Cate Blanchett: „Ich weigere mich, andere Schauspielerinnen als Konkurrenz zu sehen“

Cate Blanchett gilt als Favoritin für den Oscar: Im Film „Tár“ spielt sie eine Dirigentin, die als Erste ihrer Zunft ein großes deutsches Orchester leitet. Ein Gespräch über hartnäckige Rollenklischees und die Art, wie sie Musik nun anders wahrnimmt. Von Patrick Heidmann
Einmal mehr beweist Cate Blanchett in ihrem neuen Film „Tár“ von Todd Field, dass sie zu den größten Schauspielerinnen unserer Zeit gehört. Kein Wunder, dass die Australierin, die sich auf Blockbuster von „Der Herr der Ringe“ bis „Thor: Ragnarok“ genauso versteht wie auf anspruchsvolle Dramen à la „Carol“ oder Serien wie „Mrs. America“, für ihre Rolle als Dirigentin gerade mit dem Golden Globe und dem British Academy Film Award ausgezeichnet wurde und zum achten Mal für den Oscar nominiert ist. Zweimal – für „Aviator“ sowie „Blue Jasmine“ – hat die Mutter von drei Söhnen und einer Adoptivtochter den wichtigsten Filmpreis bereits gewonnen.
Ms. Blanchett, in Ihrem aktuellen Film „Tár“ geht es um eine Dirigentin, die zu den ganz Großen ihrer Zunft gehört und am Ende tief fällt. Lydia Tár ist eine ziemlich komplexe, oft schwierige Frau mit großem Ego, die vielfach aneckt und womöglich auch ihre Machtposition missbraucht. Mögen Sie sie?
Darüber denke ich, ehrlich gesagt, gar nicht nach. Ist sie sympathisch? Ist sie attraktiv? Irgendwie thematisieren wir das immer nur bei Frauenfiguren, nie bei Männern. Das war schon zu Beginn meiner Karriere so, und eigentlich hat sich bis heute daran nichts geändert. Ich fühle mich immer wie beim Murmeltiertag, das ist ganz schön frustrierend. Viel wichtiger als die Person war für mich sowieso die Position, in der sie sich befindet, und die Krise, in die sie gerät. Nicht zuletzt, weil der Film ja nie aufklärt, ob oder was sie genau getan oder beabsichtigt hat. Das wird sehr bewusst im Vagen gehalten, was „Tár“ auch zu einem spannenden Rohrschachtest für die eigene Meinungsbildung macht. Eine Person suggeriert diese, eine andere jenes, aber tatsächlich sehen tun wir eigentlich nichts.
Als Schauspielerin ist Ihnen ein Machtgefühl wie das, an der Spitze eines der wichtigsten Orchester der Welt zu stehen, vermutlich eher fremd, oder?
Sie meinen das Gefühl, Einfluss zu haben und bestimmte Geschicke lenken zu können? Mein Mann Andrew und ich leiteten immerhin für mehrere Jahre die Sydney Theatre Company, die in Australien so etwas wie das Nationaltheater ist. Da leiteten wir ein Team von 250 Mitarbeiter:innen, brachten 19 Stücke pro Jahr auf die Bühne und waren natürlich auch für die Personalabteilung zuständig. Das war schon eine enorme Verantwortung, finanziell wie künstlerisch, und einen gewissen Eindruck habe ich durchaus davon bekommen, wie einsam einen das machen kann. Je mehr man sich um die wirtschaftliche Seite kümmern muss, desto mehr entfernt einen das von der Kunst. Wobei ich übrigens mal hinterfragen möchte, wie weit es mit Lydia Társ Macht überhaupt her ist. Klar, sie steht diesen Musiker:innen und ihrem Team vor und ist somit quasi die Spitze der Pyramide. Aber dort platziert hat sie schließlich der Vorstand dieser Institution. Das letzte Wort hat, wie wir ja auch sehen, nicht die Person auf dem Podium, sondern die Königsmacher:innen dahinter.
Hatten Sie schon vor dem Film einen Bezug zu klassischer Musik? Oder wie haben Sie sich in diese Dirigentinnen-Rolle hineingefühlt?
Ich habe einen sehr eklektischen Geschmack und liebe die unterschiedlichsten Arten von Musik. Es kommt auch immer wieder vor, dass mich Musik für meine Rollen inspiriert und ich mich mittels eines bestimmten Stücks oder Songs einer Figur nähere. Aber in diesem Fall brauchte es natürlich mehr als das. Ich musste verstehen, wie sie sich im Raum bewegt – und dafür ganz praktische Dinge lernen: Tempi angeben, mit dem Orchester mittels Gesten kommunizieren, die richtige Körperhaltung einnehmen et cetera. Manches davon habe ich ganz intuitiv verstanden, dank meiner langen Jahre auf der Bühne. Auch die Arbeit im Ensemble war mir nicht fremd. Aber ich bin eben keine Musikerin und erst recht keine Dirigentin.
Hatten Sie also Respekt vor dieser Aufgabe?
Oh ja, das ging schon mit einem gewissen Druck einher. Zumal wir – anders als ich es gehofft hatte – all die Orchester-Szenen nicht ganz am Ende der Dreharbeiten filmten, sondern gleich zu Beginn. Da hätte ich gerne noch mehr Zeit zum Üben gehabt. Aber ich muss sagen, dass die Dresdner Philharmoniker, mit denen wir drehten, nicht nur herausragende Musiker:innen waren, sondern auch enorm großzügig und geduldig. Dass ich gemeinsam mit ihnen musizieren durfte, war aufregend und eine große Ehre. Wobei wir vielleicht auch noch betonen sollten, dass „Tár“ trotz all diese Themen letztlich weder ein Film über das Dirigieren noch über klassische Musik ist.
