Langsam dreht die Inflation

Die Explosion der Energiepreise und höhere Kosten für Nahrungsmittel haben die Inflation in Deutschland 2022 auf den höchsten Stand seit mehr als 70 Jahren getrieben. Zum Jahresende aber verliert der Preisanstieg an Tempo.
Der Preisanstieg hat sich im Dezember etwas abgeschwächt. Nach vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamts lag die Jahresinflation bei 8,6 Prozent – im November waren es zehn Prozent gewesen. Das ändert allerdings nichts daran, dass das vergangene Jahr die stärkste Teuerung seit den Fünfzigerjahren brachte. Im Jahresdurchschnitt lag die Inflation bei 7,9 Prozent. „Der Geldbeutel der Verbraucher blieb auch zum Jahresende 2022 arg strapaziert“, sagt Michael Heise, Chefökonom beim Vermögensverwalter HQ Trust. „Aber immerhin ist die Inflationsrate wieder deutlich in den einstelligen Bereich gefallen.“
Die Wende zum Jahresende ist vor allem niedrigeren Energiepreisen zu verdanken. So waren Heizöl und Treibstoffe im Dezember rund zehn Prozent billiger als im November, weil der Preis für Rohöl deutlich gefallen ist. Außerdem wirkte sich der erste Teil der staatlichen Gaspreisbremse aus: Immobilienbesitzer:innen mussten im Dezember keinen Abschlag an ihre Energieversorger überweisen. Weil die Statistiker die Lebenshaltungskosten messen – also die Preise, die von Konsumentinnen und Konsumenten bezahlt werden – wurde ein großer Teil des Gasverbrauchs für einen Monat quasi zum Nulltarif erfasst.
Damit ist es im Januar allerdings wieder vorbei. Dann gilt nicht mehr der Nulltarif, sondern ein reduzierter Preis für den größten Teil des Gasverbrauchs. Deshalb rechnet zum Beispiel Christoph Swonke von der DZ Bank damit, dass die Inflation im Januar und Februar noch einmal etwas zulegen wird. Erst ab März wird es nach seiner Einschätzung nachhaltig abwärts gehen.
Eine Entspannung erwarten die meisten Expertinnen und Experten im Frühjahr. Dafür sollte allein schon der sogenannte Basiseffekt sorgen: Der heftige Preisanstieg bei Gas und Öl begann 2022 im März, ein Jahr später werden die Preise dann mit den höheren Ausgangswerten verglichen. Damit wird das Inflationsproblem aber nicht erledigt sein. „Insgesamt bleibt die Inflationsrate viel zu hoch“, sagt etwa Ulrike Kastens, Volkswirtin bei der Fondsgesellschaft DWS.
Sie rechnet damit, dass die Inflation auch im Sommer noch über fünf Prozent liegen wird. Viele Prognosen sehen den Wert zum Jahresende dann bei rund drei Prozent. Im Jahresschnitt erwartet etwa die Bundesbank mehr als sieben Prozent und damit kaum weniger als im vergangenen Jahr. Die EZB strebt allerdings zwei Prozent an, und so kommt Friedrich Heinemann vom ZEW-Institut zu dem Schluss: „Eine Rückkehr zur Preisstabilität bleibt trotzdem für dieses Jahr unmöglich.“
Das bewerten die Ökonom:innen allerdings sehr unterschiedlich. Die optimistische Sicht vertritt Sebastian Dullien: „Mit dem deutlichen Rückgang dürfte nun die Kehrtwende bei der Inflation geschafft sein“, sagt der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. Neben der Energie werden nach seiner Einschätzung auch die Lebensmittel bald billiger.
Davon war im Dezember noch wenig zu spüren. Gegenüber November waren Lebensmittel zwar ein wenig günstiger, aber am rapiden Anstieg der Monate davor ändert das nichts. So sind Nahrungsmittel weiterhin gut 20 Prozent teurer als vor einem Jahr. Dullien verweist aber darauf, dass die Preise auf dem Weltmarkt und im Großhandel bereits gefallen seien.
Teurer wurden auch Dienstleistungen. So bleibt ZEW-Experte Heinemann skeptisch: Die Inflation habe fast alle Güter und Dienstleistungen erfasst, „und Instrumente wie die Gaspreisbremse lindern letztlich nur Symptome“. Auch Christoph Swonke von der DZ Bank sieht das Problem noch lange nicht gelöst: „Das Inflationsniveau bleibt 2023 meilenweit vom EZB-Ziel entfernt.“
Der Europäischen Zentralbank bleiben noch einige Wochen Zeit, sich ihre Reaktion zu überlegen. Der EZB-Rat hat seine nächste Sitzung Anfang Februar und wird dann nahezu sicher die Leizinsen ein weiteres Mal erhöhen. Über das Ausmaß und vor allem den Ausblick auf die nächsten Monate wird bis dahin noch viel spekuliert werden.
Nachdem die Notenbank zu spät mit der Inflationsbekämpfung begonnen hat, steht sie nun unter dem Druck, ihre Entschlossenheit zu beweisen.