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Als Hatschepsut Pharao wurde: Amun schützt ihren Leib

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Von: Arno Widmann

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Kopf einer Statue, die Hatschepsut in Gestalt der Osiris repräsentieren sollte.
Kopf einer Statue, die Hatschepsut in Gestalt der Osiris repräsentieren sollte. © Imago

Heute vor 3500 Jahren wurde Hatschepsut Herrscherin über Ägypten.

Am 1. Februar 1477 v.u.Z. soll Hatschepsut neben ihrem Stiefsohn und Neffen Thutmosis III., für den sie schon zwei Jahre – so lange er minderjährig war – als Regentin gewirkt hatte, zum Pharao gekrönt worden sein. Bitte nicht gleich „Pharaonin“ rufen! Für Hatschepsut scheint das „Pharao“ wichtig gewesen zu sein. Wie auch Mary Anne Evans (George Eliot) großen Wert darauf legte, als Schriftsteller und nicht etwa als Schriftstellerin bezeichnet zu werden. Es ging beiden nicht um die Leugnung ihrer Weiblichkeit, sondern um die volle Gleichberechtigung im Amt.

So wird sie denn in der Königsliste von Karnak geführt als „Hatschepsut-chenemet-Amun“, „die erste der Damen, die Amun umarmt“. Amun war eine der bedeutendsten Gottheiten des pharaonischen Ägyptens. Er taucht auch als „Amen“ auf. Das lädt zu Spekulationen über die Herkunft des jüdisch-christlich-islamischen Amens ein. Der hebräischen Wurzel nach bedeutet es „sich ausrichten auf Gott“.

Aber zurück zu Hatschepsut. Ihr Thronname war „Maat-ka-Re“, „Gerechtigkeit und Kraft des Re“ Re war der Sonnengott. Er wurde gerne auch als Amun-Re verehrt. Das Datum von Hatschepsuts Krönung ist natürlich Ergebnis einer komplizierten Umrechnung des altägyptischen Kalenders auf unseren. Eine lange Strecke, auf der es – stelle ich mir vor – an vielen Stellen zu Fehlkalkulationen kommen kann. Aber ich nutze die Chance, um an die ferne Herrscherin zu erinnern.

Jeder, der die großen Denkmäler des alten Ägyptens besucht hat, stand einmal unweit von Theben staunend vor der immensen Anlage des Gedächtnistempels der Hatschepsut.

Jeder, der einmal einen Kindergottesdienst besuchte, erinnert sich an die Geschichte, dass der Säugling Moses von seiner Mutter in einen Schilfkorb gelegt und auf dem Nil ausgesetzt wurde. Die Tochter des Pharao fand und rettete ihn. Diese Tochter des Pharao sollte Hatschepsut gewesen sein. So arbeitete die Wissenschaft des 18. und frühen 19. Jahrhunderts am Mythos. Wie die Theologen des alten Ägyptens die Götter Amun und Re zu einem Gott verbanden – ein Verfahren das Anhängern einer trinitarischen Gottheit nicht fremd sein dürfte -, so amalgamierten diese Wissenschaftler die Erzählungen von Moses und Hatschepsut.

Was wissen wir von Hatschepsut? Nun ja. Nur Offizielles. In der Säulenhalle des mittleren Hofes ihres Gedächtnistempels zum Beispiel befinden sich Texte und Reliefs, die sich mit drei Themen beschäftigen:

Göttliche Geburt, Jugend und Krönung, Expedition ins Weihrauchland Punt. Das scheint, folgt man den Angaben im Tempel der Hatschepsut, südlich von Ägypten gelegen zu haben. Wenn die Mumie, die 2007 als die der Hatschepsut identifiziert wurde, das tatsächlich ist, dann starb sie eines natürlichen Todes – wohl an einem Zahnabszess – im Alter von 35 Jahren, sagen die einen, andere Wissenschaftler sprechen von mindestens fünfzig Jahren. Übergewichtig war sie und hatte Diabetes.

