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Falsche Meldungen und deutsche Lösungen

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Von: Horst Meier

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Der anonyme Hass im Netz ist etwas, der sich auch bei bei seinen Vorbildern bedeckt hält.
Der anonyme Hass im Netz ist etwas, der sich auch bei bei seinen Vorbildern bedeckt hält. © rtr

Die große Koalition will das Netzwerkgesetz von Bundesjustizminister Heiko Maas verabschieden. Es hat einen grundfalschen Ansatz - ein Gastbeitrag.

Fake News und andere gezielte Manipulationen werden in letzter Zeit für allerhand mitverantwortlich gemacht: für den Brexit, für Präsident Trump und überhaupt für einen Verfall der öffentlichen Debatte. Beschädigt das Internet, in das einst so hochfliegende Hoffnungen gesetzt wurden, unsere politische Kultur? Im Innenministerium soll schon ein „Abwehrzentrum gegen Falschmeldungen“ erwogen worden sein.

Das Phänomen ist nicht neu, man denke nur an die angeblichen Hitler-Tagebücher des „Stern“. Oder an den Irak-Krieg, in dessen Folge eine Untersuchung sage und schreibe 900 Falschmeldungen zählte, die auf das Konto der Bush-Administration gingen. Gezielte Desinformation, seit jeher ein Mittel der Politik, kann heute online schlechthin jeder betreiben. Das ist zweifellos ein Problem.

Doch wir sollten es nicht überschätzen und uns vor gewissen Heilmitteln hüten: Denn die staatliche Regulierung von Lüge und Wahrheit ist gewiss schlimmer als die Krankheit, deren Heilung sie verspricht. Außerdem markieren Falschmeldungen nur die vorläufig letzte Wendung der Debatte um das Internet. Seit mit der „Flüchtlingskrise“ die fremdenfeindliche Hetze zunahm, wird auch über die Frage der sogenannten Hassrede wieder heftig gestritten.

All diese Probleme sind nicht zu übersehen, und sie sind erheblich. Wo es aber in Deutschland Probleme gibt, da ist auch ein Gesetz nicht weit. Justizminister Heiko Maas hat im Frühjahr eins vorgelegt. Es heißt „Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken“, kurz „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“. Was hat es damit auf sich? Und was will der Staat damit im Netz eigentlich „durchsetzen“?

Ausgangspunkt ist das Credo des Ministers, der mehrfach erklärte: „Es wird nicht zu viel, sondern zu wenig gelöscht.“ Ziel des Gesetzes ist es, so Maas, „gegen Hass, Lügen und Manipulationen im Netz“ vorzugehen. In einem Buch, das gerade erschienen ist (s. FR v. 16. Juni 16), schreibt der Minister: Es sind energische Maßnahmen nötig, damit „die neue Rechte das Internet nicht mehr als Brandbeschleuniger missbrauchen“ kann.

Wie aber will er das erreichen? Das Gesetz verlangt von „sozialen Netzwerken“, die mehr als zwei Millionen Nutzer haben, „offensichtlich rechtswidrige“ Inhalte binnen 24 Stunden zu löschen. In Fällen, in denen die Rechtswidrigkeit nicht offensichtlich ist, bekommen sie dafür sieben Tage. Außerdem müssen sie Strukturen schaffen, um Nutzerbeschwerden zu erleichtern. Bei notorischen Verstößen drohen Bußgelder von bis zu 50 Millionen Euro.

Das Gesetz begründet keine neue Rechtswidrigkeit

Wichtig ist: Das Gesetz begründet keine neue Rechtswidrigkeit, sondern führt zahlreiche „Katalogtaten“ auf, darunter Beleidigung, Volksverhetzung und öffentliche Aufforderung zu einer Straftat. Wie soll man diese komplizierte Konstellation, das merkwürdige Dreieck „Staat-Netzwerk-Nutzer“ einordnen? Der Sache nach haben wir es mit dem Versuch zu tun, gleichsam im Vorfeld der Justiz gewisse Strafparagrafen durchzusetzen. Das Netzwerk wird eine Art Staatsbeauftragter, der verpflichtet ist, gegen mutmaßlich verbotene Inhalte seiner Nutzer vorauseilend einzuschreiten.

