1. Startseite
  2. Kultur
  3. Gesellschaft

„Am Beispiel Angela Davis“ – ein Kongress in Frankfurt: Rosen und RAF und Angela Davis

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Thomas Stillbauer

Kommentare

„Ohne Hoffnung ist keine Bewegung möglich.“ Angela Davis nach ihrer Freilassung, April 1972.
„Ohne Hoffnung ist keine Bewegung möglich.“ Angela Davis nach ihrer Freilassung, April 1972. © AFP

Vor 50 Jahren ist Frankfurt der Schauplatz eines Kongresses – es geht um nicht weniger als die Revolution.

Sich selbst auf unendlich vielen Plakaten und Wandgemälden zu sehen, weltweit das Gesicht der Revolution zu sein, über Jahrzehnte hinweg: Nein, anfangs habe sie sich damit nicht wohlgefühlt, sagt Angela Davis, 78-jährige Ikone der Antirassismusbewegung, vor ein paar Tagen dem US-Fernsehsender CBS. „Aber jetzt schaue ich die Bilder an und sehe all die Millionen Leute, die kamen, um diesen Kampf mitzukämpfen.“

Angela Davis kämpft seit den 60er Jahren gegen Unterdrückung, Diskriminierung und für Bürgerrechte. Sie ist die weibliche Black-Power-Symbolfigur. Einen ihrer wichtigsten Kämpfe gewann sie an diesem Samstag vor 50 Jahren. Die Jury am Obersten Gericht im kalifornischen San José sprach sie frei vom Vorwurf der Unterstützung des Terrorismus. Die Nachricht sorgte auch in Frankfurt für Jubel und Erleichterung: auf dem Kongress „Am Beispiel Angela Davis“ am 3. und 4. Juni 1972. Eine Veranstaltung, die einen Rückblick wert ist, auch weil sie zeigt, was damals möglich war an Diskurs, Debatte – und welch eine Mobilisierung.

Annähernd 10 000 Menschen kommen Anfang Juni 1972 nach Frankfurt, mehr als 3000 nehmen an den Arbeitskreisen teil: Arbeiterinnen und Arbeiter, Auszubildende, Studierende, Lehrerinnen und Lehrer, Gewerkschaftsleute. Gerufen hat das „Angela Davis Solidaritätskomitee“, in Offenbach gegründet kurz nach Davis’ Festnahme in den USA. Drüben hatte das FBI die junge Frau auf seine Liste der „Ten most wanted fugitives“ gesetzt – sie war eine der zehn meistgejagten Personen. Und sie ist unbequem, Kommunistin, Schwarze, eine, die aufbegehrt. Also sind Manfred Clemenz, Lothar Menne, Oskar Negt, Claudio Pozzoli und Klaus Vack an die Arbeit gegangen. Ihr Solidaritätskomitee hat zur Vorbereitung des Frankfurter Kongresses Veranstaltungen in Universitäten organisiert, Teach-ins, die Aktivisten haben 260 000 Wandzeitungen gedruckt, 25 000 Broschüren, und sie haben 36 000 Unterschriften gesammelt für die Freilassung von Angela Davis – und allen politischen Gefangenen in den USA.

Denn es geht hier nicht darum, ob diese Frau in Kalifornien eine Waffe für den blutigen Befreiungsversuch eines schwarzen Gefängnisinsassen besorgt hat, ein Vorwurf, der sie 16 Monate unschuldig in Untersuchungshaft brachte. Der Titel „Am Beispiel Angela Davis“ ist ernst gemeint. Es geht um viel mehr.

„Angela kämpft vor allem für die Befreiung ihres eigenen Volkes“, sagt Herbert Marcuse auf der Frankfurter Kundgebung – womit er offenbar die afroamerikanische Bevölkerung meint – „aber sie weiß, dass dieser Kampf ein weiteres, und zugleich sehr unmittelbares Ziel hat, nämlich den amerikanischen Kapitalismus.“ Bei Marcuse hat Davis in Massachusetts, Frankfurt und San Diego studiert. Der Philosoph und Politologe überbringt ihre Grußbotschaft: „Wir senden euch unsere Unterstützung und unsere wärmsten revolutionären Grüße.“ Und er geißelt die „Produktion von wahnsinnigem Überfluss“, die „totale Reichtum-Industrie inmitten von Dreck, Pollution, Elend, Verbrechen“. Er sagt: „Es ist der irrsinnige Reichtum dieser Gesellschaft, seine kriminelle Verwendung und die Evidenz dieses Irrsinns, der die Unterdrückung jetzt so unerträglich macht, den Protest gegen das System artikuliert und seine Basis verbreitert, zugleich aber auch frustriert.“ In der „Vorfront des Kampfes“ sieht er das vietnamesische Volk. „Arbeiten wir für seine Befreiung.“

Es geht um nicht weniger als die Revolution. Allerdings unter schwierigen Bedingungen. Die versammelte Linke vor Ort, und zwar in allen Schattierungen, steht unter dem Druck, sich zu den jüngsten Ereignissen im Zusammenhang mit der „Rote Armee Fraktion“ zu erklären. Just im Mai 1972 hat die RAF fünf Bombenanschläge verübt, darunter jenen auf das ehemalige I.G.-Farben-Gebäude, bei dem ein US-Soldat getötet und 13 Menschen verletzt wurden. Am 1. Juni hat die Polizei Andreas Baader, Holger Meins und Jan-Carl Raspe in Frankfurt festgenommen. Die Kundgebung zeigt, dass es in der Linken kaum Zustimmung zur Strategie der RAF gibt – aber doch manche, die Solidarität mit diesen „politischen Gefangenen“ ausdrücken wollen, zum Ärger der anderen, wie Leserbriefschreiber noch Jahrzehnte später in der FR berichten.

