175 Jahre deutsche Flagge: Schwarz, Rot und Gold

Heute vor 175 Jahren nimmt die wechselvolle Geschichte der Bundesflagge erstmals Fahrt auf.
Am 9. März des Jahres 1848 beschließt der Bundestag des Deutschen Bundes in Frankfurt am Main: Die Farben Schwarz-Rot-Gold sind die Bundesfarben. Das ist der Sieg der Revolution. Diese Farben sind nicht mehr die der Opposition. Das Organ der Fürstenvertreter hat ihnen den Status eines nationalen Symbols zuerkannt. Ein kurzer Moment des Triumphs. Kaum hatten die Fürsten die Angst vor der Revolution verloren, war von Schwarz-Rot-Gold keine Rede mehr.
Heute bestimmt das Grundgesetz in Artikel 22, Absatz 2: „Die Bundesflagge ist schwarz-rot-gold“. Die Farben gehen zurück auf das Lützowsche Freikorps. Es war der Zusammenschluss von Freiwilligen, die seit 1813 Krieg gegen Napoleon führten. Uniformen wurden nicht gestellt. Die waren meist nichts anderes als die schwarz eingefärbten privaten studentischen Gehröcke. Die Nähte wurden rot markiert und die Knöpfe waren aus goldfarbenem Messing. So kam es zur Kombination von Schwarz, Rot und Gold als deutsche Farben. Das Symbol des Aufstands gegen die Besatzungsmacht. Freiheit war nicht die Freiheit der Bürger und Bürgerinnen, sondern die der alten Herrscher gegen den Usurpator. Aber jeder der freiwilligen Soldaten durfte sich beim Wort „Freiheit“ etwas ganz anderes denken.
Viele setzten wohl darauf, sich mit ihrem Kampf, bei dem sie ihr Leben riskiert hatten, auch ein Stück eigener Freiheit verdient zu haben. Ein Irrtum – wie sich bald herausstellte. Der Sieg in den Befreiungskriegen war eine Niederlage für die meisten Befreier.
Dergleichen kommt immer wieder vor. Man denke an die schwarzen US-Soldaten, die aus dem Zweiten Weltkrieg als Sieger in ihr Heimatland zurückkehrten. Oder an die Menschen aus den Kolonien, die etwa von Großbritannien und Frankreich eingesetzt worden waren. Das Umgekehrte kommt ebenfalls vor: Denken wir nur an den Zweiten Weltkrieg. Deutschland lag vernichtet am Boden und überflügelte sehr schnell die europäischen Siegermächte. Nicht anders in den USA nach dem verloren gegangenen Vietnamkrieg. Diesmal gelang den kampftrainierten schwarzen Soldaten der Aufstieg.
Zurück zu den Anfängen von Schwarz Rot Gold. Lützows Truppe wurde weniger berühmt durch ihre tatsächlichen Erfolge als vielmehr durch ein Gedicht des in den sogenannten Befreiungskriegen gefallenen Autors Theodor Körner. „Lützows wilde Jagd“ heißt es. Carl Maria von Weber hat es vertont. Es wurde ein nationaler Hit des 19. Jahrhunderts und gehört bis heute zum festen Repertoire eines auf Tradition achtenden deutschen Männerchors. Die fünfte und letzte Strophe geht so: „Die wilde Jagd und die deutsche Jagd. / Auf Henkers – Blut und Tyrannen! - / Drum, die ihr uns liebt, nicht geweint und geklagt; Das Land ist ja frei und der Morgen tagt, wenn wir’s auch nur sterbend gewannen! / Und von Enkeln zu Enkeln sei’s nachgesagt: Das war Lützow’s wilde verwegene Jagd.“
Ich zitiere es so ausführlich, weil ich glaube, dass es bei der Fahne um Krieg und Untergang geht. Sie ist kein Stück Stoff, sondern das Symbol, das den Kämpfer in den Krieg führt, das ihm sagt, wo es lang geht. „Unsere Fahne flattert uns voran“ so beginnt das Horst-Wessel-Lied und in der DDR sang man: „Ich trage eine Fahne, und diese Fahne ist rot. Es ist die Arbeiterfahne, die Vater trug durch die Not. Die Fahne ist niemals gefallen, so oft auch der Träger fiel. Sie weht heute über uns allen und sieht schon der Sehnsucht Ziel.“
Die Fahne ist ein Symbol. Sie ist benutz- und ausnutzbar. Sie kann von diesen und jenen verwendet, für diesen und jenen Zweck eingesetzt werden. Wie die studentischen Gehröcke in Uniformen verwandelt werden konnten. Die wechselvolle Geschichte der schwarz-rot-goldenen Fahne hier nachzuerzählen genügt der Platz nicht. Während der Revolution von 1848 gab es wohl Hunderte, wenn nicht gar Tausende Frauen, die sie webten, nähten und stickten. Denn sie hatten aus den Fenstern zu hängen und bei Veranstaltungen zu wehen.
Schwarz-Rot-Gold – das waren die Farben des Umsturzes, der Revolution. Der Sieg der Bürger über den Adel ging einher mit dem Nationalen, mit der Abschaffung der Fürstenherrschaften durch die Errichtung des Nationalstaats. Schwarz-Rot-Gold stand dafür.
Kein Wunder, dass die Fahne nach der Revolution sofort verboten wurde. Aber sie verschwand nicht. Gestern erzählte ein Kommandeur der ukrainischen Armee im Deutschlandfunk, er sei in ein Dorf in der Ostukraine gekommen, habe dort Menschen getroffen, die zuerst davonliefen vor ihm, weil sie ihn für einen russischen Spion hielten. Als es ihm gelang, sie vom Gegenteil zu überzeugen, holten sie aus einem Versteck die ukrainische Fahne hervor und zeigten sie ihm. Sie weinten dabei. Vielleicht spielten sich nach der niedergeschlagenen Revolution 1848 ähnliche Szenen auch in den deutschen Staaten ab.
Symbole – das ist ihre Aufgabe – ergreifen uns. Wer nur das Tuch und nicht seine Bedeutung sieht, der sieht die Fahne nicht. Wer sie nur sieht und sie nicht fühlt, an dem ist sie gescheitert.
Wir in der BRD waren lange sehr froh darüber, dass die Fahnen an uns scheiterten. Bis zum Juni/Juli 2006, bei der Fußball-Weltmeisterschaft. Da waren sie plötzlich da die Deutschlandfahnen, die Flaggen und Wimpel. Tauchten sie auf aus Verstecken oder war es alles neue, frische Ware? Womöglich eingeflogen aus Bangladesch und China? Das „Sommermärchen“ war eines aus fröhlich geschwenkten Fahnen, das heitere Fest einer Nation, die sich – so konnte es scheinen – in aller Unschuld feierte. Sie feierte aber, womöglich ohne es zu wissen, ganz sicher aber ohne es wissen zu wollen – den Sieg von Bestechung und Erpressung. Auch dieser „Völkerfrühling“, so nannten schon die Zeitgenossen den Beginn des Jahres 1848, zerstob. Erst im Oktober vergangenen Jahres ging der Prozess über die Machenschaften, die zu ihm geführt hatten, zu Ende.
Wir haben uns inzwischen an das Flattern von Schwarz-Rot-Gold gewöhnt.
Aber wir werden uns hoffentlich niemals an die Särge gewöhnen, auf denen die Fahne liegt. Sie steht nicht mehr für einen fröhlichen, völkerfreundlichen Optimismus. Sie ist wieder das geworden, was sie von Anfang an war. Sie steht für die Bereitschaft, für sie zu sterben. Sie steht für den Tod.