Justizminister Maas, der in bester Absicht voranpreschte, scheint verblüfft über die vehemente Kritik, die sein Gesetzentwurf hervorrief. Facebook und andere nahmen an Gesprächskreisen teil, die der Minister im Zuge der „Flüchtlingskrise“ einberufen hatte. Nun warnt Facebook vor einem „europäischen Alleingang“ und beruft sich auf seine „Gemeinschaftsstandards“, nach denen etwa rassistische Kommentare ohnehin gelöscht werden (nach jüngst veröffentlichten Zahlen hierzulande 3500 Posts pro Woche).

Außerdem hat man das Recherchebüro „Correctiv“ beauftragt, mutmaßliche Falschmeldungen zu überprüfen. Wobei hier das Gesetz sein Ziel schlicht verfehlt. Denn die auf Privatpersonen bezogene Behauptung falscher Tatsachen hat mit den wirklich gefährlichen politischen Desinformationskampagnen nichts zu tun.

Der Entwurf ist von vielen Seiten scharf kritisiert worden. Im Mittelpunkt steht die Delegation von Rechtsdurchsetzung an private Internetkonzerne: In einem Rechtsstaat müsse es aber Sache der Gerichte bleiben, darüber zu entscheiden, ob eine anstößige Äußerung rechtswidrig ist oder unter dem Schutz des Grundgesetzes steht. Eine Allianz für die Meinungsfreiheit schlug Alarm. Ihr gehören der Branchenverband Bitcom, der Deutsche Journalisten-Verband, Reporter ohne Grenzen und der Chaos Computer Club an. Auch die FDP, Linke und Grüne formulierten Bedenken. Allseits befürchtet man, die Internetkonzerne könnten gemeldete Inhalte übermäßig löschen, um Bußgelder zu vermeiden.

„Overblocking“ liegt auf der Hand

In der Tat, das „Overblocking“ liegt auf der Hand. Denn wie sollten z. B. Facebook-Mitarbeiter in Stunden oder Tagen prüfen können, wofür Staatsanwälte Monate und Gerichte in den Instanzen Jahre brauchen? Nehmen wir nur das „Schmähgedicht“ von Jan Böhmermann. Ein Werk, das nicht nur Herrn Erdogan, sondern viele andere hellauf empörte, befanden Staatsanwälte in Mainz nicht einmal einer Anklage wert. Oder nehmen wir den Merkel-Gabriel-Galgen, der bei einer Pegida-Demonstration in Dresden durch die Straßen getragen wurde. Es gab offenbar keine Anklage gegen den Mann (der übrigens nicht etwa von der Polizei, sondern von „Bild“ geoutet wurde). Man sieht: Selbst evident erscheinende Strafbarkeit ist mitunter keine.

Das Ganze wird mit heißer Nadel gestrickt. Eine Expertenanhörung vor dem Rechtsausschuss, in der es Kritik nur so hagelte, fand erst am 19. Juni statt. Die große Koalition will das Gesetz noch vor der Sommerpause durch den Bundestag bringen. Am heutigen Freitag, am buchstäblich letzten Sitzungstag, ist das Gesetz auf die Tagesordnung gesetzt worden.

Die neue Facebook-Justiz

Insgesamt lässt sich bilanzieren: Das Gesetz hat einen grundfalschen Ansatz. Denn es statuiert Löschpflichten für Internetplattformen und damit eine Art Facebook-Justiz, die überdies die Meinungsfreiheit gefährdet. Löschen ist zudem wenig effektiv, 24 Stunden sind nach dem Takt des Internet eine halbe Ewigkeit. Außerdem hindert bloßes Löschen niemanden daran, stets neue Hassbotschaften ins Netz zu stellen. Es sei denn, er müsste tatsächlich mit ernsthaften Konsequenzen rechnen. Hier aber hapert es besonders, weil das Gesetz das Problem einer oftmals leerlaufenden Strafjustiz außen vor lässt. Doch der Staat hat ein ureigenes Problem mit der „Durchsetzung“. Im Laufe der Jahre fand ein schleichender Kontrollverlust statt, der jetzt offenbar nicht behoben, sondern kompensiert werden soll – durch die Inanspruchnahme Dritter.

