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Die dunkle Seite von Amazon

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Von: Boris Halva

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Gegenwind für Bezos: Erst am Mittwoch protestierten Hunderte in Long Island City gegen zwei Amazon-Standorte, die mit drei Milliarden Dollar subventioniert werden sollen.
Gegenwind für Bezos: Erst am Mittwoch protestierten Hunderte in Long Island City gegen zwei Amazon-Standorte, die mit drei Milliarden Dollar subventioniert werden sollen. © AFP

Bald ist Weihnachten ? und Amazon heuert Saisonarbeiter an, damit unsere Päckchen auch rechtzeitig verschickt werden. Johannes Bröckers hat ein kleines, wütendes Buch über den Online-Riesen geschrieben.

Herr Bröckers, ich habe mal nachgeschaut: Dieses Jahr habe ich noch kein einziges Mal bei Amazon bestellt. 
Ich genau einmal. Aber ich habe im Verlauf meiner Recherche tatsächlich mit einer Freundin gesprochen, die überhaupt noch nie bei Amazon gekauft hat. 

Dieses eine Mal, wissen Sie noch, was Sie da gekauft haben?
Hm, gerade nicht. Wahrscheinlich ein Buch. Obwohl, stimmt nicht, das war Fifa 18. 

Also eher leichter Stoff... Und dann mit Paypal bezahlt?
Nö.

Payback-Punkte gesammelt?
Nö.

Was ist mit Facebook? Twitter? Instagram?
Nein, keine Messengerdienste, keine sozialen Netzwerke. Nichts. Mich wundert ehrlich gesagt auch, dass nach der Cambridge-Analytica-Affäre nicht Millionen von Nutzern ihren Facebook-Account gelöscht haben. 

Vermutlich, weil die meisten denken: Was bitte soll an meiner Kommunikation interessant sein? 
Vermutlich aber auch, weil diese smarte Welt so wunderbar unsere Trägheit bedient. Ich bin ja selbst Kunde bei Amazon, auch wenn ich vermeide, dort einzukaufen. Nach meiner Recherche umso mehr. Und im Grunde ärgert es mich ja auch, dass ich diese Services nicht ruhigen Gewissens benutzen kann. Andererseits: Wie könnte denn ein Konzept aussehen, das mir die Wohltaten der Digitalisierung zugänglich macht, ohne dass dafür Hilfsarbeiter ausgebeutet werden oder ich dafür dauernd mit der totalen Überwachung meines Lebens zahlen muss? Aber das kleine Wörtchen smart kommt offenbar so nett daher, dass wir alle Zweifel oder Bedenken fahren lassen.

Sie haben sich für Ihr Buch „Schnauze, Alexa“ intensiv mit Amazon und dessen Gründer Jeff Bezos befasst. Sie legen dar, wie Bezos seinen Laden zum Marktführer gemacht hat, wie Zehntausende kleiner Händler ruiniert oder geschluckt werden, wie Amazon Gewinne kleinrechnet, bis das Unternehmen in Europa eine Steuerrückzahlung von 15 Millionen Euro bekommt. Angesichts der Wucht, mit der Amazon den Onlinehandel umgekrempelt hat, können ein paar Konsumverweigerer ja wohl nicht viel ausrichten... 
Amazon ist ja nicht der einzige smarte Laden im Internet. Aber Amazon ist ein gutes Beispiel, weil Jeff Bezos so marktradikal vorgeht. Da kann man alles ablesen, was ein Unternehmen an Schaden anrichten kann. Für diesen vermeintlichen Komfort, der uns da verkauft wird, bezahlen wir nicht nur mit unseren Daten, sondern mit unseren individuellen Persönlichkeitsrechten. Und wenn ich das ein bisschen weiter nach vorne spiele, dann wird mir Angst und Bange,.. 

Warum das?
Am Beispiel China kann man schon ablesen, was da kommen könnte. Der chinesische Staat will ja sein Bürgerbewertungssystem Citizen Scoring einführen. Und für die Verarbeitung der Daten nutzt er dann Alibaba, das chinesische Pendant zu Amazon. Problematisch ist dabei nicht nur, dass die Bürger mit einem Bonussystem klassifiziert werden, etwa 500 Millionen Chinesen machen ja sowieso schon mit bei Alipay und was Alibaba noch so an Dienstleistungen bietet. Bedrückend ist, dass Finanzgeschäft, Konsumwelt und Staat quasi schon ein Konstrukt sind. Wenn du kein Geld hast oder der Staat findet, du darfst aus bestimmten Gründen nicht mehr mitmachen, dann heißt es: Ein Klick und du bist draußen. Eine grauenhafte Vorstellung.

