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Baukunst auf Münchens Wiesn

Von OLIVER HERWIG

Bretterbuden, Gerüste, dampfende Zelte und Container. Das größte Volksfest der Welt ist vor allem eines: architekturfreie Zone. Mitten in der Bierseligkeit seiner Festhallen und Trinkgesänge erklingt heuer ein neuer Ton. Ein Stück von geradezu aufreizender Perfektion: Volker Staabs Service Zentrum Theresienwiese (SZT) bringt erstmals Baukunst aufs Oktoberfest. Wer von der Wirtsbudenstraße zur Theresienhöhe abzweigt, vorbei am Schottenhaml, prallt auf blankes Kupfer, eine 84 Meter lange und vier Meter hohe Metallfassade. "Bierleichen kommen in den Kupfer-Knast", drohte Bild zur Eröffnung. Tatsächlich strahlt das Haus eine Härte aus, die der Theresienwiese fremd ist. Wie Guillotinen ragen drei Hubtore aus der sonst geschlossenen Fassade.

Leuchtschriften markieren die Zugänge für Polizei, Erste Hilfe und Festleitung. 400 Mitarbeiter aus zwölf Behörden arbeiten in ihrem goldenen Käfig daran, dass die Wiesn mit ihren rund sechs Millionen Gästen halbwegs geordnet verläuft, 16 Tage lang.

Noch leuchtet der 13 Millionen Euro teure Pavillon wie eine Maß Bier im Gegenlicht. Der goldene Panzer aus geflochtenem Streckmetall und glatten Platten wird nachdunkeln und Grünspan anlegen, bis der erste feste Bau der Wiesn mit ihrem herbstlichen Blätterdach verwächst. Das Service Zentrum unterhalb der Bavaria ist ein Novum. Eigentlich darf auf der Festwiese gar nicht gebaut werden. Von 1976 bis 2003 drängten sich Beamte, freiwillige Helfer und städtische Angestellte in ein vor Kabeln berstendes Containerdorf. Drei unabhängige Funknetze stehen Polizei, Bayerischem Roten Kreuz und Feuerwehr zur Verfügung, in der Überwachungszentrale flirren Bilder von der Wiesn über die Monitore, und auf den Fluren der Sanitäter herrscht Hochbetrieb. Das Dauerprovisorium stank und moderte vor sich hin, erinnert sich ein Mitarbeiter. Im Sommer 2002 schrieb die Stadt schließlich einen Wettbewerb aus, den der Berliner Volker Staab für sich entschied. Der Architekt musste vieles verbinden, von der Ausnüchterungszelle bis zur Kinderfundstelle des Jugendamts, vom Behandlungsraum bis zur Cafeteria.

Ein weiteres bayerisches Monument

Und das ist ihm gelungen. Staab versenkte die Hälfte des Baus, also fast 1000 Quadratmeter Büros und Lager, in der Erde, sodass das Haus kaum höher aufragt als die gewohnten Container. Vier gläserne Höfe rhythmisieren seine der Wiesn abgewandte Front und schaufeln Licht ins Untergeschoss, in dem viel Technik und noch mehr Mitarbeiter arbeiten. Hier endlich fällt die Spannung des Kupferbaus ab. Da stehen einfache, gut organisierte Büros, mehr nicht.

Der Berliner Baumeister hat Erfahrung mit bayerischen Monumenten, erweiterte er 1993/94 doch das Maximilianeum und gestaltet gerade den Plenarsaal des Bayerischen Landtags für 9,9 Millionen Euro um. Nun also noch das Oktoberfest. Der Baukörper habe "eine einfache Form", sagt Staab, und so steht das Service Zentrum Theresienwiese quer zu allem, was im Bierdampf der Festwiese verschwimmt, wie ein fehlgeleiteter Gast in einem orgiastischen Gelage. Das hoch installierte Service Zentrum bietet Konzentration, wo sonst nur Zerstreuung herrscht. Staab hat die Festverwaltung so konsequent gestaltet, dass ihre Kupferblechhaut wie ein Panzer wirkt und die perforierten Gitter vor den Fenstern wie Visiere. Die Festverwaltung bezieht inmitten der Gaudi eine Festung. Draußen dröhnt das Oktoberfest, drinnen surren die Computer. Am 3. Oktober schließen sich die Hubtore des Service Zentrums, die Anlage macht ihre Schotten dicht, und ihre Angestellten ziehen wieder in ganz normale Büros. Bis zur nächsten Wiesn.

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