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Nationalismus bei der AfD: Viel mehr als nur „Rechtspopulismus“

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Von: Pitt von Bebenburg

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„Inzwischen haben wir Öffentlichkeiten im Plural“: Demo in Berlin in diesem November.
„Inzwischen haben wir Öffentlichkeiten im Plural“: Demo in Berlin in diesem November. © Christian Ditsch/epd

Der Soziologe Heitmeyer über gesellschaftliche Ursachen für eine rechte Bedrohungsallianz. Mit ihrem autoritären Nationalradikalismus ist die AfD ein Teil der Bedrohung.

Herr Heitmeyer, Hassverbrechen häufen sich: der Mord an Walter Lübcke, die Attentate von Halle und Hanau. Sie sagen in Ihrem aktuellen Buch, die „langfristigen Normalisierungen“ von Bedrohungsallianzen seien gefährlicher als der Blick auf einzelne Ereignisse. Warum?

Diese Verbrechen sind dramatisch. Aber ich beobachte, dass man nach solchen Verbrechen, die die Gesellschaft enorm durchrütteln, sehr schnell zur Tagesordnung zurückkehrt. Ich bin der Ansicht, dass man langfristige Entwicklungslinien betrachten muss. Hier beobachten wir, dass rechte Bedrohungsallianzen zunehmend Raum gewinnen. Man kann sich das als Zwiebelmuster vorstellen mit den verschiedenen Schichtungen in einem Eskalationsprozess. Das beginnt bei den Einstellungsmustern in der Bevölkerung zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, geht über zum autoritären Nationalradikalismus der AfD, dann zum systemfeindlichen Milieu, in dem Rechtsextreme und Neonazis agieren, zu den klandestinen rechtsterroristischen Unterstützungsmilieus bis hin zu den Vernichtungstätern. Zwischen diesen Milieus bestehen Legitimationsbrücken. Das Ganze wird zusammengehalten durch eine Ideologie der Ungleichwertigkeit und Gewaltakzeptanz.

Sie verfolgen seit 20 Jahren empirisch, wie sich die Ideologie der Ungleichwertigkeit als Grundlage der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit entwickelt. Was beobachten Sie?

Die Entwicklung der Abwertung und Diskriminierung von Menschen allein aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit wie Juden, Muslime, Migranten, Flüchtlinge, Homosexuelle und andere ist über die Zeit uneinheitlich. Das bedeutet, dass es dafür vor allem auch gesellschaftliche Ursachen gibt, die beeinflussbar sind. Für diesen Zusammenhang ist nun wichtig, dass jene Teile der Bevölkerung, die solche Einstellungen vertreten, mit dafür verantwortlich sind, dass rechte Bedrohungsallianzen entstehen, denn sie liefern Legitimationen für extremes politisches Verhalten. Auch die rohe Bürgerlichkeit.

„Die AfD saugt Einstellungsmuster der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit auf und macht daraus rabiate politische Parolen.“

Wilhelm Heitmeyer, Soziologe

Welche Rolle spielt die AfD in der Entwicklung solcher Bedrohungsallianzen?

Die AfD spielt eine sehr große Rolle, vor allem, weil sie eine parlamentarische Plattform hat. Die AfD saugt Einstellungsmuster der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit auf und macht daraus rabiate politische Parolen. Die Besonderheit ist, dass führende Köpfe der AfD mit etwas arbeiten, was ich „Gewaltmembran“ nenne. Membrane sind ja etwas Trennendes und Durchlässiges zugleich. Das heißt, sie verwenden Begriffe, die dann durch rechtsextreme Gruppen, die mit Gewalt hantieren, ausbeutbar sind. Das sind Begriffe wie „Umvolkung“, „der große Austausch“ und „Untergang des deutschen Volkes“. Daraus entstehen, ohne dass man das den Köpfen der AfD juristisch zurechnen kann, Legitimationen im Sinne eines Opfermythos. Dann kommt die Botschaft an, dass man im Sinne eines Notwehrrechts auch Gewalt anwenden könne.

AfD wird häufig durch Begriffe wie „Rechtspopulismus“ verharmlost

Die AfD wird häufig als „rechtspopulistisch“ bezeichnet. Sie lehnen den Begriff ab und sprechen von „autoritärem Nationalradikalismus“. Ein ganz schön sperriger Begriff, aber Sie schreiben, Begriffe müssten sperrig sein.

Ja, denn sonst läuft man in die Falle, in die auch viele Journalisten hineintappen, wenn sie die verharmlosende Kurzformel „Rechtspopulismus“ benutzen. Populismus ist eine definitionslose Hülle. Man kann alles hineinpacken. „Autoritärer Nationalradikalismus“ hat drei Bestandteile, und das sind Definitionskerne. Das Autoritäre richtet sich gegen die offene Gesellschaft. Das Nationale betrifft nationalistische Überlegenheitsattitüden einschließlich der Umdeutung deutscher Geschichte. Und das Radikale meint den Umgang mit Minderheiten und mit der politischen Kultur. Dazu gehören die ständigen Tabubrüche als Geschäftsmodell. Das konnte man im Bundestag anlässlich der Debatte um das Infektionsschutzgesetz und bei den damit verbundenen Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen besichtigen. Zudem geht es um das Eindringen in gesellschaftliche Institutionen, um sie zu destabilisieren.

Als Ursache für die menschenfeindlichen Einstellungen machen Sie aus, was Sie „entsicherte Zustände“ nennen. Was meinen Sie damit?