Kann es wirklich sein, dass Strukturen auf diese Weise verknüpft werden? 
Bei uns wohl nicht so schnell, aber das ist ja das Merkwürdige an China. Die sind vom Kommunismus direkt in so einen Überwachungskapitalismus gerutscht, mit dem Unterschied, dass der Staat das Volk eben nicht mehr über den Mangel, sondern über den Konsum steuert. Amazon funktioniert zwar ohne diese staatliche Komponente, aber degradiert uns doch genauso zu Konsumenten.

Wie das?
Indem versucht wird, alles über uns herauszufinden, was irgendwie nützlich ist, um uns zum Kauf anzuregen. Und wenn man das mal addiert, Amazon, Facebook, Google und wie sie alle heißen – die sammeln einen riesigen Datenschatz! 

Das ist bekannt. Aber was ist denn daran so problematisch?
Im Zuge meiner Recherche habe ich gelesen, dass im Pentagon überlegt wird, Daten von Behörden auch auf Amazon-Server auszulagern. Das ist natürlich Sache der Amerikaner, wenn sie das Wissen ihrer wichtigsten Behörden gewissermaßen privatisieren. Aber wenn man ein bisschen im Science-Fiction-Genre zuhause ist, fragt man sich schon: Was ist, wenn Jeff Bezos morgen so Doctor-No-Allüren entwickelt …

... und einfach mal den großen Knopf drückt.
Genau das ist der Punkt! Die meisten sehen nur dieses bunte Onlinekaufhaus, aber die eigentliche Kohle verdient Amazon mit seinen Webservices. 

Zwei Drittel des Umsatzes, wenn Ihre Recherchen stimmen.
Mehr als die Hälfte der DAX-Unternehmen haben ihre Daten auf solchen Servern liegen oder zumindest Teile ihrer IT ausgelagert. Das ist gefährlich! Woher nehmen die das Vertrauen, dass es da sicher ist? Und das ist die Frage – wenn man mal über Amazon hinaus schaut – die mir in unserer Diskussion über Digitalisierung in Deutschland viel zu kurz kommt. Wenn wir über autonomes Fahren reden, dann kriegen wir hier Autos gezeigt, die über die Autobahn fahren, ohne dass einer die Hand am Steuer hat. Geschenkt! Das ist doch keine Frage der Technik, das ist bekannt, wie es funktioniert. Der Knackpunkt ist: Dafür werden riesige Datenmengen verarbeitet. Wer hat nachher die Rechenzentren in der Hand? Wird autonomes Fahren über Amazon-Server oder Google-Server, meinetwegen auch VW-Server laufen? Oder sind das staatliche Rechenzentren, die das steuern? Wenn das alles über Amazon Webservices läuft, wäre es ja so, als würden wir auf einen Schlag die Autobahnen privatisieren. Zahlen wir dafür dann statt einer Maut einen Mobiltarif? Dafür, dass Amazon künftig nicht nur weiß, was wir gerne kaufen, sondern auch, wo wir rumfahren und was wir da machen?

Das klingt natürlich bedrohlich. Aber im Alltag ist Amazon doch total praktisch. Wir bekommen das Kindergeburtstagsgefühl frei Haus geliefert, Amazon ist so etwas wie unser Wirklichkeit gewordener Traum vom Schlaraffenland. Aber wenn wir nicht mitmachen wollen, wird es unbequem. Und wir müssen wieder zum Buchladen um die Ecke laufen. 
Ich bin in den Diskussionen auch immer an diesem Punkt der Entmutigung, der Hilflosigkeit gelandet. Die Leute sagen dann gerne: „Es ist nun mal so“. Nein, es ist eben nicht „nun mal so“. Das Internet hat sich in den letzten 30 Jahren so entwickelt, weil Leute wie Bezos, Zuckerberg und die Google-Brüder da mitgemischt haben. Punkt. Und wenn wir zwei hier sagen, der Jeff ist böse und behandelt auch noch seine Mitarbeiter schlecht, dann ist natürlich noch nichts erreicht. Dazu müssten wir unsere Accounts löschen und auf die Straße gehen! Ich habe während des Schreibens immer mal vor mich hingeträumt und gedacht: Wenn nur die 17 Millionen Amazon-Prime-Kunden aussteigen würden, dann wären das 130 Millionen Euro im Monat weniger für Jeff Bezos! Das ist mehr als eine Milliarde im Jahr. 

