Nächste Stufe im Tarifstreit

Nach tagelangen Verhandlungen erklären die Gewerkschaften die Gespräche im öffentlichen Dienst für gescheitert. Jetzt ruhen alle Hoffnungen auf einer Schlichtung.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser fühlte sich am Donnerstag nach eigenen Worten ein bisschen müde. Dies habe an den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst gelegen, sagte die SPD-Politikerin am Rande der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik. Meldungen über das Scheitern der Verhandlungen, an denen Faeser teilnahm, liefen nämlich erst um kurz nach Mitternacht über die Ticker der Nachrichtenagenturen.
Die Tarifauseinandersetzungen in Deutschland gehen also weiter. Doch auch wenn die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) am Montag gemeinsam in einen Warnstreik traten: Es handelt sich hier wie dort um zwei unterschiedliche Paar Schuhe. Und was für die Bürger:innen noch wichtiger ist: Mit Streiks über die Osterfeiertage ist nach jetzigem Stand eher nicht zu rechnen.
Im öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen hätte es nach Faesers Worten Einigungsmöglichkeiten gegeben. Die Arbeitgeber hätten demnach immerhin acht Prozent mehr Einkommen und einen Mindestbetrag von 300 Euro angeboten – ergänzt um eine steuerfreie Einmalzahlung von 3000 Euro mit einer Auszahlung von 1750 Euro bereits im Mai.
Nur: Verdi und dem Deutschen Beamtenbund reichte das nicht. Sie fordern 10,5 Prozent mehr Einkommen, mindestens aber 500 Euro zusätzlich im Monat. Der Mindestbetrag, der vor allem Bezieherinnen und Beziehern unterer Einkommen zugutekäme, war für sie zentral.
Nun hat eine Schlichtungskommission vom Wochenende bis Mitte April Zeit, einen Einigungsvorschlag für das Einkommen der 2,5 Millionen Beschäftigten von Bund und Kommunen vorzulegen. Währenddessen herrscht Friedenspflicht. Erst nach deren Ablauf ist mit neuen Streiks im öffentlichen Dienst zu rechnen – vorausgesetzt, die Schlichtung scheitert.
„Wir sind den Gewerkschaften sehr weit entgegengekommen“, sagte die Bundesinnenministerin am Donnerstagmorgen – und zwar „bis an die Grenze des Verantwortbaren für die öffentlichen Haushalte“. Schließlich gelte es, mit dem Geld aller Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sorgsam umzugehen. „Aber die Gewerkschaften waren zu einer Einigung nicht bereit.“ Sie erwarte jetzt von ihnen, „dass die weiteren Verhandlungen schnell gehen und am Ende zu einer guten Einigung führen – nur das wird der Verantwortung gegenüber den Beschäftigten gerecht“.
Unterdessen erklärte der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, dass er wenig Spielraum für eine Schlichtung sehe. Immerhin hätte schon das letzte Angebot eine Mehrbelastung für die Kommunen in zweistelliger Milliardenhöhe bedeutet. Die Rede ist von 17 Milliarden Euro. Mehr wäre demnach erst recht schwierig.
Im Bereich der Bahn hatte die EVG zuletzt zwölf Prozent mehr Gehalt, jedoch auch mindestens 650 Euro mehr monatlich für alle Beschäftigten gefordert. Die Deutsche Bahn hatte angeboten, die Löhne der rund 180 000 betroffenen Mitarbeiter:innen in zwei Schritten um insgesamt fünf Prozent anzuheben sowie steuerfreie Einmalzahlungen in Höhe von insgesamt 2500 Euro in Aussicht gestellt.
Am Donnerstag sagte ein EVG-Sprecher dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Über Ostern ist nicht mit Streiks zu rechnen. Da wir nicht die Fahrgäste bestreiken, sondern die Unternehmen, werden wir über Ostern nicht streiken, aber auch nicht verhandeln“. Er fügte hinzu: „Nach Ostern muss man dann sehen, wie die Verhandlungslage ist. Wir erwarten von der Bahn ein verbessertes Angebot, über das man verhandeln kann. Wenn das vorliegt, beurteilen wir die Lage“.
Gemeinsam ist beiden Tarifauseinandersetzungen, dass die Lohnforderungen angesichts der aktuell enormen Inflation höher sind als üblich – und dass sich die Gewerkschaften auch deshalb als sehr mobilisierungsfähig erweisen. So verzeichnete Verdi in den vergangenen drei Monaten nach eigenen Angaben mehr als 70 000 Neueintritte. Und bei der Bahn machen sich EVG und die Gewerkschaft der Lokführer (GdL) gegenseitig Konkurrenz.
Der langjährige Verdi-Vorsitzende und heutige Grünen-Bundestagsabgeordnete Frank Bsirske sagte dem RND vor diesem Hintergrund: „Die gegenwärtige Situation stärkt die Position der Gewerkschaften. Denn der Arbeitsmarkt ist gekippt von einem Angebots- in einen Nachfragearbeitsmarkt. Und zweistellige Lohnerhöhungen im öffentlichen Dienst sind zwar eine Herausforderung für jeden Kämmerer. Eine noch größere Herausforderung ist es aber, wenn der öffentliche Dienst gar keine Arbeitskräfte mehr bekommt“. Schließlich gebe es mittlerweile reihenweise Berufsgruppen mit enormen Schwierigkeiten, Fachkräfte zu rekrutieren.
„Außerdem ist der Druck auf die Gewerkschaften angesichts von mehrjährigen Reallohnverlusten und anhaltenden Preissteigerungen, die bei Lebensmitteln eher über 20 Prozent liegen, enorm hoch“, fügte Bsirske hinzu. „Da kommt eine Menge Sprengstoff zusammen. Die Arbeitgeber wären gut beraten, dem Rechnung zu tragen.“