E-Government: Nur einmal zum Amt

Deutschland hängt in Sachen Digitalisierung hinterher. Die Verwaltungen sollen mit ehrgeizigen Programmen ins digitale Zeitalter befördert werden. Doch das ist einfacher gewollt als gemacht.
Das freudige Ereignis löst überall auf der Welt schlaflose Nächte aus. In Deutschland bringt die Geburt eines Kindes darüber hinaus jede Menge Papierkram mit sich. Wer Elterngeld beantragt, muss bis zu 17 Nachweise in seinen oder ihren Aktenordnern finden und den Behörden auf dem Postwege zuschicken. Dabei lägen in den Amtsstuben die meisten Dokumente bereits vor, meint Matthias Daub von der Unternehmensberatung McKinsey. Sie müssten nur abgerufen werden. In einem Gutachten für den Normenkontrollrat hat er ein Konzept entwickelt, wie Deutschlands Verwaltung im 21. Jahrhundert den Sprung ins digitale Zeitalter bewältigen könnte. Die Idee: Die bundesweit mindestens 124 Register, die Papiere sammeln, vernetzen sich.
Melderegister, Handelsregister, Steueridentifikationsnummer-Datenbank, örtliches Personenstandsregister – wenn all diese Stellen ihre Informationen untereinander austauschen, könnte sich der Alltag von Privatleuten und Unternehmen erheblich verändern und vereinfachen. In Ländern wie Österreich, Estland oder der Schweiz ist für die Bürger ein solcher Umgang mit dem Staat längst selbstverständlich. „Once only“, nur einmal, lautet das Prinzip, das in der neuen Legislaturperiode auch in Deutschland Einzug erhalten soll. Wer bei einer Behörde eine Heiratsurkunde oder den Sozialversicherungs-Nachweis einreicht, hat seine Schuldigkeit getan. Nicht mehr die Bürger müssen die Nachweise von einem Amt zum nächsten tragen, sondern die Verwaltungen tauschen die Dokumente untereinander aus.
Davon ist Deutschland weit entfernt. Hierzulande klopfen sich Politiker auf die Schultern, weil Autofahrer für die Stilllegung eines Pkw nicht mehr ihren freien Tag in der Kraftfahrtzulassungs-Stelle verbringen müssen. In dem digitalen Vorzeigestaat Estland brauchen die Menschen zehn Minuten, um bei einem privaten Verkauf den Besitzerwechsel zu melden und die Transaktion per digitaler Unterschrift zu bestätigen. Davon kann das wesentlich wirtschaftsstärkere Deutschland nur träumen. Zwar änderte die große Koalition das Grundgesetz, um die Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen in der Informationstechnologie zu erleichtern. Doch passiert ist wenig. Auch das 2013 beschlossene E-Government-Gesetz brachte nicht den Durchbruch.
Vor allem Union und FDP aber haben in ihren Wahlprogrammen ehrgeizige Vorhaben präsentiert und zugesagt, das einheitliche Bürgerkonto als Onlineportal für alle Verwaltungsdienstleistungen einzuführen. Allerdings warnt Gerhard Hammerschmid, Professor für Verwaltungsmanagement an der Hertie School of Governance in Berlin, ein einheitliches Bürgerportal, das Once only ermögliche, sei schön und gut. Worauf es jetzt aber ankomme, sei „keine weitere Strategie, sondern die Verwirklichung“. Bei internationalen Vergleichen der digitalen Leistungsfähigkeit landet das ökonomisch führende Euro-Land regelmäßig auf hinteren Plätzen. „Im Maschinenraum der digitalen Verwaltung muss kräftig aufgeräumt werden, wenn Deutschland zukunftsfähig bleiben will“, sagt Johannes Ludewig, Vorsitzender des Nationalen Normenkontrollrates. Das Gremium soll die Bundesregierung beim Bürokratieabbau unterstützen.
Derzeit kosten Behördengänge die Bundesbürger 84 Millionen Stunden pro Jahr. Fast die Hälfte dieser Zeit könnten sie laut McKinsey einsparen, wenn sie nicht im Keller nach Papieren suchen und nicht länger bei jeder Gelegenheit die Sonne und den blauen Himmel aus dem Wartezimmerfenster des Bezirksamtes oder Rathauses anschauen müssten. Bei den Unternehmen wäre das Potenzial sogar noch größer. Die stärkste Entlastung winkt der Verwaltung. Insgesamt brächte die Umstellung der Untersuchung zufolge einen Nutzen im Wert von sechs Milliarden Euro im Jahr, bei einmaligen Investitionsaufwendungen von zweieinhalb Milliarden Euro.
Was aber ist mit dem Datenschutz, wenn die Behörden sich vernetzen und die Dokumente online hin und her verschicken? Erfährt dann das Finanzamt alles, was der Bürger jemals bei einer irgendeiner Verwaltung angegeben hat? Davon wollen die Befürworter des neuen Konzepts nichts wissen. Erst einmal soll der Bürger die Kontrolle über seine Daten erhalten. Nur wenn er (oder sie) es ausdrücklich genehmigt, kann ein Amt bei einer anderen Verwaltungsstelle Nachweise einholen. Wer will, kann weiter alles per Papier und Post einreichen. Noch immer setzt die Maßstäbe für den Datenschutz ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 1983 zur Volkszählung.
Damals untersagten die Richter dem Staat, mit einheitlichen Identifikationsnummern personenbezogene Daten zu kennzeichnen. Solche Techniken, wie sie beispielsweise die Finanzämter strikt begrenzt auf ihre Zwecke mit der Steueridentifikationsnummer nutzen, sind aber Voraussetzung für eine Verknüpfung der Daten. Das wegweisende Urteil verbiete aber keinesfalls prinzipiell den Einsatz dieser Personenkennziffern, argumentieren Mario Martini und David Wagner von der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer in einer Stellungnahme für den Normenkontrollrat.
Die Rechtsprechung richte sich dagegen, durch das Anzapfen verschiedener Quellen Persönlichkeitsprofile zu erstellen. Sie untersage nicht wie in Österreich den Behörden, für ihre Aufgabe spezifische Personenkennziffern zu verwenden. Der Normenkontrollrat schlägt vor, das Verfahren direkt in die Kontrolle des Datenschutzbeauftragen zu geben – nur dessen Amt soll die brisanten Ziffern kennen.
Große Hoffnungen in das Projekt setzt auch das Statistische Bundesamt, das die Sammlung von Daten vereinfachen möchte. Behörden-Vize Georg Thiel schätzt, dass der deutsche Zensus die weltweit größte Erhebung von Daten sei. Damit bringt die Republik alle zehn Jahre ihre Statistiken auf den neuesten Stand. Die Grundlage bilden die Register der Ämter. Zudem marschieren Interviewer zu Haushalten für Befragungen. Auch das sei im 21. Jahrhundert nicht mehr zeitgemäß, so Thiel.
Das größte Problem ist die mangelnde Qualität der Register von heute. Sie sorgt dafür, dass der Zensus große Überraschungen mit sich bringt. So ergab sich beim letzten Mal, dass Berlin fast 200 000 Einwohner mehr aufweist als gedacht. Solch drastischen Abweichungen sollen durch die Digitalisierung der Vergangenheit angehören. Deutschland gebe 700 Millionen Euro für seinen Zensus aus. Andere Länder kämen mit wenigen Millionen aus. McKinsey beziffert die Einsparmöglichkeit auf fast neun Zehntel der bisherigen Ausgaben.