„Es ist mehr möglich als ein billiger Kompromiss“

Verhandlungsexperte Thorsten Hofmann über Chancen und Risiken der Ampel-Gespräche sowie die Lehren aus dem Scheitern von Jamaika
Herr Hofmann, Sie sind Verhandlungsexperte. In Berlin sitzen nun drei Parteien mit unterschiedlichen Schwerpunkten am Tisch. Wie schätzen Sie die Ausgangslage ein?
Die Sondierungen haben überrascht, weil nichts durchsickerte. Das ist bei einer Dreierkonstellation nicht so trivial wie bei Verhandlungen zu zweit.
SPD, Grüne und FDP betonen die Gleichberechtigung in den kommenden Verhandlungen. Ist das überhaupt möglich?
In dieser Konstellation haben wir eine Abhängigkeit, die zu Gleichwertigkeit führt. Jeder weiß: Wenn wir es nicht hinkriegen, bleibt am Ende nur die große Koalition.
Was verändert sich, nachdem in den Sondierungen erste Beziehungen aufgebaut wurden, jetzt mit dem Eintritt in konkrete Verhandlungen?
Bislang gab es vertrauensvolle Gespräche in einer kleinen Gruppe. Jetzt treten mehr Akteure auf den Plan. Es sind fachliche Teams, aber auch strategische Teams. Damit steigt auch die Unsicherheit. Denn es wächst die Möglichkeit, dass Vertrauen verletzt wird. Jetzt muss sich zeigen, dass Vertrauen gerechtfertigt ist und inhaltliche Konflikte gemeistert werden können.
Worauf kommt es beim Start an?
Zuerst sortiert man Themen in passende Themenblöcke. Zum Klimaschutz etwa gehören auch Mobilität und Energie. Dann geht es um die Größe der Verhandlungsteams in den Untergruppen – je größer so eine Gruppe ist, desto länger und langwieriger kann es manchmal werden, Entscheidungen herbeizuführen. Die dritte Ebene, ganz wichtig, ist die Schaffung einer Deeskalationsebene.

Worum geht es da?
Dort müssen Menschen sitzen, die dafür geeignet sind, aus Uneinigkeit keinen ideologischen Konflikt entstehen zu lassen. Sie suchen nach möglichen Lösungen, die dann den Entscheidern in der Hauptverhandlungsgruppe vorgelegt werden.
Wie setze ich durch, was mir besonders wichtig ist?
Verhandlung heißt, man ist nicht allein und kann deshalb auch nicht unabhängig entscheiden. In Koalitionsverhandlungen wird kein Beteiligter seine Maximalforderungen durchbringen. Es geht um Lösungen, die jedem gesichtswahrend etwas zukommen lassen. Es ist aber möglich, aus diesen Lösungswegen mehr als einen billigen Kompromiss zu machen. Eine kooperative Lösung kann im Idealfall nicht den kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern eine vielfach bessere Lösung als Ergebnis haben, als es die jeweilige Einzellösung gewesen wäre.
Das Publikum ist immer beeindruckt von nächtlichen Krisensitzungen bis zum Morgengrauen. Muss so etwas sein bei Verhandlungen?
Sicher nicht bei politischen Verhandlungen. Wenn jemand auf Basis physischer Erschöpfung seine Zustimmung erteilt, ärgert er sich häufig am Morgen über sich und über das Ergebnis. Dieser Ärger ist keine gute Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Denn nach dem Koalitionsvertrag ist vor dem Regieren. Also: Es ist besser, vor den Verhandlungen einen Zeitrahmen zu definieren. Er sollte so bemessen sein, dass man mit klarem Verstand verhandeln und entscheiden kann. Alles andere ist eher Symbolik, an den Wähler gerichtet. Nach dem Motto: Schau mal, wie hart ich verhandelt habe.
Was können SPD, Grüne und FDP für ihre Verhandlungen aus den 2017 gescheiterten Jamaika-Sondierungen lernen?
Damals steckte in den Köpfen mancher Beteiligter, dass es so etwas wie Koch und Kellner geben könnte. Wenn man glaubt, die Partei mit dem niedrigsten Wahlergebnis einfach so mitschleifen zu können, ohne ihr eine Möglichkeit zu geben, gestalterisch Teil des Koalitionsvertrages zu sein, dann muss man sich nicht wundern, wenn sie nicht mehr mitspielen mag. Robert Habeck hat Recht, wenn er sagt, dass am Ende der Verhandlungen mehr herauskommen müsse als Rot-Grün mit etwas gelbem Kitt. Ich denke, das wissen alle Beteiligten.
Wie wichtig ist es, seine Emotionen am Verhandlungstisch zu zügeln?
Emotionen können andere verletzen. Darum rate ich, lieber eine Auszeit zu nehmen oder zu unterbrechen, wenn sich Emotionen aufzuschaukeln drohen. Das passiert in Stresssituationen. Es machen sich alle Beteiligten auch einen Eindruck darüber, wie die Partner auf den anderen Tischseiten auch künftig in Krisen oder Auseinandersetzungen reagieren könnten – aggressiv, arrogant, nicht zuhörend oder sachlich und berechenbar. Hier kann zusätzliches Vertrauen entstehen oder entstandenes Vertrauen zerbrechen.
Am Ende sollen sich alle als Gewinnerinnen und Gewinner fühlen. Wie kriegt man das hin?
Es gibt eine Zeit am Verhandlungstisch und es gibt eine Zeit danach, in der die Ergebnisse gedeutet werden. Und diese Deutung ist etwas ganz Elementares. Wer war erfolgreich? Wer hat sich durchgesetzt? Welche Punkte hat wer gemacht? Hier müssen sich alle Mitglieder einer neuen Regierung wiederfinden. Darum ist wichtig, dass alle drei Parteien an der Deutung der Ergebnisse mitarbeiten. Jeder muss vor die Parteigremien und auch vor die Wähler treten und sagen können: Ich habe etwas für euch erreicht.
Interview: Thoralf Cleven