Das würde ihn ja vielleicht doch ärgern. 
Er würde zumindest mal hinschauen, was ist denn da los? 

Das macht er ja ohnehin. Oder wie sollte man das sonst deuten, wenn Andreas Weigend, ehemals oberster Amazon-Kundenprofiler, sagt, Amazon kennt seine Kunden besser als sie sich selbst? 
Dabei geht es darum, was Google auch schon versucht hat: Algorhythmen zu entwickeln, die es ermöglichen, die Zukunft vorherzusagen. Programme, die berechnen, was als nächstes passiert. Bei Amazon geht es eben um die Regelmäßigkeit der Einkäufe, bevorzugte Produkte, wie leicht lässt sich jemand beeinflussen ...

wie viele Leute kaufen einen Artikel, wenn in roter Schrift drunter steht: „Nur noch 2 auf Lager“? 
Ich habe jetzt, nachdem ich für meine Recherche häufiger auf der Amazon-Seite war, auch wieder alle zwei Tage eine Mail mit Empfehlungen im Postfach. Und wenn jetzt Amazon die Kreditkarte einführt, dann gibt es nicht nur Bonuspunkte, wenn ich bei Amazon einkaufe, sondern es gibt auch Bonuspunkte, wenn ich mein Frühstück im Café damit bezahle. Dann weiß Amazon also auch, in welchem Café ich gesessen habe. Das Kundenprofiling wird so beständig erweitert und immer umfassender. 

Kreditkarte heißt: Amazon steigt ins Bankgeschäft ein? 
Mit 300 Millionen Kunden, warum auch nicht? Amazon hat ja auch die fünftgrößte Frachtairline der Welt. Und wenn man schon so viele Flieger hat, kann man ja auch ins Reisegeschäft einsteigen. Und das macht Amazon immer nach demselben Prinzip: in den Markt einsteigen, den Markt dominieren und dann transformieren. So setzt sich das krakenartig fort.

Und jeder noch so kleine Einkauf stützt dieses System. 
Ich finde, da ist jetzt auch die Politik gefordert. Digitalisierung ist nicht bloß das schnelle Internet. Bei Künstlicher Intelligenz heißt es immer: Super Sache, schafft auch neue Arbeitsplätze. Aber wie viele verlorengehen, das weiß niemand. Wir müssen uns im Klaren darüber sein, dass die Zukunft, auf die wir uns einlassen, die Gegenwart wird, in der wir leben. Und in dieser Phase der industriellen Revolution vom Technischen ins Digitale hinein müssen wir doch ein paar grundsätzliche Fragen stellen dürfen. Denn wenn die Gewinne, die mithilfe der Automatisierung erwirtschaftet werden, wieder nur in den Taschen derer landen, die den Roboter gekauft haben, dann bleibt wieder nichts für die Gesellschaft. Deshalb finden Leute wie Jeff Bezos ja auch die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens so gut – denn dann können selbst die Leute, die keine Arbeit haben, bei ihnen einkaufen. Was anderes interessiert die dabei nicht. 

Sie schreiben, Bezos hat sich erfolgreich davor gedrückt, in Seattle, dem Stammsitz seines Unternehmens, eine kleine Zusatzsteuer zu bezahlen, mit der Sozialwohnungen hätten finanziert werden sollen. Diese Steuer hätte 20 bis 30 Millionen im Jahr ausgemacht – angesichts aktuell geschätzter 150 Milliarden Dollar Privatvermögen hätte das Bezos überhaupt nicht weh getan. Und in New York sind vor ein paar Tagen Hunderte Menschen auf die Straße gegangen, um gegen zwei neue Standorte von Amazon zu protestieren, die mit knapp drei Milliarden Dollar aus öffentlichen Kassen finanziert werden sollen. Immerhin etwas Gegenwind, könnte man sagen.
Immerhin. Aber er könnte die Standorte ja auch selbst bauen. Genauso, wie er die Sozialwohnungen hätte selbst bauen können! Er könnte auch viel mehr anständig bezahlte Jobs schaffen, er könnte Umweltschutzprojekte und so vieles mehr anstoßen – aber der soziale Gedanke hat in seiner Welt ganz offensichtlich keinen Platz.

