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Alles nur Fassade

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König Kunde:Hinterm Schloss liegt die Glaswelt des Konsums.Wie auf dieser Computeranimation soll nach demWillen der Kommunalpolitiker das Herz Braunschweigs künftig aussehen.
König Kunde:Hinterm Schloss liegt die Glaswelt des Konsums.Wie auf dieser Computeranimation soll nach demWillen der Kommunalpolitiker das Herz Braunschweigs künftig aussehen. © ddp

Schloss oder Park: In Braunschweig wird über ein Einkaufszentrum mit historischer Ummantelung gestritten

Von PETER MLODOCH

Roger Klittich steigt die steile Treppe seines verwinkelten Fachwerkhauses von 1490 hinauf. Oben, im Büro seines Antiquariats, zeigt der Buchhändler auf ein Poster mit einer Luftaufnahme von Braunschweig. "Sehen Sie", schwärmt der 67-Jährige, "hier, das ist unsere grüne Lunge." Sein Finger fährt über einen grünen Keil, der sich auf dem Bild gegen die dichte Bebauung der Innenstadt schiebt. "Diese Oase der Erholung darf man uns doch nicht wegnehmen."

Die Oase sind 30 000 Quadratmeter unbebaute Fläche zwischen City und Theater- und Museumsviertel. Schlosspark nennt sich das von Hauptverkehrsadern umschlossene Areal, weil hier einst das Braunschweiger Schloss stand. Von grüner Lunge ist in diesen regnerisch-kühlen Januartagen allerdings nicht viel zu spüren. Der Schlosspark ist: eine zertretene Rasenfläche, ein Band von Bäumen und Büschen, zwei riesige Betonbrunnen, in deren leeren Becken sich nasses Laub sammelt, einige Betonkugeln, etliche Betonbänke und am Rande ein unförmiges Gebilde aus Betonquadern, das sich "Cristallo" nennt und ein Café beherbergt. Vier korinthische Säulenkapitelle des alten Schloss-Portikus ragen aus dem größeren Brunnen und zeugen vom zweifelhaften Glanz vergangener Tage.

"Über die Attraktivität des Parks lässt sich natürlich streiten", gibt Nicole Palm zu und deutet verschämt auf eine Gruppe biertrinkender Männer in abgewetzten Klamotten. "Aber das ist noch lange kein Grund, den Park einfach zuzupflastern." Überall würden mehr Grünflächen in den Städten gefordert, doch hier geschehe genau das Gegenteil. "Wir wollen den Unsinn stoppen", sagt Nicole Palm. Die 34 Jahre alte Chefredakteurin des örtlichen Umweltmagazins gehört zu den Initiatoren des Bürgerbegehrens gegen das Großprojekt "Schlosspark-Arkaden".

Unter diesem Namen soll hier ein gigantisches Einkaufszentrum entstehen mit 30 000 Quadratmeter Verkaufsfläche für 130 Läden, dazu 3500 Quadratmeter für Gastronomie und Dienstleistungen sowie 1350 Autostellplätze auf dem Dach des dreigeschossigen Gebäudes. Davor, von der Innenstadt her gesehen, soll das alte Schloss wiederaufgebaut werden, zumindest die Fassade, möglichst originalgetreu und mit möglichst vielen Originaltrümmern des zwischen 1833 und 1840 errichteten, im Zweiten Weltkrieg ruinierten und 1960 abgerissenen Welfen-Baus - als Verpackung und Lockmittel für den Konsumtempel.

Der Antiquar sieht schwarz

Das 200-Millionen-Euro-Projekt spaltet Braunschweig. Mit denkbar knapper Mehrheit, bei der die Stimme von Oberbürgermeister Gert Hoffmann (CDU) den Ausschlag gab, bewilligte Schwarz-Gelb im Stadtrat am 8. Juli 2003 das Vorhaben und den dazugehörigen Vorvertrag mit dem Investor, dem Hamburger Einkaufszentren-Konzern ECE. Eine äußerst hitzige Debatte, gegenseitige Bestechungsvorwürfe inbegriffen, war vorausgegangen.

Im Sommer sollen nun die Bagger anrücken, zum Weihnachtsgeschäft 2006 die Kunden. Die regierende Ratsmehrheit von CDU und FDP verspricht sich höhere Gewerbesteuereinnahmen, mehr Arbeitsplätze. "Das Vorhaben bringt neue Anstöße im Handelsbereich und steigert die Attraktivität Braunschweigs", hofft Baustadtrat Wolfgang Zwafelink. Naturfreunde dagegen beklagen den drohenden Verlust ihres citynahen Naherholungsgebiets; die Einzelhändler der Innenstadt wiederum fürchten die neue Konkurrenz. "Gegen die kommen wir doch nicht mehr an", sagt Roger Klittich. 15 000 Quadratmeter in der Innenstadt stehen schon jetzt leer, beklagt der Buchhändler. Wenn das Einkaufszentrum fertig ist, zieht ein Teil der Geschäfte ins neue Zentrum um, ein anderer Teil macht ganz dicht, lautet des Antiquars düstere Vision.

