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Das Ende des freien Journalismus

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Von: Patrick Schlereth

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Gesicht unter Wasser - ein visuelles Leitmotiv in "The Paper".
Gesicht unter Wasser - ein visuelles Leitmotiv in "The Paper". © The Paper/Netflix/Screenshot

Die erste kroatische Netflix-Serie "The Paper" warnt vor dem Niedergang der unabhängigen Berichterstattung. Der 25. Teil unserer Kolumne "Nächste Folge".

Ein tödlicher Unfall mit Fahrerflucht ist der Ausgangspunkt dafür, dass der Journalismus im kroatischen Rijeka vor die Hunde geht. Bauunternehmer Mario Kardum (Alexander Cvetkovic) lässt nicht nur seine Beziehungen spielen, damit die Ermittlungen zu dem Unfall eingestellt werden, den seine Mutter verursacht hat. Er kauft auch kurzerhand die letzte unabhängige Zeitung in der Hafenstadt auf, weil einer der Journalisten zu viele Fragen stellt.

Besagter Journalist heißt Andrej und beschäftigt sich neben seinen Recherchen im Polizeimilieu gerne mit hübschen Frauen. Seiner eigenen Gattin Alenka hat er nichts mehr zu sagen. Sein Job und seine Ehe sind in dem Moment dahin, in dem sie zur Chefredakteurin ernannt wird, anders gesagt: zur Marionette des neuen Besitzers. Bald stehen Wahlen an, und Unternehmer Kardum weist Alenka an, die angehende Präsidentschaftskampagne seines ewigen Widersachers Ludvig Toma?evic (Dragan Despot) präventiv in den Schmutz zu ziehen.

Netflix greift zu, die zweite Staffel kommt bald

Jener Toma?evic ist mindestens genauso skrupellos unterwegs und wird ebenfalls Wege finden, die Zeitung zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Sein Handlanger Marko überlässt Ehefrau Anja die Buchhaltung für die gemeinsame Scheinfirma, während er mit ihrer Schwester Dijana ins Bett geht, die als Reporterin bei der Zeitung hohes Ansehen genießt.

All diese Verwicklungen machen den Newsroom zu einem Ort, an dem weniger über journalistische Leitlinien sinniert wird als darüber, wie man sich mit dem nächsten Artikel rächen kann.

Kroatien steht in der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen aktuell auf Platz 69, Politik und Wirtschaft nehmen großen Einfluss auf die Medien. Entsprechend traf „The Paper“ (im Original „Novine“, kroatisch für „Zeitung“) beim Publikum einen Nerv, als die Serie 2016 im kroatischen Fernsehen startete. Mittlerweile ist sie auch auf Netflix in fast 190 Ländern abrufbar, als erste Serie in slawischer Sprache überhaupt. Der Streamingdienst produziert schon eine zweite Staffel.

Drehbuchautor ist Ivica Ðikic, der selbst als Zeitungsjournalist in Rijeka arbeitete, bevor er sich der Schriftstellerei widmete. Aber es hat nicht nur mit diesem Authentizitätsfaktor zu tun, dass „The Paper“ an die großartige Baltimore-Polizeiserie „The Wire“ erinnert – die mit dem ehemaligen Polizeireporter David Simon ebenfalls einen Insider als Autor zur Verfügung hatte. Auch „The Paper“ beleuchtet die Verwicklungen verschiedener Institutionen, in denen vom Präsidentschaftskandidaten bis zur kirchlichen Exzellenz so ziemlich jeder ein Geheimnis hat. In der ersten Staffelhälfte wird derart großzügig mit der Einführung neuer Figuren geprotzt, dass man schnell das Bedürfnis bekommt, einen Zettel zur Hand zu nehmen und die Konstellationen zu notieren. 

Bleibt zu hoffen, dass sich die Analogien zu „The Wire“ an dieser Stelle erschöpfen. Bei den Unruhen in Baltimore 2015 war viel darüber zu lesen, dass Autor David Simon schon Jahre vorher das Drehbuch für die Entwicklungen geliefert habe. Wenn „The Paper“ ähnlich visionär in die Zukunft schaut, dann sieht es düster aus für den Journalismus.

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