Stattdessen sollte man lieber die schlechte Kooperation zwischen Netzwerken und Strafjustiz in den Blick nehmen. Auskünfte über die Urheber strafbarer Inhalte müssten zwar nach dem Telemediengesetz eigentlich schon heute erteilt werden. In der Praxis funktioniert dies jedoch selten. Vor allem bei Äußerungsdelikten versanden Anfragen, wie Strafjuristen beklagen – weil es keine Fristen für deren Beantwortung gibt oder weil die Unternehmen ihren Sitz im Ausland haben.

Damit sind wir beim einzigen Punkt, an dem das Gesetz die Lage verbessert: Denn die Unternehmen sollen verpflichtet werden, für Auskunftsersuchen eine inländische Kontaktstelle zu benennen. Das genügt aber nicht, weitere praktische Schritte sind notwendig: Nämlich spezialisierte Staatsanwaltschaften mit entsprechendem Schwerpunkt; außerdem ergänzte Richtlinien für die Ermittlungen, damit nicht so viele Online-Verfahren eingestellt werden; und schließlich strikte, das heißt bußgeldbewehrte Fristen für Anfragen. Solche Maßnahmen könnten den Verfolgungsdruck steigern – wenn man es denn ernst meint mit der Parole, das Internet dürfe „kein rechtsfreier Raum“ sein. Natürlich, all das kostet viel Zeit und viel Geld. Aber das ist eben der Preis für eine „Strafrechtspflege“, die Stück für Stück in das Feld der Äußerungsdelikte vorverlegt wurde.

Facebook-Hausregeln und die deutsche Rechtslage

Bei der ganzen Debatte um das Netzwerkdurchsetzungsgesetz sollte man einen strukturellen Konflikt, der im Hintergrund schwelt, nicht übersehen: Die Hausregeln von Facebook sind nicht deckungsgleich mit der deutschen Rechtslage. Das Internet wurde in den USA erfunden, als dort eine radikal verstandene Redefreiheit ihren vollen Reifegrad erreichte. Daraus folgen starke Unterschiede der kulturellen und politischen Tradition, die bis heute wirken. Klassisches Beispiel: das weltbekannte Foto des vietnamesischen Mädchens, das nackt und weinend vor einem Napalm-Angriff flüchtet. Es wurde letztes Jahr „versehentlich“ gelöscht. Mit Blick auf Hassbotschaften dagegen, die deutsche Empfindlichkeiten reizen, gibt es bei Facebook keine entsprechende Sensibilität.

Es existiert also, kurz gesagt, ein starkes Rechtsgefälle zwischen Deutschland und den USA – eine Differenz, die beide Seiten herausfordert. Gegen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz gibt es viele treffende Einwände; der aber, der am schwersten wiegt, kommt in der hiesigen Debatte praktisch gar nicht vor. Denn die Normen, die der Maas’sche Gesetzentwurf durchsetzen will, sind teilweise schon als solche fragwürdig: Das deutsche Strafrecht statuiert von der Holocaustleugnung bis zur Volksverhetzung zahlreiche Propagandadelikte. Sie gehören nicht reflexhaft konserviert, sondern auf den Prüfstand der Rede- und Meinungsfreiheit. Auch das deutsche Verfassungsgericht kennt eine Vermutung für die Freiheit der politischen Rede.

So oder so: Das Zeitalter von Internet und Massenmigration bleibt durch schwere Verwerfungen geprägt. Damit sind Konflikte unvermeidlich. Wir sollten sie besser nicht Staatsanwälten und auch nicht Internetkonzernen überlassen und damit vermeintlich entsorgen, sondern miteinander politisch ausfechten.

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