Banksy sprüht Graffitis für ein Ende des Ukraine-Kriegs
Mit seinen Bildern in der Ukraine verteidigt der Künstler Banksy einen künftigen Frieden – ohne in Gesinnungspazifismus zu verfallen wie das viele andere tun.
Kiew – Zum Jahrestag des russischen Angriffs hat die Ukraine eine Briefmarke mit einem Motiv des Streetart-Künstlers Banksy herausgegeben. Das Bild, das aus der Ukraine in die Welt geschickt werden soll, zeigt einen Judo-Kampf. Ein Winzling ringt einen Riesen nieder. In anderen ukrainischen Arbeiten zeichnet Banksy Friedensutopien. Damit stiftet er nicht nur Hoffnung, er trägt auch zur Realisierung eines guten Friedens für die Ukraine bei.
An den Orten der Zerstörung begegnen Banksys Bilder unverhofft. Sie eröffnen Erfahrungen, die im Alltag des Krieges keinen Platz haben. Auf den Ruinen zerbombter Häuser lässt der Graffiti-Künstler junge Mädchen turnen und tanzen, einen älteren Herrn genüsslich ein Vollbad nehmen und auf einer Panzersperre kleine Kinder wippen. Diese Darstellungen von Momenten des Glücks berühren.
Das gesprayte Glück greift auf die Betrachtenden über. Man riecht den Duft des Badeschaumes förmlich, verfolgt die tanzenden Bewegungen der älteren Mädchen, sieht die Zöpfe des jungen Mädchens im Auf-und-Nieder der Wippe hüpfen und hört das Juchzen der Kinder beim Spiel. Damit eröffnet Banksy erfüllte Augenblicke, in denen die Zeit stillzustehen scheint. Man vergisst sich an das Mit-Baden, Mit-Tanzen und -Spielen. Für Momente gewinnt man Distanz zu den Logiken des Krieges, einen Blick von außen.
Banksys Graffiti laden nicht zu Weltflucht ein
Zugleich kann Banksy mit den Mitteln der Streetart die Rückbindung seiner Friedensträume ins Hier und Jetzt des Kriegs wahren. Seine Graffiti laden nicht zur Weltflucht ein, zeichnen keine utopischen Sehnsuchtsorte, an die man sich aus der schlechten Wirklichkeit wegträumen konnte. Banksy rückt vielmehr die Gegenwart in neue Kontexte ein. Phantastische Kinder lässt er eine wirkliche Panzersperre in ein Spielzeug verwandeln, fiktive Mädchen reale Kriegsruinen zu einem Tanzpodest umbauen. Damit überlässt er der Gegenwart in all ihrer Zerstörung, Verzweiflung, in ihrem Leid und Tod nicht das letzte Wort. Der Gegenwart ‚er-sprayt‘ er eine Zukunft des Friedens.

Indem Banksys Bilder das Glück zukünftigen Friedens augenblickhaft bereits jetzt fühlen lassen, vermitteln sie Hoffnung, Zuversicht. Dabei verbreiten sie keine platten Durchhalteparolen. Banksys Arbeiten beeindrucken vielmehr, indem sie Hoffnung nicht nur stiften, sondern zugleich auch erneuern. Sie üben damit eine Aufgabe aus, an deren Erfüllung Ernst Bloch – im amerikanischen Exil während des Nationalsozialismus – den Wert moderner Philosophie bemessen wollte. Bloch wusste nämlich: um in Situationen der Zerstörung soziale Verbesserungen anzuregen, genügt es nicht, Hoffnung zu nähren. Gerade im Krieg kann blinde Hoffnung Zerstörungswut befördern, eine Zukunft des Friedens verhindern. Entscheidend ist es deswegen nach Bloch, Lernprozesse des Hoffens anzustoßen. Genau dies vermag Banksy, indem er Menschen auf den Wahrzeichen des Krieges spielen, turnen, tanzen lässt.
Er macht die Ruinen des Krieges als die Zukunft sichtbar, auf, die militaristische Hoffnungen zusammen mit ihrem Ziel einer Vernichtung des Feindes zulaufen. Und zugleich weckt er alternative pazifistische Hoffnungen: auf eine Zukunft nachhaltigen guten Friedens, die die Gegenwart der Aggression und Zerstörung ablöst. Mit seiner Hoffnungskultur leistet Banksy inmitten des Krieges Orientierung. Er verleiht einem umsichtigen, vorsichtig tastenden Pazifismus das Wort. Mit seinen Graffiti verteidigt er künftigen Frieden – ohne deswegen in einen naiven Gesinnungspazifismus à la Wagenknecht und Schwarzer zu verfallen.