Es geht an vielen Stellen darum, inwieweit soziale Ungleichheit und Desintegrationsprozesse die Gesellschaft zerstören. Je größer die soziale Ungleichheit ist, desto höher sind die Gewaltquoten und andere Zustände, die gesellschaftszerstörend wirken. Der zweite Punkt bezieht sich auf Identitätspolitiken. Politische Akteure haben soziale Fragen ausgetauscht gegen Identitätsfragen. Das gibt es nicht nur im rechten, sondern auch im linken Spektrum, wenn der Einsatz für bestimmte Minderheiten dazu führt, dass andere sozial benachteiligte Gruppen aus dem Blick geraten. Auch dies halte ich für gesellschaftszerstörerisch.

Zur Person:

Wilhelm Heitmeyer zählt zu den wichtigsten deutschen Forschern, die sich mit der Entstehung von Ressentiments und Gewalt befassen. Der Soziologe hat 1996 das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Bielefelder Universität gegründet, das er bis 2013 leitete. Der 75-jährige Wissenschaftler ist heute als Senior Research Professor an der gleichen Uni tätig.

Mit der Reihe „Deutsche Zustände“ legte Heitmeyer von 2002 bis 2011 jährlich empirische Befunde über Antisemitismus, Rassismus und andere Vorurteile vor, die er als „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ bezeichnete. Darauf bauen seine neueren Bücher auf, „Autoritäre Versuchungen“ (2018) sowie der soeben erschienene Band „Rechte Bedrohungsallianzen“.

In „Rechte Bedrohungsallianzen“, das Heitmeyer gemeinsam mit Manuela Freiheit und Peter Sitzer vorgelegt hat, erforscht er das „Eskalationskontinuum“ und die gesellschaftlichen Ursachen ( Suhrkamp 2020, 326 Seiten, 18,50 Euro)

Man hat bei der Rechtsentwicklung immer auf das Kontrollparadigma gesetzt. Nach dem Motto: Wir verbieten Gruppen, und der Spuk ist vorbei. Wenn das wirksam wäre, dürften wir die Probleme heute nicht haben, denn seit den 90er Jahren sind zig Gruppen verboten worden. Meine These ist: Staatliche Repression, wenn es dabei bleibt, erzeugt rechtsextreme Innovation. Das heißt, die erfinden sich immer wieder neu. Es gibt ganz erhebliche Qualitätsveränderungen im rechten Spektrum mit enormer Mobilitätsdynamik, die man auch bei den Anti-Corona-Maßnahmen besichtigen kann.

Autoritäre Ordnungspolitik im Angebot der AfD

Welche Vorgänge sind noch relevant für die Entwicklung von rechten Bedrohungsallianzen?

Man muss in den Blick nehmen, dass sich bestimmte Gruppen von politischen Eliten nicht wahrgenommen fühlen. Wer nicht wahrgenommen wird, ist ein Nichts. Das lassen sich Teile der Bevölkerung so nicht mehr gefallen. Hinzu kommt die dramatische Veränderung von Öffentlichkeit. Inzwischen haben wir Öffentlichkeiten im Plural. Darin bewegen sich die Menschen in ihren Echokammern. Da geht es nicht um Auseinandersetzung, sondern um die Herausbildung homogener Gruppen mit der Aufschaukelung eigener aggressiver Selbstbestätigung. Hinzu kommen Verschwörungsideologien. Die hängen sehr stark mit Kontrollverlusten zusammen. Wenn Menschen den Eindruck haben, dass sie die Kontrolle über ihr eigenes Leben verlieren, dann nimmt die Anfälligkeit für Verschwörungsideologien deutlich zu, zumal wenn Angstausbeuter auf den Plan treten.

Warum befürchten Sie angesichts der Corona-Einschränkungen, „dass autoritäre Versuchungen in einer solchen Situation eher zunehmen“?

Damit beziehe ich mich wieder auf die Kontrollverluste. Dadurch haben jene Bewegungen dann Zulauf, die versprechen, die Kontrolle in der Gesellschaft wiederherzustellen über eine autoritäre Ordnungspolitik. Das war bei der Flüchtlingskrise auch schon der Fall, als der AfD-Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland sagte: „Wir holen uns unser Land zurück.“

„Ich bezweifele, dass wir in Zustände sozialer Sicherheit früherer Zeiten zurückkehren werden.“

Wilhelm Heitmeyer

Welche Rolle spielen prekäre Arbeitsverhältnisse bei dem, was Sie „entsicherte Zustände“ nennen?

Die Arbeitsverhältnisse spielen natürlich eine große Rolle. Das Prekäre besteht ja nicht nur in schlechten Arbeitsbedingungen und niedrigem Lohn. Wir stehen vor weitreichenden Veränderungen etwa im Hinblick auf die Digitalisierungsprozesse, deren soziale und politische Auswirkungen wir noch gar nicht kennen. Wenn etwa BMW die Produktion von Verbrennungsmotoren ins Ausland verlegt, drohen hochqualifizierte Motorbauer einen Statusverlust zu erleiden. Was tritt an deren Stelle, damit keine Statuspanik entsteht, an die Parolen wie „Deutsche zuerst“ anknüpfen können?

Was müsste sich grundlegend ändern, damit aus den „entsicherten Zuständen“ wieder gesicherte Zustände werden?

Ich bezweifele, dass wir in Zustände sozialer Sicherheit früherer Zeiten zurückkehren werden. Dafür sind die Veränderungsgeschwindigkeiten zu schnell, die finanzkapitalistischen Logiken werden nicht verändert, und die sozialen und politischen Effekte sind vielfach unberechenbar. Zudem behalten die rechten Bedrohungsallianzen, insbesondere auch der autoritäre Nationalradikalismus selbst, nach einer möglichen Beherrschung der Corona-Pandemie ihre Mobilisierungsthemen bei wirtschaftlichen Krisen und dem islamistischen Terror. (Interview: Pitt von Bebenburg)

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