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Wie ein Geheimdienst-Thriller

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Von: Jan Sternberg, Sven Christian Schulz, Alisha Mendgen

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Was steckt hinter den Sprengungen der Pipelines?
Wissen westliche Geheimdienste inzwischen, was mit den Nord Stream Gas-Pipelinepassiert ist? © afp

Eine mysteriöse Jacht und ihre Besatzung stehen im Zentrum der Nord-Stream-Ermittlungen

Es sollte aussehen wie ein ganz normaler Sommertörn durch die Ostsee. Am 6. September vergangenen Jahres verließ eine Jacht den Rostocker Hafen. Sechs Personen waren an Bord, fünf Männer und eine Frau. 20 Tage später explodierten drei der vier Untersee-Röhren der Ostsee-Pipelines Nord Stream 1 und 2 nahe der dänischen Insel Bornholm. Das Schiff soll später noch im kleinen Hafen Wieck am Darß gesehen worden sein. Der dortige Hafenmeister erinnert sich im Gespräch mit der „Ostsee-Zeitung“ nicht an eine solche Gruppe.

Laut Berichten von ARD und „Zeit“ bestand die Gruppe auf dem Boot aus einem Kapitän, zwei Tauchern, zwei Tauchassistenten und einer Ärztin. Über die Nationalität ist nichts bekannt, da sie gefälschte Reisepässe verwendet haben sollen. Der letzte bekannte Hafen der Jacht auf diesem harmlos scheinenden Törn war die dänische Insel Christiansø nordöstlich von Bornholm, ganz in der Nähe von einem der Explosionsorte. Ein westlicher Geheimdienst soll bereits im Herbst, also kurz nach der Zerstörung, einen Hinweis auch an deutsche Stellen übermittelt haben, dass ein ukrainisches Kommando für die Zerstörung verantwortlich sei. Danach folgten weitere Geheimdienst-Hinweise, dass eine proukrainische Gruppe verantwortlich sein könnte.

Drei Tage lang, vom 18. bis 20. Januar, ließ die Bundesanwaltschaft das verdächtige Schiff durchsuchen. Es bestehe „der Verdacht, dass das betreffende Schiff zum Transport von Sprengsätzen verwendet worden sein könnte, die am 26. September 2022 an den Gaspipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 in der Ostsee explodierten“, teilt die Karlsruher Behörde mit.

Die Auswertung der sichergestellten Spuren und Gegenstände dauere an. Die Identität der Täter und deren Motive seien „Gegenstand der laufenden Ermittlungen“. Gegen den deutschen Jachtcharterer werde nicht ermittelt.

Sechs Personen und eine Jacht – reicht das für eine Kommandoaktion dieser Tragweite? Sicherheitsexperten halten es für unwahrscheinlich, dass die Schiffsbesatzung allein operiert hat. „Die Tiefe der Pipelines, die notwendige Planung und die Menge an Sprengstoff deuten sehr darauf hin, dass eine staatliche Stelle in den Anschlag involviert ist“, sagt Sebastian Bruns, Experte für Maritime Sicherheit an der Universität Kiel, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Denkbar seien staatlich ausgebildete und trainierte Personen, die zum Beispiel in der Vergangenheit als Kampftaucher bei den Seestreitkräften gedient haben. Der US-Geheimdienst geht laut „New York Times“ davon aus, dass es sich um Gegner des russischen Präsidenten Wladimir Putins handelt. Wer die Operation geleitet und finanziert hat, bleibt unklar.

Zwei Taucher und zwei Tauchassistenten hätten dann in 70 bis 80 Metern Tiefe den Sprengstoff an den Pipelines befestigt. Dann sollen sie das Boot zurückgebracht haben, ohne es vorher zu reinigen. Ermittler haben offenbar Rückstände von Sprengstoff entdeckt.

Unklar ist weiterhin, wie die Täter an die knapp 500 Kilogramm Sprengstoff gelangt sind und wo dieser verladen wurde. „Es ist nahezu unmöglich, Hunderte Kilo Sprengstoff zu kaufen, ohne dass die Behörden dies bemerken“, gibt Experte Bruns zu bedenken.

Der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestags für die Nachrichtendienste, Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz, sagte dem RND: „Zum jetzigen Zeitpunkt sind Rückschlüsse auf die Urheberschaft des Sabotageaktes reine Spekulationen, vor denen ich nur warnen kann. Die Antwort auf eine so relevante Frage wie die der Urheberschaft dieses Sprengstoffanschlags auf Versorgungsinfrastruktur kann man nicht auf Teilerkenntnisse und Mutmaßungen stützen.“ Er vertraue darauf, dass Generalbundesanwalt und Sicherheitsbehörden „die Ermittlungen auch weiterhin entschlossen voranbringen und Parlament und Öffentlichkeit zum richtigen Zeitpunkt informieren werden“.

Auch Unions-Fraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei (CDU) warnte vor Spekulationen. „Der Generalbundesanwalt steckt mitten in den Ermittlungen. Ich gehe fest davon aus, dass er diesem spektakulären Fall ebenso zügig wie hartnäckig nachgeht“, sagte Frei. „Spekulieren hilft da zurzeit nicht weiter.“

Frei lenkte den Blick auf die Klimastiftung, die die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 in Mecklenburg-Vorpommern vorantreiben sollte. In der vergangenen Woche war ans Licht gekommen, dass eine Finanzbeamtin Steuerakten der Stiftung vernichtet hatte. „Mehr Sorgen bereiten mir die Aussagen der Ministerpräsidentin Schwesig“, sagte Frei. „Mit ihrer Vertuschungspolitik in Fragen der Klimastiftung nährt Frau Schwesig Zweifel, ob sie noch für ihr Amt geeignet ist.“ Schwesig hat dementiert, von dem Vorgang gewusst zu haben.

Leitartikel Seite 11

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