Banksy widersetzt sich Ideologie
Er widersetzt sich ideologischen Beschönigungen von Waffengewalt wie der Behauptung unserer Außenministerin, dass „unsere Waffen helfen, Leben zu retten“ – ohne deswegen indirekt dem Aggressor Russland in die Karten spielen. Dieser Drahtseilakt gelingt Banksy, indem er mit seinen gesprayten Friedensutopien keine Antworten gibt, sondern Fragen aufwirft. Inmitten all der scheinbaren Selbstverständlichkeiten und Gewissheiten, die die Freund-Feind-Gegenüberstellungen des Krieges auch hierzustande stiften, schafft er Freiräume der Ungewissheit, des Zweifelns und Nachfragens.
Indem er an den Endzweck des Friedens erinnert, fordert der Streetart-Künstler Banksy alle direkt oder indirekt am Krieg Beteiligten dazu auf, ihr eigenes Vorgehen zu überprüfen: kritisch zu unterscheiden, womit sie eine Zukunft des Friedens befördern und womit sie sie verbauen. Nicht zuletzt das David-gegen-Goliath-Motiv der ukrainischen Briefmarke zeigt deutlich, dass sich Banksys Anfragen in erster Instanz an Russland richten. Seine Graffiti offenbaren die Grausamkeit der russischen Aggression, indem sie das kleine Glück des Tanzens, Spielens, Badens als Gegenstand der Sehnsucht darstellen. Zugleich lassen sie die Vergeblichkeit des russischen Angriffskriegs in Erscheinung treten: dass Russland mit all seiner militärischen Gewalt das ukrainische Freiheitsstreben nicht wird ausmerzen und das eigene Sicherheitsstreben langfristig nicht durch Unterwerfung der Ukraine, sondern nur mit dieser gemeinsam wird befriedigen können.
Von Banksys gesprühten Friedensträumen gehen allerdings auch kritische Anfragen an den Westen und sogar an die Ukraine aus – und zwar: ohne dabei den russischen Bruch des Völkerrechts kleinzureden, ohne das ukrainische Recht auf Selbstverteidigung zu negieren und ohne die politische Pflicht des Westens zu bestreiten, der Ukraine beizustehen.
Fragen des Maßhaltens
Es sind Fragen des Maßhaltens und des umsichtigen Urteilens. Als kritische Instanz sind sie notwendig. Sie helfen, die Grenzen abzustecken, in denen die ukrainische Selbstverteidigung und die westliche Unterstützung künftigen Frieden befördern – und nicht den Eigendynamiken von Gewalt und Gegengewalt anheimfallen. Gegenüber der Ukraine kann im Lichte künftigen Friedens aktuell etwa die Frage aufkommen, ob ihre Forderung nach den völkerrechtlich geächteten Streubomben klug ist.
Hierzulande sind freilich insbesondere die Anfragen an den Westen von Relevanz. Gemessen am Ziel der Friedensförderung treten die Widersprüche der westlichen Militärhilfe hervor. Der Westen kann nicht wollen, dass Russland mit seinem Angriff erfolgreich ist – und unterstützt die Ukraine mit Waffen. Angesichts der russischen Nukleardrohungen kann er aber auch keine Kapitulation Russlands wollen – und stattet die Ukraine militärisch nicht in dem Umfang aus, der sie zu einer vollständigen Rückeroberung ihrer Gebiete befähigte. In diesen Ambivalenzen laufen westlichen Militärhilfen Gefahr, einen langandauernden Stellungskrieg zu befeuern.
Olivia Mitscherlich-Schönherr lehrt an der Hochschule für Philosophie in München Philosophische Anthropologie mit Schwerpunkt auf Grenzfragen des Lebens.
Darüber hinaus zeigen sich im Lichte des künftigen Friedens die politischen Widersprüche des westlichen Ukraine-Engagements: parallel zur Solidarisierung mit der Ukraine auch die Rolle des außenstehenden Vermittlers zu beanspruchen und in eurozentrischer Selbstbespiegelung Versuche der Friedensvermittlung durch neutrale Staaten aus dem globalen Süden zu blockieren.
Die deutsche Öffentlichkeit täte gut daran, sich Banksys gesprayten Friedensutopien auszusetzen. In den Freiräumen des Zweifelns und Fragens, die Banksy eröffnet, ließen sich vereinfachenden Blockbildungen und Verminungen der öffentlichen Debatten entschärfen. In pluralistischen Diskussionen wären Möglichkeiten zu erkunden, die aktuellen Widersprüche des deutschen Ukraine-Engagements zu überwinden. Es muss um Beiträge zu einer global orchestrierten Friedenspolitik gehen – um der Ukraine zu dem Frieden zu verhelfen, dessen Glück bei Banksy aufscheint. (Oliver Mitscherlich-Schönherr)