Schlimmer als Moria

Athen hält sich strikt an das Abkommen der EU mit der Türkei: Geflüchtete müssen auf den Inseln bleiben, bis ihr Asylverfahren abgeschlossen ist. Ein Einblick im Lager Kara Tepe auf Lesbos.
Am 9. September zerstörte ein Feuersturm das berüchtigte Lager Moria auf der griechischen Ägäisinsel Lesbos. Wie durch ein Wunder kam keiner der damals fast 13.000 Menschen in den Flammen ums Leben. Drei Monate später leben mehr als 7000 frühere Bewohnerinnen und Bewohner von Moria in Zelten am Rand der Inselhauptstadt Mytilini – im Lager Kara Tepe.
Bei jedem Regenguss verwandelt sich das Camp in eine Schlammwüste. Das Wasser läuft in die Zelte. Das Camp, das nach der Zerstörung Morias in der Rekordzeit von wenigen Tagen aufgebaut wurde, liegt unmittelbar an der Küste und nur knapp über dem Meeresspiegel. Es ist den Elementen schutzlos ausgeliefert. Moria galt wegen seiner katastrophalen Lebensbedingungen als „Schande Europas“. Die Bewohner sprachen von dem Camp als der „Hölle“. Hilfsorganisationen sagen: „Kara Tepe ist noch schlimmer als Moria.“
Die Presse darf das Camp nicht betreten. Seit Anfang November herrschen in Lesbos, wie in ganz Griechenland, wegen der Corona-Pandemie strikte Ausgangsbeschränkungen. Sie gelten auch für die Menschen im Lager. Sie dürfen das Camp nur noch verlassen, wenn sie belegen können, dass sie einen Arzt-, Anwalts- oder Behördentermin in der Stadt haben.
Trotz der weitgehenden Kontaktsperre kann man sich aber anhand der Berichte von Hilfsorganisationen ein Bild von den Zuständen im Lager machen. Der griechische Flüchtlingsrat und Oxfam, ein 1942 gegründeter internationaler Verbund von 18 Hilfsorganisationen, konstatierten zwar jetzt in einem Bericht „Fortschritte“ bei den Bemühungen, das Lager winterfest zu machen. Es gibt aber immer noch kein warmes Wasser, keine Heizmöglichkeiten und keine Wäscherei. „Die Lebensbedingungen sind schlecht“, stellt der Bericht fest. Es fehlt an Betten und Matratzen, die meisten Menschen verbringen die Nächte in Schlafsäcken auf dem Boden der Zelte. Immer noch gibt es keine Stromversorgung. Die Menschen wärmen sich an Lagerfeuern.
„Wie Tiere behandelt“
Es gibt keine Spielplätze und Schulen für die Kinder, keine Wasserleitungen. Die Menschen müssen das Wasser, das sie zum Waschen benötigen, in Eimern und Schüsseln aus großen Wasserfässern schöpfen, die an verschiedenen Stellen im Lager aufgestellt sind. „Wir wissen nicht, wie wir durch den Winter kommen sollen, man behandelt uns hier wie Tiere, das bricht uns das Herz“, sagte ein aus Afghanistan Geflüchteter der Hilfsorganisation Refugee Support Aegean.
Ende November haben die Behörden mit der Verlegung von Abwasserrohren begonnen. Auch sollen 100 zusätzliche Gemeinschaftsduschen aufgestellt werden. Vor Ende des Jahres soll es dann auch warmes Wasser geben, verspricht die Lagerverwaltung. Derweil bereiten die Behörden im Westen von Lesbos den Bau eines neuen, dauerhaften Camps vor. Es entsteht in Zusammenarbeit von Europäischer Kommission und griechischer Regierung. Das Camp soll Platz für etwa 5000 Menschen bieten und im September 2021 fertig sein. Das Konzept hat eine Taskforce der EU-Kommission nach dem Brand in Moria ausgearbeitet. In dem neuen Lager werden die Menschen in Wohncontainern untergebracht. Es soll eine Arztpraxis und Krankenstation, Sportanlagen und Freizeiteinrichtungen, Gemeinschaftsküchen, Spielplätze und Bildungsangebote geben, aber auch einen „Haftbereich“. Hier werden jene, deren Asylanträge abgelehnt wurden, bis zu ihrer Abschiebung in die Herkunfts- oder sichere Drittländer untergebracht.
Am Dienstag warf Athen der Türkei vor, Geflüchtete gezielt auf die griechischen Inseln zu schicken. „Wir haben zuverlässige Informationen darüber, dass Schleuser in der Türkei bewusst Migranten aus Somalia sammeln und über Griechenland in die EU schicken“, sagte Migrationsminister Notis Mitarakis. Es gebe Beweise, dass somalische Bürgerinnen und Bürger von der Türkei Visa erhielten, die beworben würden, etwa mit dem Slogan „Geh in die Türkei und studiere“, sagte Mitarakis. Man verlange von der Türkei, sich an den Flüchtlingspakt mit der EU zu halten. Mitarakis forderte Unterstützung seitens der EU. (mit dpa)