Ein weiblicher Pharao war in der ägyptischen Thronfolge nicht vorgesehen. Frauen konnten Könige gebären und sie konnten sie heiraten. Besser: mit ihnen vermählt werden. Ein Pharao war Pharao, weil der höchste Gott sich mit einer Frau des aktuellen Pharaos vermählt hatte.

Der so gezeugte Sohn wird nach dem Ableben seines Vaters der neue Pharao. Das ist die Ordnung der Dinge. Die hatte Hatschepsut gründlich geändert, als sie sich vor 3500 Jahren als neben ihrem Stiefsohn mitregierender Pharao hatte inthronisieren lassen. Ein einmaliger Vorgang. Sie brauchte die Legitimation als Kind des Gottes. Diesem Ziel diente die Darstellung der göttlichen Geburt in Hatschepsuts Tempel.

Hatschepsut und ihre Hieroglyphe wurden aus den Reliefs herausgeschlagen, als 20 Jahre nach ihrem Tod ihr einstiger Co-Regent Thutmosis III sich daran machte, sie aus dem Gedächtnis der Ägypter zu streichen. Eine zweite Zerstörung ordnete Echnaton an. Er tilgte „Amun“ aus den Reliefs. Das wurde später wieder korrigiert. Hatschepsuts Tilgung aber blieb. Betrachtet man das Relief genauer, erkennt man, dass die wohl schriftunkundigen Zerstörer nur auf „Hatschepsut“ angesetzt worden waren, denn einige der Segenssprüche für „Maat Ka Re“ sind erhalten. Interessant ist der Text dadurch, dass der Pharao „in der Einleitung bewusst maskulin, im weiteren Verlauf aber weiblich geschildert wird.“ So schreibt Peter Nadig, dessen 2014 erschienene Monografie über Hatschepsut die wesentliche Quelle der ausgebreiteten Kenntnisse über die Pharaonin ist.

Dazu gehört auch, dass „Pharaonin“ keine sehr vernünftige Wortwahl ist. „Pharao“ ist eine Verballhornung des ägyptischen Wortes für „Großes Haus“. Es wurde ähnlich verwendet wie wir heute „Weißes Haus“ oder „Kanzleramt“ sagen. Das wurde ja, als Merkel vor dort aus regierte, so merkt Nadig an, zum „Kanzlerinnenamt“.

Zurück zu den Inschriften bei der Darstellung der göttlichen Geburt. Amun erklärt: „Ich bin ein Schutz für ihren Leib… Ich habe ihr gegeben alle Flachländer und alle Bergländer… Sie leitet alle Lebenden.“

Nadig beschreibt ein Detail der Geburtsszene so: „In der obersten Reihe sitzt zentral auf einem Thron Ahmose, die bereits das neugeborene Kind auf den Armen hält.“ Wir dürfen nicht vergessen: Pharao ist Gott. Ahmose ist keine Göttin, aber Muttergottes. Dass die Muttergottesdarstellungen der europäischen Malerei sich oft deutlich anlehnen an die Darstellung der Isis mit dem Horusknaben, ist nichts Neues. Das sind aber Götterbilder. Hier im Tempel der Hatschepsut haben wir die menschliche Muttergottes, die auf den Armen nicht den Gottessohn, sondern die Gottestochter trägt. Das Bild wird wohl nicht zu einer Ikone werden, da es nicht gut genug erhalten ist.

Eine Ikone wovon? Hatschepsut ist die erste Herrscherin, deren Name überliefert ist. Sie ist Herrscherin in einem patriarchalischen System.

Wie sie das wurde, ist nicht wirklich zu eruieren. Aber sie steht noch für etwas anderes. Sie hat sich ja nicht verkleidet. Sie hat ihre Geschlechtsidentität nicht hinter der Pharaouniform verborgen. Sie war immer beides: Frau und Pharao. „Ich bin ein Schutz für ihren Leib“, erklärte Amun. Die „zwei Körper des Königs“ waren sein menschlicher und sein göttlicher. Bei Hatschepsut war es ein weiblicher und ein männlicher Leib, den Amun schützte. Das war vor 3500 Jahren. Wer schützt heute diese doppelten Leiber?

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