Die Breitband-Illusion

Ziele für den Ausbau der Daten-Autobahn dürfen nicht nur formuliert werden. Sie müssen überprüft und schärfer verfolgt werden. Der Gastbeitrag.
Seit vier Jahren betont der Bundesverkehrsminister, wie wichtig die digitale Infrastruktur für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft sei und stellt Steuern in Milliardenhöhe für den Ausbau zur Verfügung. Bis 2025 soll es hochleistungsfähige Netze mit Geschwindigkeiten im Gigabit-Bereich geben, also über zehnmal mehr als das aktuelle Ziel von 50 Megabit pro Sekunde (Mbit/s).
Beim Breitbandausbau hinkt die Republik allerdings international hinterher. Trotz spürbarer Fortschritte klafft weiter eine digitale Lücke. Die versprochenen 50 Mbit/s für jeden Haushalt bis 2018 werden nicht erreicht. Die Abdeckung der Haushalte mit dieser Geschwindigkeit liegt derzeit bei 77 Prozent. Dabei ist das Ausbauproblem noch der angenehmere Teil. Das größere Problem: Nur ein Bruchteil der Internetnutzer bekommt die Geschwindigkeit, die ihnen vertraglich versprochen wird. Dies fand die Bundesnetzagentur heraus. Das bedeutet, dass selbst der vermeintliche Erfolg der Breitbandpolitik (Dreiviertel der Haushalte sind bereits mit 50 Mbit/s versorgt) nur eine Illusion ist.
Überlastete Netze frustieren
Der Frust vieler Internetnutzer ist nachvollziehbar. Der deutliche Unterschied zwischen der im Vertrag vereinbarten und der tatsächlichen Geschwindigkeit ist ein zunehmendes Problem für Millionen Verbraucher. Sie zahlen für einen schnellen Internetanschluss und trotzdem ruckelt der Videostream. Unternehmen und kleinere Betriebe sind ebenfalls betroffen. Schwankungen in der Leistung sind schlecht für das Geschäft.
Insbesondere zu den Tageszeiten, in denen das Internet am meisten gebraucht wird, ist die Geschwindigkeit am niedrigsten. Das liegt hauptsächlich daran, dass unsere Netze überlastet sind. Die Kapazitäten reichen nicht aus, um die Spitzen in der Nachfrage decken zu können. Dies führt dazu, dass Videos ruckeln oder Internetseiten nur sehr langsam geladen werden.
Der Widerspruch zwischen den vermeintlichen Erfolgen beim Netzausbau und den zunehmenden Problemen bei der Leistungsfähigkeit der Datennetze steht beispielhaft für ein Kernproblem unserer derzeitigen Breitbandpolitik. Alle vier Jahre setzt sich die Politik ehrgeizige Ausbauziele ohne aber ernsthaft zu überprüfen, wie leistungsfähig die Infrastruktur ist, die Telekommunikationsunternehmen und Kommunen mit Hilfe von Steuern unter der Erde verlegen.
Markt im Internet gefährdet
Zwar gibt es seit einiger Zeit Bemühungen der Bundesnetzagentur die Qualität breitbandiger Internetanschlüsse zu messen, dies deckt jedoch nur einen Teil der digitalen Infrastruktur ab und reicht bei weitem nicht aus, um die vielschichtigen Probleme beim schnellen Datentransport zu analysieren.
Wir wissen zu wenig über die Leistungsfähigkeit der digitalen Infrastruktur. Es mangelt vor allem an öffentlich zugänglichen und international vergleichbaren Daten, die anhand fester Standards und transparenter Methoden gemessen werden.
Eine Breitbandpolitik ohne eine Datengrundlage können wir uns nicht leisten. Besitzt der Staat keine detaillierten, unabhängig erhobenen und aktuellen Daten über die Netze, lässt sich der Fortschritt des Breitbandausbaus nicht ehrlich überprüfen. Bei anderen Infrastrukturen ist das selbstverständlich. Nicht umsonst gibt es in Deutschland über 20 wissenschaftliche Einrichtungen, die sich ausschließlich mit der Entwicklung der Verkehrsnetze beschäftigen.
Auch können ohne Messungen Probleme wie Internet-Staus von den Internet-Anbietern monetarisiert werden, anstatt dass sie effektives Verkehrsmanagement betreiben. Das führt nicht nur zu erheblichen Leistungseinbußen, sondern gefährdet den offenen Markt im Internet: Gegen Bezahlung können Internet-Unternehmen ihren Nutzern auch bei hoher Auslastung ein einwandfreies Nutzererlebnis bieten, indem sie sich beim Internet-Anbietern einen priorisierten Zugang zum Kunden kaufen. Gibt es solche Absprachen, wird dadurch der Wettbewerb verzerrt.
In den nächsten vier Jahren müssen beim Breitbandausbau weiter ehrgeizige Ziele gesteckt werden. Für eine digitale Infrastrukturpolitik reicht es aber nicht aus, bloß sicherzustellen, dass eine schnelle Verbindung theoretisch in jedem Haus und jedem Geschäft zur Verfügung steht. Wir müssen in der Lage sein die Leistungsfähigkeit der digitalen Infrastruktur zu messen und die Netzwerkbetreiber und deren Zusagen zu kontrollieren.
Was nicht gemessen wird, kann auch nicht kontrolliert werden – so lautet der Grundsatz. Die Bundesnetzagentur hat bereits mit dieser Arbeit begonnen und dabei ernsthafte Probleme enthüllt. Nach fast einem Jahrzehnt der Versprechen in der Breitbandpolitik ist es Zeit für die Regierung, mit Lösungen Ernst zu machen.