Feministin auf dem Straßenstrich

Der Aufstieg der Pornografie im New York der Siebziger Jahre: "The Deuce" soll der neue große Serienhit bei HBO werden. Der dritte Teil unserer Kolumne "Nächste Folge".
The Wire“ ist seit bald zehn Jahren vorbei, „Game of Thrones“ geht zielsicher auf sein Ende zu. Angesichts der bedrohlichen Konkurrenz durch Netflix und Amazon braucht US-Bezahlsender HBO, einst Pionier des Qualitätsfernsehens, dringend einen neuen Serienhit. Wer wäre für diesen Job besser geeignet als Perfektionist David Simon, Macher von „The Wire“, der mit „The Deuce“ ein authentisches Bild von der aufsteigenden Pornoindustrie im versifften New York der Siebziger zeichnet?
Wie viel HBO sich von Simons neuestem Streich erhofft, zeigt schon die luxuriöse Hollywood-Besetzung der Hauptrollen: James Franco spielt sowohl Vincent Martino, sieben Tage die Woche als schnurrbärtiger Barkeeper und Familienvater beschäftigt, als auch seinen spielsüchtigen Zwillingsbruder Frankie, optisch nur durch seine kaugummischmatzende Nichtsnutzigkeit von Vincent zu unterscheiden. Maggie Gyllenhaal verkörpert Eileen Merrell, die sich auf der „Deuce“, wie die 42. Straße im Straßenslang genannt wird, unter dem Namen Candy und mit strohblonder Lockenperücke als Prostituierte verdingt.
Bei „The Deuce“ gibt es nichts geschenkt
Anders als die anderen Mädels von der Straße, denen bei Ungehorsam die Faust oder die Rasierklinge ihres Zuhälters droht, ist Candy lieber ihr eigener Boss, quasi die Feministin auf dem Straßenstrich. Nur die Kindererziehung bleibt dabei auf der Strecke, ihr Sohn wächst bei ihrer Mutter in der Vorstadt auf.
Die selbstständige Candy lehrt den Zuschauer dann auch gleich in der ersten Folge, worum es in „The Deuce“ bei aller Rotlichtmilieu-Nostalgie eigentlich gehen soll: den skrupellosen Kapitalismus natürlich, der von den naiven Sehnsüchten der Menschen profitiert. Ein Teenager-Kunde kommt bei der bezaubernden Candy im wahrsten Sinne des Wortes zu früh und besteht auf eine zweite Runde ohne Bezahlung, denn: „Ich habe heute Geburtstag!“ Sie gratuliert herzlich und fragt, was sein Vater beruflich macht. Autos verkaufen, sagt er, woraufhin sie ihm einen Grundkurs in Kapitalismus anbietet, bei dem selbst Angebot-und-Nachfrage-Fachmann Stringer Bell aus „The Wire“ anerkennend nicken würde. „Wenn jemand kommt und genau weiß, welchen Wagen er will, der nicht tausend Fragen stellt, keine lange Probefahrt will, dem die Farbe egal ist, bekommt der den Wagen dann billiger? (...) Nein. Der kriegt nicht zwei Autos zum Preis von einem, weil er keine Probleme macht. Das hier ist mein Job, Stewart.“
Dass Candy nicht nur in solchen Momenten etwas zu intellektuell daherkommt, um für schlappe 30 Dollar mit Spätpubertierenden in abgeranzten Hotelzimmern abzusteigen – geschenkt. Es gibt ja sonst nichts geschenkt in der Welt von „The Deuce“. Sex ist in jeder Hinsicht ein verkäufliches Produkt: für die Figuren, die mit dem Einstieg ins aufkommende Pornofilm-Business von der Straße entkommen wollen, und für die Zuschauer, denen die Serie erwartungsgemäß wenig nackte Haut vorenthält, ganz nach dem Motto „Sex sells“ oder auch „It’s not Porn, it’s HBO“, dem Slogan einer ehemaligen Werbung für den US-Sender.
Dass man für die ordentliche Portion Sex auch in Deutschland das Abo eines Bezahl-Anbieters braucht, namentlich Sky, liegt da wohl in der Natur der Sache.