Immer häufiger mit Werbung

Bezahlfernsehen und Streamingdienste sollen aber jenseits der Deluxe-Varianten vorerst nicht generell teurer werden. Branche erwartet weiter starkes Wachstum.
Medienkonsum über einen Bildschirm war in den vergangenen Corona-Jahren ein großer Krisengewinner. Nun kommen der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und anhaltend hohe Inflation dazu. Aber auch die werden ihre Branche nicht bremsen, glaubt Nicole Agudo. „Der Medienkonsum von Menschen wächst in Zeiten wie diesen, um sich vom Alltag zurückziehen zu können“, glaubt die Bezahlfernsehen- und Streaming-Expertin von der TV-Gruppe ProSiebenSat1. So sehen das auch Kolleginnen und Kollegen der konkurrierenden RTL-Gruppe oder des Bezahlsenders Sky, die gemeinsam im Branchenverband Vaunet organisiert sind.
Dessen Geschäftsführer Frank Giersberg wird für das laufende Jahr konkret. „Wir prognostizieren für 2022 insgesamt rund neun Prozent Umsatzwachstum auf in Deutschland erstmals über fünf Milliarden Euro“, kündigt er bei einem Online-Treffen führender Vaunet-Mitglieder an. Steigende Preise habe man dabei nicht einkalkuliert. Von RTL über ProSiebenSat1 bis Sky und darüber hinaus kündigt jedenfalls niemand, auf eine entsprechende Frage hin, kommende Preiserhöhungen für Streaming- oder PayTV-Abos an.
Diese Abonnements seien eine der günstigsten Unterhaltungsmöglichkeiten, betont vielmehr Hannes Heyelmann als Deutschland-Chef des US-Medienriesen Warner Discovery. Zudem sei der Wettbewerbsdruck hoch, sagt Giersberg. Kurzfristig muss die Bezahlfernseh- oder Streamingkundschaft wohl – anders als es in anderen Bereichen des Lebens gegenwärtig der Fall ist – keine höheren Preise fürchten, heißt das.
Aber auch in der zuletzt erfolgsverwöhnten Branche wachsen die Bäume nicht mehr in den Himmel, wie die Entwicklung von Streaming-Pionier Netflix zeigt. Der hat im abgelaufenen Quartal weltweit fast eine Million Abonnements verloren. Das war zwar nur die Hälfte dessen, was im Vorfeld befürchtet worden war, weil die Erfolgsserie „Stranger Things“ schlechtere Zahlen verhindert hat. Aber klar ist auch, dass werbefreies Streaming in Reinkultur nicht nur bei Netflix ein Auslaufmodell ist.
„Es zeichnet sich ein neuer Trend ab“, stellt Agudo klar und meint damit Streaming mit dort lange verpönter Werbung. Branchenkollegen unterstreichen das. Bei Streamingdiensten wird es künftig vermehrt Billigvarianten mit Werbung geben, weil für die werbefreien Edelversionen in Zeiten hoher Inflation und anhaltender Krisen vielen das Geld fehlen dürfte.
Der Vorteil für die Dienste ist natürlich, dass sie gegenüber ihrer Kundschaft nicht an der Preisschraube drehen müssen, aber per Werbung trotzdem für mehr Erlös sorgen können. Wer dagegen die neuesten Staffeln seiner Lieblingsserien sofort sehen will, muss weiter oft nicht nur ein Abo dafür bezahlen, weil längst nicht alles überall läuft.
Zudem zerfällt der Markt recht klar in zwei Hälften mit unterschiedlichen Wachstumsraten. Auf der einen Seite sind etablierte Anbieter, die wie ProSiebenSat1 oder RTL aus dem traditionellen Fernsehen oder wie Sky aus dem linearen Bezahlfernsehen kommen, aber heute alle auch Streamingangebote haben. Auf der anderen Seite stehen reine Streamingdienste wie Netflix und Apple. Auf Letztere ist 2021 in Deutschland mit 2,5 Milliarden Euro erstmals mehr Umsatz entfallen als auf die traditionellen Häuser mit 2,2 Milliarden Euro, wo das Geschäft kaum noch wächst. Insgesamt lag das Branchenplus voriges Jahr bei gut 13 Prozent und in der Summe 4,7 Milliarden Euro.
Die Trends halten wohl an. Für 2022 sagt Vaunet für Streamingdienste in Deutschland weiter starkes Wachstum auf 2,8 Milliarden Euro voraus, bei den Angeboten von Sky, RTL & Co mit 2,3 Milliarden Euro fast Stagnation. „Für uns ist es zweitrangig, ob Live-TV oder Streaming, Hauptsache die Gesamtnutzung steigt“, sagt Agudo auch im Namen der Konkurrenz. Immerhin habe der Oktober 2021 mit 22,6 Millionen Menschen, die Pay-TV sahen, einen neuen Reichweitenrekord gebracht. Auch der dürfte demnächst aber von den Streamingportalen geknackt werden.