Für lange Diskussionen sorgen aber vor allem die Schloss-Pläne. Ein "Disneyland für Monarchiefans" entsteht hier, ätzt PDS-Ratsherr Udo Sommerfeld. "Stadtgeschichte wieder erlebbar machen", wirbt dagegen die Stadt Braunschweig in einem bunten Faltblatt. Die historischen Mauern steigern das Einkaufserlebnis, sagen die Befürworter mit kaufmännischem Hintergrund. So darf man mit der Vergangenheit nicht umgehen, erwidern die Gegner. Hier werde die Erinnerung dem schnöden Mammon geopfert. Außerdem gaukle die auf alt getrimmte Außenansicht den Menschen nur etwas vor. "Es ist ein Trugschluss, dass das Schloss wiederaufgebaut wird", sagt Nicole Palm. "Das sind doch alles nur Fassaden."

Für mehr Historie muss der Investor laut Vorvertrag tatsächlich nicht sorgen. Für 36 Millionen Euro überträgt die Stadt ihr Filetgrundstück an ECE, darin enthalten 11,45 Millionen Euro für die notwendigen Umbauten der Straßen und Stadtbahnanlagen sowie 13,3 Millionen Euro für die Schlossfassade. Was dahinter passiert, regelt das Paragrafenwerk nicht. So entsteht hinter den Mauern aus Naturstein vermutlich ein fließender Übergang zum Einkaufszentrum, ein Multifunktionsgebäude, das im Erdgeschoss Raum für Restaurants und Läden, in den oberen Stockwerken Platz für kulturelle Zwecke bieten soll. Die Stadt erwägt, die Räume von ECE zurückzumieten, um dort Bibliothek, Archiv und Museum unterzubringen.

Die Hoffnung der Arkaden-Kritiker, dass Niedersachsens Finanzminister Hartmut Möllring (CDU) noch einen Strich durch die Pläne macht, hat sich inzwischen zerschlagen. Das Land hatte das Schlossparkgrundstück 1957 der Stadt für 1,25 Millionen Mark übertragen und sich dabei ein im Grundbuch gesichertes Mitspracherecht bei der künftigen Bebauung und Verwertung einräumen lassen. Doch darauf verzichtet das Land nun, entschädigt durch einige andere Grundstückstauschgeschäfte. Möllring, so heißt es, wolle den Ratsbeschluss nicht durch sein Veto torpedieren.

Der Brunnenbauer droht

Jetzt bleibt den Gegnern nur noch das Bürgerbegehren. Über 31 000 Unterschriften lieferten sie im Dezember im Rathaus ab. Die sind inzwischen ausgezählt; übrig nach amtlicher Prüfung blieben 24 028 Stimmen, die auch tatsächlich von Wahlberechtigten aus Braunschweig stammen. Das sei ja weit entfernt von den 40 000 Unterschriften, die die Opposition angekündigt habe, feixt OB Hoffmann und macht dort eine tiefe Enttäuschung aus.

Die Oppositionsfraktionen von SPD, Grünen und PDS kontern, feiern das Ergebnis als ersten Erfolg. Unbestritten ist, dass die Arkaden-Gegner mit 19 388 das vorgeschriebene Mindestquorum von zehn Prozent der wahlberechtigten Bürger deutlich überschritten haben.

Der Verwaltungsausschuss der Stadt wird sich nun am heutigen 27. Januar mit der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens beschäftigen, also entscheiden, ob ein für die Verwaltung verpflichtender Bürgerentscheid eingeleitet wird. Dass dabei ein klares Nein herauskommt, daran lässt OB Hoffmann keinen Zweifel. Bebauungspläne können laut niedersächsischer Gemeindeordnung nicht Gegenstand direkter Demokratie sein, so sein Argument. Es geht um viel mehr, um den Charakter der Stadt, meinen dagegen die Initiatoren. Das Bürgerbegehren sei zudem noch vor dem Ratsbeschluss zum Bebauungsplan eingeleitet worden. Gegen einen ablehnenden Bescheid will man in jedem Fall vor Gericht ziehen, kündigt Nicole Palm an.

Auch eine andere Klagedrohung steht noch im Raum. Der Wiesbadener Architekt Helge Bofinger will das ECE-Projekt verhindern und macht sein Urheberrecht geltend: Der von ihm geschaffene Brunnen und Pavillon im Park müssten dem Schlossbau weichen. Noch allerdings sind keine rechtlichen Schritte zur Rettung dieser Betongebilde eingeleitet worden, berichtet Baustadtrat Zwafelink: "Ich vermute, aus gutem Grund."

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