kein Jurist. Aber die Einspruchsfristen müssen verkürzt werden. Der gesamte juristische Verlauf muss gestrafft werden. Noch einmal: Gemeinwohl geht vor Eigenwohl.

Aber das bedeutet große politische Brisanz.

Ich bin überzeugt: Nur wenn die Vorschriften drastisch verändert werden, können die erhofften und notwendigen 400 000 neuen Wohnungen im Jahr entstehen. Wir haben heute völlig verkrustete Planungsstrukturen. Die Stadt muss die Möglichkeit bekommen, rascher Wohnungen zu genehmigen. Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Die DIN 17037 verlangt, dass in jeder neu errichteten Wohnung am 1. März in einem Zimmer mindestens anderthalb Stunden Sonnenlicht herrschen müssen. Diese Vorschrift muss weg! Sie können mit dieser DIN keine Höfe bauen und keine dichten Quartiere. Wir müssen aber dichter bauen, um die notwendigen Wohnungen zu schaffen.

Viele Menschen wollen aber nicht in dichtgedrängten Quartieren leben. Es gibt immer noch den bürgerlichen Traum vom Einfamilienhaus.

Wir müssen schon aus ökologischen Gründen dichter bauen, damit wir nicht so viel Grün und Freifläche verbrauchen. Die Dichte bringt auch Leben in die Stadt. Ich bestreite, dass die Leute das ablehnen. Die beliebtesten Stadtviertel sind die dichten Gründerzeit-Quartiere aus dem 19. Jahrhundert und nicht unsere neuen Wohnquartiere.

Glauben Sie tatsächlich, dass die Koalition aus SPD, Grünen und FDP die Kraft aufbringt, all das umzusetzen?

Ich schätze diese neue Koalition sehr. Sie zeigt große Ernsthaftigkeit. Ich habe die Hoffnung, dass sie nicht parteipolitisch agiert, sondern pragmatisch.

Die Veränderungen, die Sie fordern, bedeuten insbesondere für die Grünen eine Zerreißprobe. Sie sind durch Bürgerinitiativen und Einsprüche gegen Bauvorhaben groß geworden. Sie standen stets an der Seite der Bürgerinitiativen.

Die Grünen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten sehr verändert. Sie denken heute realpolitischer. Wir brauchen dringend Veränderungen in unserer Sozialpolitik, also im Städtebau. Es kann doch nicht sein, dass die viertgrößte Industrienation nicht in der Lage ist, den Menschen genügend bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Das darf nicht sein.

Die Grünen werden in dramatische Konflikte geraten mit ihrer Klientel, mit ihren Wählerinnen und Wählern.

Nein, das glaube ich nicht. Noch einmal: Wir brauchen Bewegung.

Wir haben noch gar nicht über Ihre Forderungen an die städtebauliche und architektonische Qualität gesprochen.

Grundsätzlich gilt: Ich muss die Baukörper in Zukunft wieder so stellen, dass sie einen Platzraum bilden. Die Fassaden dürfen nicht abweisend sein. Wir brauchen selbstverständlich gestaltete Hausfassaden mit Fenstern. Und nicht Gullydeckel als Fassade, wie das manche Kollegen entwerfen. Das ist vielleicht Kunst. Aber wir müssen doch immer daran denken: In den Häusern sollen Menschen leben! Die Architektur muss für die Menschen da sein.

Aber tatsächlich sehen wir in vielen deutschen Städten die immer gleichen eintönigen Fassaden. Hat das mit dem Sparzwang, mit dem ökonomischen Druck im Städtebau zu tun?

Auch. Ich muss den Fassaden aber eine höhere Qualität geben, um mehr Akzeptanz bei den Menschen zu erreichen. Ich stelle mir vor, dass die Städte ihre Baugenehmigung mit der Forderung nach höherer architektonischer Qualität verknüpfen.

Kann und darf das der Staat?

Ja. Wir haben das Instrument der Gestaltungssatzung in unseren Bebauungsplänen. Früher haben die Kommunen bei der architektonischen Qualität zu oft nachgegeben. Das Ergebnis sehen wir heute überdeutlich. Aber inzwischen hat sich etwas geändert. Den Politikern wird deutlich, dass die Gestaltung des öffentlichen Raumes auch eine öffentliche Aufgabe ist. Mittlerweile haben wir mehr als 350 Gestaltungsbeiräte in Deutschland. Seit 1994 hat sich ihre Zahl mehr als verdoppelt.

Aber noch immer bestimmen die Zwänge des kapitalistischen Systems den Städtebau. Auch Wohnungsbau ist der Profitmaximierung unterworfen wie die stetig steigende Zahl von Luxus-Eigentumswohnungen zeigt.

In diesem kapitalistischen System gibt es immer noch die meisten Freiheiten. In totalitären Systemen sind die Einschränkungen und Normierungen im Städtebau wesentlich stärker. Richtig ist, dass der Immobilienmarkt in Deutschland explodiert und dass die Preise explodieren. Das hat mit fehlenden Anlagemöglichkeiten für das Geld zu tun. Der Staat muss gegen die Spekulation mit Luxus-Eigentumswohnungen, die nur als Investment errichtet sind und oft über Jahre leer stehen, vorgehen. Die Städte müssen ausgleichend tätig werden. Sie sollten Grund und Boden kaufen, um der Spekulation verstärkt entgegenzutreten.

Interview: Claus-Jürgen Göpfert

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