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Auf Erntejagd

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Von: Hilal Sezgin

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Große Erntegeräte sind für kleine Tiere ohnehin gefährlich, erklärt Hilal Sezgin.
Große Erntegeräte sind für kleine Tiere ohnehin gefährlich, erklärt Hilal Sezgin. © afp

In der September-Ausgabe ihrer Kolumne „Unter Tieren“ beobachtet Hilal Sezgin mit Entsetzen, wie sich Bauern und Jäger auf deutschen Feldern zusammentun.

Erntezeit. Das Getreide ist reif, und sobald sich die Halme nach dem Regen wieder aufgerichtet haben, beginnen die hiesigen Landwirte zu mähen. Früher, als ich frisch aufs Land gezogen war, fand ich diese Zeit besonders idyllisch. Gerade für die ehemalige Städterin war es so schön, endlich „an der Quelle zu sitzen“! Richtig fröhlich stimmten mich die Kartoffeln, die von den Anhängern auf die Straßen purzeln, oder die Zuckerrübenwagen mit dem Aufkleber: „Rübenzeit, Abstand weit“. Sobald das Getreide abgemäht ist, stehen Strohballen über die Felder verteilt; im warmen Schein der Abendsonne fühlt man sich wie in ein Gemälde von Monet oder van Gogh versetzt.

Aber mit den Jahren traten auch einige unschöne Details zutage. Einmal fuhr ich an einem Roggenfeld vorbei, an dessen Saum eine Reihe von Männern mit Warnwesten und Gewehren aufgebaut war. In dem Feld war eine Wildschweinfamilie untergetaucht, der Bauer hatte den Mähdrescher angehalten und einige Kumpel zusammentelefoniert. Wenn nun der Mähdrescher weiterfuhr, würden die Schweine den Schutz der Getreidepflanzen verlassen müssen; dann wollten die Jäger möglichst viele von ihnen erschießen. Man konnte sie nicht sehen, aber zwischen den Ähren verbarg sich eine Familie von sensiblen, intelligenten, lebensfrohen Wesen, die voller Angst dem Tod entgegenblickten.

Ohnehin ist das Ernten mit den großen Maschinen eine so harmlose Sache nicht: Meistens ernten die Landwirte von außen nach innen, die Fläche mit dem Bewuchs wird also immer kleiner, und die Wildtiere, die in dem Feld leben, flüchten nach innen, drängen sich hier zusammen. Viele von ihnen erliegen auch gleich der Maschine; über dem Feld fliegen Krähen, um sich bei den toten oder verletzten Körpern von Hasen, Mäusen und Rehen zu bedienen.

Natürlich gibt es von diversen Landwirtschaftsministerien eine „Empfehlung“, die Landwirte mögen doch bitte von innen nach außen mähen, um den Tieren die Flucht zu ermöglichen. Meiner Beobachtung nach hält sich kaum einer daran. Immer häufiger hingegen ist zu sehen, wie Hochsitze speziell für die Erntejagd vermietet werden oder wie Männer mit Gewehren auf der Ladefläche eines Pick-Ups am Feldrand stehen, um die herausrennenden Tiere zu erschießen. Das Stehen auf erhöhter Position hat den Vorteil, dass die Kugeln gen Boden zielen und nicht gefährlich weit durch die Lüfte irren. Aus dem fahrenden Wagen heraus zu schießen, ist verboten; aber mithilfe einer ausgetüftelten, jägerfreundlichen Rabulistik wurde erlaubt, dass auf die Ladefläche montierte Ansitze oder PKWs mit herausgezogenem Zündschlüssel zu nutzen sind.

Bewegliche Ziele zu treffen, ist nicht nur in Agentenfilmen schwer, sondern auch bei der Jagd. Viele Tiere werden nur verletzt, nicht getötet. Um die Ernte nicht aufzuhalten, wird meist gar nicht erst nach dem angeschossenen Tier gesucht. Wie es bei einer solchen Nachsuche zugehen kann, las ich in einem Jägerforum. Ein Jäger war von einem Bauern gerufen worden, der „hatte beim Mais-Häckseln auf eine Sau geschossen, eine Niere lag am Anschuss und ich sollte mit Matti suchen“. Matti hieß anscheinend der Hund. Bei dem Rest muss ich raten. Leider neigen Jäger ja dazu, perfekt funktionierende deutsche Wörter zwecks Insider-Sprech durch andere zu ersetzen ... . Dass „die Niere am Anschuss lag“, interpretiere ich so, dass das Tier an der Seite verletzt war.

„Er verwies mir ein Knochenstückchen, ich war soweit guter Hoffnung, das Stück auch zu finden, Matti lag fest im Riemen und ich sah auch deutlich immer wieder Trittsiegel sowie Schweiß.“ Neuerlicher Übersetzungsversuch: Der Jäger hatte den Hund fest an der Leine, er sah die Fußabdrücke des verletzten Schweins und sein Blut (= Schweiß). „Stück“ heißt das Tier, und dass der Bauer ihm „ein Knochenstücken verwiesen“ hatte, bedeutet wohl, dass die Sau bereits so schwer verletzt war, dass ein Knochensplitter herumlag. Er fand die Sau nicht. Wie lange musste sie wohl leiden?

Trotz all des „Schweißes“ und solcher Knochensplitter freuen sich viele Jäger regelrecht auf die Erntejagden, sind mit den Landwirten oft identisch, verwandt oder befreundet. So gesehen wundert es nicht, dass immer noch meist von außen nach innen gemäht wird. Gesetze müssen her, die dies verbieten. „Unser täglich Brot gib uns heute...“ – ohne solch unnötiges Gemetzel.

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