Nur gucken, nicht hingehen

Seit einem halben Jahr scheint der Vulkan auf La Palma zur Ruhe gekommen zu sein. Die Stimmung auf der Insel ist gut. Doch zwei Orte dürfen noch immer nicht betreten werden
Am 19. September 2021 verließ Thomas Klaffke sein Haus, um sich den Vulkan, der gerade ausgebrochen war, aus der Nähe anzusehen. Als er wenig später nach Hause zurückkehren wollte, ließ man ihn nicht mehr: Seine Siedlung, La Bombilla, war zum Sperrgebiet erklärt worden, weil es so aussah, als könnte hier eine der Lavazungen anrollen. Klaffke kam bei Freunden unter. Einmal durfte er noch in sein Haus, im November, um Kleidung und ein paar wichtige Dokumente herauszuholen. Die Lava ließ die Siedlung schließlich links liegen. Das Haus hat Klaffke trotzdem erst einmal wiedergesehen, „im April, bei Youtube auf einem Drohnenvideo“.
So wie Thomas Klaffke geht es etwa 1500 Menschen auf La Palma: Der Vulkan, der sie verschont hat und der seit dem 13. Dezember wieder zur Ruhe gekommen zu sein scheint, hat sie weiter im Griff. Aus den Tiefen der Erde steigen noch immer Kohlendioxid und Kohlenmonoxid auf und bleiben in Bodennähe, wenn sie kein Wind fortweht. Die Gase halten sich in Kellern und in Erdgeschossen. In La Bombilla und dem größeren Nachbarort Puerto Naos wird alle paar Tage gemessen, und immer heißt es: zu gefährlich, um hier zu leben. Die Drohnenbilder zeigen verlassene Gassen, ein Tschernobyl unter mediterraner Sonne. Keiner kann vorhersagen, wie lange noch. „Einzug nicht vor Oktober“, sagt Thomas Klaffke. Vielleicht auch viel später.
Das ist ein persönliches Drama, aber auch eines für die Insel. Puerto Naos ist einer der beiden großen Touristenorte von La Palma. Hier stehen ein Hotel mit 1300 Betten und ringsum etwa 1000 Ferienhäuser und -wohnungen.
„Drinnen liegen noch die Sachen, die die Touristen im September zurücklassen mussten“, sagt Óscar León vom lokalen Reiseunternehmerverband CIT Tedote zur Zeitung „Canarias Ahora“. Dass die Häuser nicht wieder öffnen dürfen, bedeutet eine empfindliche Einbuße für eine Insel mit insgesamt 17 000 Betten für Gäste von auswärts.
Der Tourismus beginnt gerade wieder anzuziehen, erzählt Rüdiger Wastl, der nicht weit vom Vulkan ein Restaurant betreibt. „Die Stimmung auf der Insel ist gut“, sagt er. Die Flieger kommen wieder. Die Urlaubsgäste, die früher in Puerto Naos übernachteten, suchen sich anderswo Unterkunft und verteilen sich über die ganze Insel. Wastls Restaurant, das erst die Coronapandemie und dann den Vulkan überleben musste, füllt sich wieder, „allerdings“, sagt Wastl, „jetzt mit mehr einheimischen Gästen als Touristen“. Doch die Stammgäste, die früher einmal im Jahr hier Urlaub machten und die vergangenen zwei Jahre fortblieben, seien wieder da. Das Leben normalisiert sich.
Man kann im Westen der Insel, dort, wo der noch immer namenlose Vulkan zwölfeinhalb Quadratkilometer Land unter seiner Lava begrub, jetzt auch endlich wieder von Nord nach Süd und umgekehrt fahren. Am Mittwoch wurde zwischen La Laguna und Las Norias eine erste Piste quer durchs Lavafeld eröffnet, zunächst nur für ein paar Stunden am Tag und nur für Wagen mit Allradantrieb, deren Fahrer:innen die dringende Empfehlung bekommen, unterwegs keine Pausen einzulegen, weil die Lava ringsum noch ordentlich Hitze ausstrahlt. In ein paar Monaten soll die Strecke normal befahrbar sein, dann haben die Menschen aus Los Llanos de Aridane, dem Hauptort im Inselwesten, wieder freie Fahrt zu den Stränden weiter im Süden.
Die Inselregierung will die Gelegenheit nutzen, eine Autobahn in Küstennähe zu bauen, worüber aber heftig gestritten wird: Sie würde noch mehr Land begraben. Wichtiger ist der Neubau von Häusern und Wohnungen, mehr als tausend hat der Vulkan zerstört, und ein paar Hundert Menschen leben noch immer in Hotels. „Die Politik funktioniert wie erwartet“, sagt Rüdiger Wastl – und meint damit: Sie funktioniert viel zu langsam. Und damit scheint er nicht der Einzige auf der Insel zu sein.
Wastl, dessen Haus als eines der ersten vom Vulkan verschüttet wurde, hat sich ein Grundstück für einen Neubau gekauft: in Vulkannähe. Dass sich an selber Stelle in den kommen fünfzig oder hundert Jahren noch einmal die Erde auftut, hält er für unwahrscheinlich. „Ich habe die Versicherung gefragt“, erzählt er, „die denkt genauso.“ Wastl und seine Familie werden wieder unterm Vulkan leben. Im besten Fall unter einem Erloschenen.