Herbert Marcuse spricht am 6. Juni erneut zum Fall Davis.
Herbert Marcuse spricht am 6. Juni erneut zum Fall Davis. © imago images / ZUMA/Keystone

Der Sozialphilosoph Oskar Negt erinnert in Frankfurt jedoch an Benno Ohnesorg, fast auf den Tag genau fünf Jahre zuvor von dem „neurotischen, aufgehetzten Waffensammler Kurras in Polizeidiensten“ erschossen, und an Rudi Dutschke, Attentatsopfer „der von der Springer-Presse und ihrem Anhang beharrlich gestreuten Saat der Gewalt gegen Andersdenkende“. Negt: „Ehe es die Desperados der Baader-Meinhof-Gruppe gab, gab es die mörderischen Aktionen der angeblich fortgeschrittensten Demokratie der Welt gegen ein Volk, das sich nach jahrzehntelanger Unterdrückung und Ausbeutung endgültig von seinen korrupten Cliquen, den Diems und Thieus, befreien wollte.“ Die USA also gegen die Vietnamesen, die ihre Diktatoren zu stürzen trachten.

Noch etwas ist besonders an Angela Davis. Die US-amerikanische Aktivistin, später besungen von John Lennon, den Rolling Stones und Franz-Josef Degenhardt, zeigt sich in Ost und West gleichermaßen, hat Vertraute in der Sowjetunion und strahlt mit Erich Honecker in die Kameras. Die DDR organisiert die Aktion „Eine Million Rosen für Angela Davis“ und will im Kalten Krieg als das bessere Deutschland dastehen. Der Frankfurter Filmemacher Thomas Claus, damals noch ein Bub und DDR-Bürger, sammelt im Dresdner Stadtteil Wilder Mann Flaschen und Altpapier und bringt es auf acht Mark, die er zur Rosenaktion beitragen kann. Seine Freundschaftspionierleiterin – eine Weiße – legt sich einen Afrolook zu.

„Es gab teilweise eine Überidentifikation mit Angela Davis“, sagt er heute. Zugleich hätten viele vermutet, die Berichte über den Vietnamkrieg könnten Propaganda gegen den Klassenfeind sein. „Aber dann traf ich beim Milchholen eine Vietnamesin“, erzählt Claus, „die eine besondere Haarspange trug – ein Teil eines abgeschossenen Flugzeugs mit der Aufschrift US Airforce.“

Zurück zum Frankfurter Kongress. Er besticht durch eine „bemerkenswert aggressionsfreie, offene Diskussion“ verschiedener Linken-Gruppen, hält Klaus Vack vom Solidaritätskomitee fest, später Mitgründer des Komitees für Grundrechte und Demokratie. „Zweifellos war dies seit Jahren die machtvollste und disziplinierteste und doch auch lebendigste Demonstration in Frankfurt“, schreibt er im Nachwort zum Buch, das den ganzen Kongress dokumentiert („Am Beispiel Angela Davis“, Fischer Taschenbuch, 1972, nur noch antiquarisch erhältlich).

Davis kehrt 2013 für einen Besuch zurück nach Frankfurt, in die Stadt, in der sie studiert und auch an der Theke des linken Szenetreffs Club Voltaire gestanden hat. An der Goethe-Uni begründet sie die „Angela-Davis-Gastprofessur für internationale Gender- und Diversity-Studies“, die bis heute besteht. „Ein leicht singender Tonfall mit Pausen der Überlegung, dazwischen ein starkes Lachen – so klingt Davis“, schreibt Hadija Haruna-Oelker damals in der FR. „Davis hat Charme. Bei ihrem Besuch in Frankfurt wird sie gefeiert. Standing Ovations, als sie den Raum betritt, lauter Zuspruch bei ihren Statements. Es ist ihre Geschichte, ihr Widerstand und ihr Überleben, das sie für andere erstrahlen lässt. Davis wirkt versöhnt.“ Und weiter: „,Ich bin nur ein Mensch. Was ich repräsentiere, ist der Sieg der Bewegung‘, sagt Davis.“

Die CBS-Reporterin fragt die 78-Jährige vor wenigen Tagen: „How do you not lose hope?“ Wie verlieren Sie nicht die Hoffnung? „Es gibt keinen Wandel ohne Hoffnung“, antwortet Angela Davis. „Ohne Hoffnung ist keine Bewegung möglich.“

Auch interessant

Kommentare