Schlag gegen Italiens Koks-Mafia

Bei einer europaweiten Razzia nimmt die Polizei 108 mutmaßliche ’Ndrangheta-Mitglieder fest
Es war vielleicht nicht die „größte Razzia aller Zeiten“ gegen die ’Ndrangheta, wie die zur Übertreibung neigenden italienischen Medien gestern berichteten. Aber mit 108 verhafteten Personen in acht verschiedenen europäischen Ländern war es sicher die bisher internationalste Aktion dieser Art. Die „Operation Eureka“ begann gestern in den frühen Morgenstunden gleichzeitig in Italien, Deutschland, Frankreich, Belgien, Spanien, Portugal, Rumänien und Slowenien.
Insgesamt wurden mehr als 150 Häuser durchsucht. Den Verhafteten wird die Mitgliedschaft in einer mafiösen Vereinigung, Kokainhandel im Umfang von mehreren Tonnen sowie Waffenhandel und Geldwäscherei vorgeworfen. Die Ermittlungen wurden durch ein gemeinsames internationales Team geführt, an der auch Europol und Eurojust beteiligt sind.
Allein in Deutschland waren gestern bei der Razzia mehr als 1000 Polizeikräfte im Einsatz, darunter auch Spezialeinheiten. Es gab Dutzende Durchsuchungen und mehrere Festnahmen. Das teilten die Staatsanwaltschaften Düsseldorf, Koblenz, Saarbrücken und München sowie die Landeskriminalämter Bayern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Saarland am gestern mit. Auch in Thüringen gab es Durchsuchungen. Allein in Bayern durchsuchten mehr als 130 Einsatzkräfte zehn Objekte, gegen vier Personen wurden EU-Haftbefehle vollstreckt. In Nordrhein-Westfalen durchsuchten rund 500 Einsatzkräfte insgesamt 51 Häuser, Wohnungen, Büros und Geschäftsobjekte und vollstreckten 15 Haftbefehle. In Rheinland-Pfalz rückten ebenfalls rund 500 Einsatzkräfte aus und vollstreckten insgesamt zehn Haftbefehle und 50 Durchsuchungsbeschlüsse. Im Saarland waren rund 90 Einsatzkräfte beteiligt.
Im Zentrum der Ermittlungen standen nach Angaben der italienischen Anti-Mafia-Direktion (Direzione Nazionale Antimafia, DNA) der internationale Kokainhandel – seit vielen Jahren eine Domäne der ’Ndrangheta, die mit dem Stoff die halbe Welt versorgt. Die in Kalabrien, der Südspitze Italiens, beheimatete Mafia-Organisation hat beste Verbindungen zur den südamerikanischen Drogenkartellen und verdient mit dem Drogenhandel Milliarden. Das Kokain wird jeweils in den heimischen Hafen von Gioia Tauro sowie nach Antwerpen oder Rotterdam verschifft. Laut der DNA wurden allein in den Jahren 2020 bis 2022 sechstausend Kilo Kokain nach Europa gebracht; die Hälfte davon konnte beschlagnahmt werden.
Offenbar Waffendeal vereitelt
Die Ermittlungen hatten im Jahr 2009 begonnen, als im belgischen Genk der kalabresische Besitzer einer Pizzeria ins Visier der Justizbehörden geriet. Es bestand der begründete Verdacht, dass es sich bei der Pizzeria lediglich um eine Tarnung handelte und dass der Mann in Wahrheit eine Schlüsselfigur der ’Ndrangheta und des Kokainhandels war. Die Ermittlungen wurden in der Folge auf immer mehr europäische Länder ausgeweitet. Bei den meisten der Verhafteten handelt es sich um Mitglieder und Mitläufer des Strangio- und des Nirto-Clans aus San Luca in Kalabrien. Das Mafia-Nest in den Ausläufern des Aspromonte-Gebirges hatte 2007 durch das Blutbad in einer Pizzeria in Duisburg mit sechs Toten traurige Berühmtheit erlangt: Sowohl die Täter als auch die Opfer stammten aus San Luca.
Die ’Ndrangheta ist die gefährlichste und internationalste Mafia-Organisation Italiens; in Kalabrien gibt es rund 160 Clans mit schätzungsweise 6000 Mitgliedern. Sie kann in ganz Europa auf ein professionelles Netz von Geldwäschern zählen, die ihre Milliardenerlöse aus dem Kokainhandel in die legale Wirtschaft investieren – mit Vorliebe in Immobilien, Pizzerien, Autowaschanlagen und Eisdielen – auch in Deutschland, in der Schweiz und in Österreich. In Italien gehören zu ihrem Imperium Hotels, Baufirmen, private Krankenhäuser, Landwirtschaftsbetriebe, Weingüter und vieles mehr.
Im Zuge der „Operation Eureka“ kam die Polizei auch einem geplanten Waffendeal auf die Schliche: Die ’Ndrangheta wollte offenbar einen ganzen Container voller Kriegswaffen an eine paramilitärische Einheit in Brasilien liefern, die die Ware mit Drogen bezahlen sollte. Das Geschäft ist laut der DNA aber geplatzt.