Ukrainischer Außenminister bei Anne Will (ARD): „... dann werden wir mit Schaufeln kämpfen“

Anne Will (ARD) stellt die Frage zum Ukraine-Krieg, die seit Wochen die deutsche Öffentlichkeit beschäftigt, und erhält unterschiedliche Antworten.
Berlin – Ursula von der Leyen, Präsidentin der EU-Kommission, ist bekannt für ihren bisweilen salbungsvollen Tonfall. Der verdeckt hin und wieder, zu welcher Härte die Frau fähig ist. So predigt sie immer mal wieder von den europäischen Werten und ließ trotzdem zu, dass die EU-Agentur Frontex Migrant:innen auf dem Mittelmeer in den sicheren Tod schickte. Jetzt wurde sie per Video von Anne Will (ARD) zu den Beitrittswünschen der Ukraine befragt, und da durfte eine Formulierung wie die „moralische Verpflichtung“ Europas, der Ukraine beizustehen, nicht fehlen.
Doch die andere Seite der Medaille kam in von der Leyens Aussagen eben auch zum Vorschein. Natürlich müssten alle Voraussetzungen erfüllt sein, der Aufnahmeprozess hänge aber vor allem vom Bewerber ab. Als Beispiel verwies die CDU-Politikerin auf die Slowakei. Die habe sich „unglaublich zusammengerissen“ im Beitrittsprozess.
Anne Will (ARD): Außenminister Kuleba gibt sich diplomatisch zu EU-Beitritt
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba, ebenfalls bei Anne Will zugeschaltet, musste sich angesichts auch solcher Formulierungen an diesem Abend als Meister-Diplomat zeigen. So erklärte er nur höflich, sein Land könne zu einer Vision von Europas Entwicklung beitragen. Diese Perspektive kam bei der Kommissionspräsidentin nicht vor.
Dafür bei Claudia Major, derzeit (zu Recht) ein gefragter Gast in diversen Talkshows. Sie gemahnte in der ARD, dass eine innere Reform der EU nötig sei, denn wenn die Gemeinschaft in ihrem jetzigen Zustand verharre, werde sie sich, so Majors Antwort auf eine Frage Anne Wills, mit einer Erweiterung überheben.
Anne Will am 19. Juni | Die Gäste der Sendung |
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Ursula von der Leyen (CDU) | EU-Kommissionspräsidentin |
Dmytro Kuleba | Außenminister der Ukraine |
Michael Müller (SPD) | MdB und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss |
Johann David Wadephul (CDU) | Stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für den Bereich Auswärtiges, Verteidigung |
Claudia Major | Leiterin der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin |
Christoph Schwennicke | Journalist |
Auch Johann Wadephul gab sich überzeugt, ein EU-Beitritt der Ukraine werde Europa stärker machen können, zumal in Hinblick auf den Konkurrenten China, während Michael Müller daran erinnerte, dass andere Kandidaten „nicht verprellt“ werden dürften.
Und dann ging es um das leidige Thema der Waffenlieferungen. Erneut war Kulebas diplomatisches Geschick gefragt, als Anne Will ihn fragte, warum Deutschland nicht geliefert habe. Er antwortete, dass er Olaf Scholz (SPD) als „sehr entgegenkommend“ erlebt habe bei dessen Besuch. Aber er sagte auch: „Deutschland könnte mehr tun.“ Um dann deutlich zu machen, dass Entgegenkommen nicht genügt. „Wenn wir keine Waffen bekommen, werden wir uns mit Schaufeln wehren, denn wir kämpfen um unsere Existenz.“ Denn je später Waffen kämen, desto mehr Menschen würden sterben. Er bezifferte die Kräfteverhältnisse im derzeit so heftig umkämpften Sjewjerodonezk bei Artilleriewaffen mit einer russischen Übermacht von 15:1.
Anne Will in der ARD: Lieferung von Waffen „alles nicht so einfach“
Diese Schilderung nutzte Wadephul zur in letzter Zeit immer wieder gern geübten Attacke auf die Regierung, denn der Bundestag habe vor zwei Monaten schon die Lieferung schwerer Waffen beschlossen, Michael Müller aber verwies wie andere Sozialdemokraten zuvor auch hier erneut darauf, dass viel geschehe und alles nicht so einfach sei. Nun ja.
Zur Sendung
Anne Will, Das Erste, von Sonntag, 19. Juni, 21.45 Uhr. Die Sendung im Netz.
Christoph Schwennicke griff in der ARD ein altes Argument der Zögerer auf: Es sei legitim, wenn Deutschland nicht Kriegspartei werden wolle (wobei dem Zyniker Putin dieser Blickwinkel egal sein dürfte, wenn zugleich Waffen vom Westen geliefert werden).
Anne Will in der ARD: Hilfe für die Ukraine „keine Almosen“
Claudia Major nahm bei Anne Will erneut die ukrainische Perspektive ein und warnte, das Land könne nicht mehr lange durchhalten; es sei „in unserem eigenen Interesse“ zu helfen; das seien „keine Almosen“. Sie hob hervor, dass Russland die derzeit besetzten Gebiete als russisches Territorium behandele. Und auch wenn Müller beteuerte, „humanitär und finanziell passiert viel“, lautete Majors Fazit: „Momentan tun wir nicht genug.“ Polen habe etwa 200 Panzer aus eigenen Beständen Richtung Kiew geschickt, und die Frage sei: „Wollen wir an unsere eigenen Bestände gehen?“ Das kann, nach allem, was über das furchtbare Morden im Donbass und anderswo zu erfahren ist, eigentlich keine Frage mehr sein. (Daland Segler)