Prunk und Protest

Während des Krönungswochenendes in Großbritannien feierten die Menschen mit Pomp, Musik und einem Brunch für alle – aber der Umgang der Polizei mit Demonstrierenden sorgte für Kritik.
Fuhr die goldene Krönungskutsche am Samstag noch durch den Regen von der Westminster Abbey Richtung Buckingham-Palast, klarte am Sonntag pünktlich um die Mittagszeit der Himmel auf. Mit Temperaturen um die 20 Grad waren dies perfekte Bedingungen für Tausende Straßenfeste und gemeinsame Mittagessen, die gestern in ganz Großbritannien anlässlich der Krönung veranstaltet wurden. Eine Feier fand zum Beispiel in Richmond, südwestlich von London statt. Hier hatten die Bewohnerinnen und Bewohner, wie in vielen Orten des Landes, eine mit Union Jacks geschmückte lange Tafel aufgestellt, um gemeinsam zu feiern. In der Luft hing der Duft von Würstchen und Grillfleisch. Kinder spielten, viele hatten ihre Hunde mitgebracht.
Wer erwartet hat, dass der König am Wochenende an einer der etwa 7000 Partys in Großbritannien teilnehmen wird, wurde enttäuscht. Der King und die Queen überließen die Teilnahme an den sogenannten „Big Lunches“ am gestrigen Sonntag dem Rest der königlichen Familie. So zeigten sich der Prinz und die Prinzessin von Wales, William und Catherine, etwa bei einer Feier in Windsor, schüttelten Hände und ließen sich fotografieren.
Während bei der Krönungszeremonie in der Westminster Abbey am Samstag nur rund 2000 Gäste dabei sein konnten, war der Sonntag damit ein entspannteres und deutlich inklusiveres Ereignis für die Menschen im Land.
Ein erstes „Big Lunch“, wie die Feste genannt wurden, fand dabei schon Samstag in Kensington und Chelsea statt, einem der reichsten Stadtteile in London. Hier kamen zahlreiche Menschen zusammen, um gemeinsam die Krönung zu schauen, zu essen, und zu feiern. Die Stimmung war gelassen und positiv. Dass trotz des schlechten Wetters so viele hier seien, zeige, dass viele dem König wohlwollend gegenüberstehen, sagte der Bürgermeister des Stadtteils, David Lindsay, gegenüber dieser Zeitung. Ein besonderer Höhepunkt dieses „Big Lunches“ war die Hundeparade am Nachmittag. Dabei führten Besitzer über Hundert „Cavalier King Charles Spaniels“ durch die Straßen des Viertels.
Viele Tiere hatten Krönchen auf oder wurden in mit Fähnchen geschmückten Hunde-Buggys über den nassen Asphalt bugsiert. Mit dabei war Sarah Fletcher. Sie war am Samstag aus dem Stadtteil Stoke Newington im Nordosten Londons ins Zentrum der Stadt gekommen, um mit ihrem Hund Rusty an der Parade teilzunehmen. „Das ist eine gute Zeit, um ein King Charles Spaniel zu sein“, sagte sie lachend. Auch für den König fand sie lobende Worte: „Er hat bislang einen guten Job gemacht. Ich wünsche ihm viel Glück.“ Es sei natürlich schade, dass es regnet, räumte sie ein. „Aber das sind wir ja hier gewohnt und deshalb machen wir einfach trotzdem mit.“
Diese Einstellung teilten viele Menschen, die sich am Samstag schon in den frühen Morgenstunden entlang der Prachtstraße „The Mall“ im Zentrum Londons postiert hatten, um die Krönung und die Prozession so nah wie möglich mitzuerleben. Unter ihnen war auch die 38-jährige Stefana Sandu aus Hastings im Südosten Englands. Sie seien auch bei der Beerdigung von Königin Elizabeth II. in London gewesen. Diesmal sei aber etwas weniger los. „Vielleicht liegt das daran, dass er noch neu Amt ist. Charles muss sich erst noch beweisen.“
Jenseits von London verfolgten viele das Ereignis auf großen Leinwänden. Der 52-jährige David-Jon Davies sah im „Eurovision Village“ in Liverpool zu, als der Monarch gekrönt wurde. Es sei ein stolzer Moment, sagte er. Schließlich findet in der englischen Küstenstadt am kommenden Samstag der „Eurovision Song Contest“ statt. Während einige der hier Anwesenden glühende Monarchisten waren, war es für andere ein Ereignis, dass sie schlicht nicht verpassen wollten. Schätzungen zufolge verfolgten rund 18 Millionen Menschen in Großbritannien das Ereignis im Fernsehen.