Zur Person
Der Durchbruch als Charakter-Darstellerin gelingt Cate Blanchett, geboren am 15. Mai 1969 im australischen Melbourne, Ende der 1990er Jahre mit ihrer Oscar-nominierten Hauptrolle in „Elizabeth“. Seitdem arbeitet sie regelmäßig mit renommierten Regisseuren wie Tom Tykwer, Steven Soderbergh und David Fincher. Als Galadriel in Peter Jacksons „Der Herr der Ringe“-Trilogie landet Blanchett einen großen Blockbuster-Erfolg, mit ihren Auftritten in „Babel“ und „I’m Not There“ baut sie zugleich ihre Präsenz im Arthouse-Kino weiter aus. In bislang mehr als 70 Film- und Fernsehproduktionen ist sie zu sehen und wird mit mehr als 150 internationalen Film- und Festivalpreisen geehrt.
Ihr Film „Tár“ , in dem Blanchett unter anderen mit der deutschen Filmgröße Nina Hoss spielt, läuft seit vergangenem Donnerstag in den Kinos, die Oscar-Verleihung findet am 13. März (1 Uhr deutscher Zeit) statt. FR
Trotzdem noch eine weitere musikalische Frage: Hören Sie seither Musik anders?
Interessanterweise ja, tatsächlich. Als Schülerin hatte ich eine Freundin, deren Onkel Opernkritiker war, und wenn wir dort mal zum Mittagessen waren, war es im ganzen Haus mucksmäuschenstill. Mich hat das gewundert, und ich fragte, ob er denn gar nicht nebenbei Musik höre. Seine Antwort war, dass man Musik nicht im Hintergrund laufen lasse, sondern sich ihr widmen müsse. Seit der Arbeit an „Tár“ habe ich das endgültig verinnerlicht. Wenn ich jetzt ein Album auflege, dann setze ich mich hin und höre wirklich zu. Vor allem natürlich bei Mahler, der ja im Film eine zentrale Rolle spielt. Und ich glaube, ich nehme da auch gewisse Details und Kleinigkeiten wahr, die ich früher vermutlich nicht gehört hätte.
Für die Rolle sind Sie für den Oscar nominiert und gelten vielen als Favoritin. Trotzdem sagten Sie bei den US-Critics Choice Awards, Sie würden kompetitive Schauspiel-Preise am liebsten abschaffen. Pfeifen Sie auf Auszeichnungen?
Nun ja, in solchen Momenten der Überwältigung drücke ich mich vielleicht nicht immer sorgfältig genug aus. Gerade in Zeiten wie diesen, in denen das Kino ganz schön geplagt ist und viele kleine Häuser in der Pandemie zumachen mussten, ist es natürlich wundervoll, zu solchen Veranstaltungen zusammenzukommen und die vielfältigen Visionen unserer Branche zu feiern. Gerade von den eigenen Kolleg:innen für seine Arbeit geehrt zu werden, ist wundervoll. Und dass ein komplexer Film wie „Tár“, den man durchaus als ein gewagtes Experiment sehen kann, nicht zuletzt dank der Kritiker:innen in dieser Oscar-Konversation auf Augenhöhe mit großen Mainstream-Produktionen steht, ist etwas, wofür ich sehr dankbar bin.
Aber?
Nun, was mir daran nicht gefällt, ist die Tatsache, dass es immer ein Vergleichen von Äpfeln und Birnen ist, und man sagen soll, wen man am liebsten mag. Ich selbst habe im vergangenen Jahr mindestens zehn Filme gesehen, die ich exzellent fand, und eine Vielzahl von Schauspielleistungen, die preisverdächtig sind. Wie soll ich da sagen, wer besser war als die anderen? Und was ist dadurch gewonnen? Ich weigere mich einfach, meine Kolleginnen als Konkurrenz zu sehen. Gerade wir Frauen werden diesbezüglich noch viel mehr als die männlichen Schauspieler immer direkt einander gegenübergestellt, in der Hoffnung auf einen Zickenkrieg oder so. Aber da mache ich einfach nicht mit.
Würden Sie denn im Rückblick sagen, dass Lydia Tár Ihre bislang vielleicht größte Herausforderung als Schauspielerin war?
Hm … Ja, wahrscheinlich war sie das. Zumindest war ich von ihr völlig in Beschlag genommen und hatte eine ganze Weile keinen Raum für etwas anderes. Okay, ich habe vielleicht meine Tochter zur Schule gefahren und abends was gekocht. Aber das war es dann auch. Ansonsten war ich vollkommen absorbiert von dieser Figur und all den Fragen, die im Film aufgeworfen wurden. Psychologisch war das schon eine Herausforderung, mit der ich gedanklich auch durchaus immer noch beschäftigt bin. Aber gleichzeitig wurde mir die Aufgabe auch leicht gemacht dadurch, dass ich mit dem Regisseur Todd Field und Nina Hoss auf Gleichgesinnte stieß, dank denen diese Arbeit zur vielleicht spannendsten meines Lebens wurde.
Wenn Sie sagen, Sie seien noch immer mit dieser Rolle beschäftigt, heißt das dann, dass Sie sie nicht loswerden?
Nein, denn das versuche ich gar nicht erst. Wenn man so viel Zeit mit einer Figur verbringt, egal ob beim Film oder am Theater, dann werden Teile davon immer bei einem bleiben. Für mich ist das die große Freude an diesem Beruf: ich wachse mit den Rollen, die ich spiele, und lerne durch sie dazu. Der Gedanke, sie so schnell wie möglich loswerden zu wollen, liegt mir völlig fern.