Immerhin erhöht er jetzt die Löhne für seine Mitarbeiter...
Das dachte ich auch zuerst. Aber er bezahlt die 15 Dollar pro Stunde ja nicht, weil er plötzlich gemerkt hat, gute Arbeit sollte anständig bezahlt werden. Er macht das, um pünktlich zum Weihnachtsgeschäft die Konkurrenz zu schwächen. Denn indem er mehr zahlt – wofür er ja sogar von Bernie Sanders gefeiert wurde -, kriegt er die guten Leute. Und damit passt es wieder zum marktradikalen Jeff, der sagt: „Ich muss die Konkurrenz plattmachen.“ Das ist sein Ding!

Fatalerweise kriegen wir kaum etwas mit von der Zerstörung, die Amazon anrichtet, jenseits unserer kleinen Bildschirme, auf denen wir unsere Einkaufswagen vollladen... 
Na sicher. Würden wir das, was Amazon macht, nicht als smarte Internetdienstleistung mit Sofortlieferservice bezeichnen, sondern als totalitären Überwachungskapitalismus, dann würden die Menschen schon ins Grübeln kommen. Oder nehmen Sie Alexa, unsere smarte Alltagsmanagerin. Wer würde sich dieses Gerät freiwillig ins Haus holen, wenn Amazon mit dem Slogan „Alexa, die formschöne Superwanze mit sieben hochempfindlichen Richtmikrofonen“ anpreisen würde? Oder auch die Amazon-Go-Märkte: Es mag Leute geben, die froh sind, nicht mehr an der Kasse stehen zu müssen. Aber wenn ich dafür mit Sensoren und Kameras mit Gesichtserkennung überwacht werde, frage ich mich schon: Kann das sein? Darf das sein? Übrigens hab ich gerade gelesen, diese Gesichtserkennungs-Software „Amazon Rekognition“, die in den Amazon Go Läden eigesetzt wird, die verkauft Jeff jetzt auch an die US-Polizei.

Da Sie gerade die smarte Überwachung in den kassenlosen Shops erwähnen: Wer online einkauft, muss sich damit nicht auseinander setzen – schon jetzt shoppen 61 Prozent der Deutschen überwiegend online und mögen auf dieses bequeme Einkaufen auch gar nicht mehr verzichten. Und da haben wir noch nicht drüber gesprochen, wie viele der spontan per Klick georderten Waren am nächsten Tag wieder zurückgeschickt werden…
Es ist ein Irrsinn! Wir brauchen nicht alles sofort! Aber das ist eine riesige Massenkonditionierung. Amazon macht den Prime-Day und es kommen sieben Millionen Bestellungen rein, an einem Tag! Da wird ein Reiz gesetzt – und alle springen drauf an. Deswegen habe ich mich irgendwann an das Bild von Mastfabriken erinnert. Die Kühe wissen, wenn es biep macht, da kommt das Futter – und alle stürzen an den Trog. Und wir glauben immer noch, wir handeln souverän. Aber souverän wäre doch eher der Impuls, zu sagen: ich kaufe heute gar nichts! 

Apropos kaufen: Kann man Ihr Büchlein eigentlich auch bei Amazon bestellen? Oder gibt es das nur im, wie sagt man so schön, stationären Buchhandel?
Sowohl als auch. Lustigerweise stand mein Buch kurz nach Erscheinen Anfang November auf der Amazon-Bestseller-Liste auf Platz zehn Millionen. Hab noch nie einen Artikel gesehen, der auf diesem Platz steht. 

Womöglich hat Jeff Bezos dafür gesorgt, dass es automatisch immer ganz unten steht – kritische Anmerkungen wischt er ja  gern beiseite …
Wer weiß. Aber wir haben das Buch jetzt noch schnell ins Englische übersetzen lassen und als E-Book auf die Amazon-Seite gestellt. Den Spaß wollten wir uns dann doch nicht entgehen lassen.

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