Als König Charles III. in der Westminster Abbey die über zwei Kilo schwere Edwardskrone aufgesetzt bekam, war er sich dieser Aufmerksamkeit sicherlich bewusst. Er und Königin Camilla wirkten während des zweistündigen Ereignisses teils sichtlich angespannt. Schließlich hatten die Royals das große Event in den vergangenen Monaten immer wieder geprobt. Nichts sollte schiefgehen.
„Die Krönung war ein großer Erfolg und bot durch all den Pomp und Prunk ein erstaunliches visuelles Spektakel“, sagte die Royal-Expertin Pauline Maclaran von der Royal Holloway University gegenüber dieser Zeitung. Camilla habe majestätisch und Charles emotional und sympathisch gewirkt, resümierte sie. „Der Krönungsgottesdienst umfasste überdies verschiedene Musikstücke, die eigens für diesen Anlass geschrieben wurden und sehr bewegend waren.“ Der Palast habe sich viel Mühe gegeben, um zu zeigen, dass ihm Vielfalt wichtig sei. So trat unter anderem ein Gospelchor auf und es wurde ein Lied auf Walisisch gesungen. „Das sind Elemente, die es vorher so nicht gab.“
Kleine Geschichten am Rande
Die monarchiekritische Organisation „Republic“ hatte auch für den Tag der Krönung zu Protesten aufgerufen, überall in London und im Königreich waren Menschen zu sehen, die Banner und Plakate mit der Aufschrift „Not my king“ in die Höhe hielten. Neben den Monarchie-Kritiker:innen hatten Klimaschutzorganisationen Aktionen angekündigt. Kurz vor dem royalen Großereignis war das Demonstrationsrecht drastisch verschärft worden, die Londoner Polizei nahm am Samstag gleich mehrere Protestierende fest. dpa
Prinz Harry war genau 28 Stunden und 42 Minuten in London. Schon kurz nach der Krönungsprozession flog er vom Flughafen Heathrow wieder zurück zu seiner Familie in den USA. In der Westminster Abbey musste Harry in der dritten Reihe Platz nehmen, bei seinen Cousinen und Cousins, denn mit seiner Kernfamilie ist er spätestens seit Veröffentlichung seiner Memoiren tief zerstritten. Für Spott sorgte, dass Harry auf Fotos teils durch den aufwendigen Kopfschmuck von Prinzessin Anne in der Reihe vor ihm verdeckt ist. dpa
Der jüngste Royal sorgte wieder für Stimmung: Der fünfjährige Louis deutete beim Auftritt der Royal Family an, auf dem Geländer des Balkons Schlagzeug zu spielen. Zwischendurch formte er seine Hand zu einer Kralle und winkte damit der Menge. Im Gottesdienst zappelte er und gähnte nach der Krönung mit offenem Mund. Schon beim Thronjubiläum von Elizabeth II. hatte der Sohn von Prinz William und Prinzessin Kate mit seinen Grimassen begeistert. dpa
Zu den heimlichen Stars der Krönung gehörte jedoch die britische Politikerin Penny Mordaunt. Die Tory-Abgeordnete fiel im Rahmen der Zeremonie eine Schlüsselrolle zu. Als „Lordpräsidentin des Geheimen Kronrats“ überreichte sie dem Monarchen Schwerter als Insignien der Macht. Dabei fiel sie besonders durch ihr blaues Kostüm auf, das sie wie eine Superheldin aussehen ließ. Für Unterhaltung sorgte auch Prinz Louis. Der jüngste Sohn von Catherine und William wurde durch sein sympathisches Gähnen während der langen Zeremonie – nicht zum ersten Mal – zum Star in sozialen Medien.
Gleichzeitig wurden während des Gottesdienstes in der Kathedrale jedoch auch die Probleme innerhalb der Familie sichtbar, die das Königshaus schwer belasten, wie Catherine Mayer, Journalistin und Autorin des Bestsellers „Charles – Mit dem Herzen eines Königs“ am gestrigen Sonntag betonte. Harry, der ohne Herzogin Meghan und seine Kinder aus Kalifornien angereist war, flog direkt nach der Zeremonie wieder zurück in die USA. Er saß während des Gottesdienstes in der dritten Reihe, weit weg von seinem Bruder William, aber dafür in der Nähe von Prinz Andrew; jenem Royal, dem die US-Amerikanerin Virginia Giuffre vorgeworfen hatte, sie auf dem Anwesen des verstorbenen Sexualstraftäters Jeffrey Epstein in den 1990er-Jahren missbraucht zu haben.
„Am Tag der Krönung wurde deutlich, unter welchem Druck die Institution steht, weil die Menschen im Mittelpunkt stehen“, sagte Mayer. Die Familie befinde sich in einer schwierigen Situation.“ Charles III. stünden große Herausforderungen bevor. „Das Königshaus hat unter anderem bei jungen Menschen deutlich an Popularität verloren. Hinzu kommt noch der Skandal um Prinz Andrew.“ Sie glaube zwar nicht, dass die Monarchie unmittelbar in Gefahr sei, in einer großen Krise befände sie sich aber in jedem Fall.
Überdies sorgten Vorfälle entlang der Prozessionsroute am Samstag für negative Schlagzeilen und anhaltende Diskussionen in Großbritannien. Videos zeigten, wie Graham Smith, der Chef der britischen Anti-Monarchie-Bewegung „Republic“, und weitere Protestierende im Vorfeld von angekündigten Demonstrationen am Trafalgar Square festgenommen wurden. Die Organisation setzt sich für die Abschaffung des Königshauses ein und fordert stattdessen ein gewähltes Staatsoberhaupt.
Menschenrechtsgruppen bezeichneten die Verhaftungen als „alarmierend“. Smith schrieb auf Twitter, dass er am späten Samstagabend entlassen wurde und ergänzte: „In Großbritannien gibt es kein Recht auf friedlichen Protest mehr. Mir wurde oft gesagt, dass der Monarch da ist, um unsere Freiheiten zu verteidigen. Jetzt werden unsere Freiheiten in seinem Namen angegriffen.“
Die Met sagte, sie „verstehe“ die Besorgnis der Öffentlichkeit, aber die Einsatzkräfte hätten nach dem Gesetz verhältnismäßig gehandelt. Laut Pauline Maclaran habe sich die ohnehin umstrittene Londoner Polizei mit dieser Aktion jedoch keinen Gefallen getan: „Ich glaube, dass die Störung des antimonarchistischen Protests durch die Polizei sich negativ auf die Meinung vor allem junger Menschen zur Monarchie auswirken wird“, sagte sie. Insgesamt werde das Verhalten der Polizei die republikanische Bewegung wohl stärken.
Auch Catherine Mayer kritisierte das Vorgehen. „Als ich von den Verhaftungen hörte, war ich geschockt. Angesichts der Tatsache, dass in der Kathedrale Westminster Abbey so viel Wert auf Inklusion gelegt wurde, scheint es mir völlig widersinnig, dann die Meinungen von Menschen zu unterdrücken, die sich gegen die Monarchie aussprechen“, sagte sie.
Während Großbritannien noch über den Umgang mit den Protestierenden diskutierte, fand am Abend im Park von Windsor Castle etwa eine Stunde von London entfernt ein großes Konzert mit Lichtshow anlässlich der Krönung statt. Hatten zunächst viele Stars abgesagt, fanden schließlich doch noch einige Zeit, darunter die britische Pop-Band Take That, Katy Perry und der US-Sänger Lionel Richie.
Am heutigen Montag beschert die Krönung den Menschen im Königreich dann noch einen zusätzlichen Feiertag. Unter dem Motto „The Big Help Out“ soll an diesem Tag das soziale Engagement im Land gefördert werden. Es gehe um mehr als nur einen Tag, sagte Matt Hyde, der Geschäftsführer der britischen Pfadfinder „Scouts“. „Hier geht es um die Zukunft der Freiwilligenarbeit.“ Ein Thema, das dem Palast und König Charles III. sehr am Herzen liegt.


