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„Es geht um die Glaubwürdigkeit Europas“

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Von: Damir Fras

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Außenministerin Baerbock verurteilt Korruptionsfall im EU-Parlament / Visa-Pläne auf Eis?

Einer der größten Korruptionsskandale in der 70-jährigen Geschichte des Europaparlaments schlägt neue Wellen. Am Montag froren die Behörden die Vermögenswerte von Eva Kaili in ihrer Heimat Griechenland ein. Die Vizepräsidentin des Europaparlaments steht im Verdacht, mehr als 600 000 Euro dafür kassiert zu haben, sich in Brüssel für das WM-Gastgeberland Katar einzusetzen.

Die Sozialdemokratin sitzt seit dem Wochenende in Belgien in Untersuchungshaft. Die belgische Justiz hatte Kaili, die auch Mitglied einer Parlamentsdelegation für den Ausbau der EU-Beziehungen zur arabischen Halbinsel war, seit Monaten im Visier. Neben der 44-Jährigen wurden auch ihr Lebenspartner und vier weitere Personen festgenommen. Die Vorwürfe lauten auf bandenmäßige Korruption und Geldwäsche. Neben Geldzahlungen seien von Katar auch teure Geschenke an die Bestochenen gegangen. Katar dementiert die Vorwürfe.

In einer Rede im Europaparlament Ende November nannte Kaili das Emirat einen „Vorreiter in Sachen Arbeitsrecht“. Die WM sei Beweis dafür, „dass Sportdiplomatie einen historischen Wandel in einem Land bewirken kann, dessen Reformen die arabische Welt inspiriert haben“.

Bevor der Innenausschuss des Europaparlaments Anfang Dezember über eine Visa-Erleichterung für Katar abstimmt, griff Kaili zum Telefon und kontaktierte den Berichterstatter des Parlaments für die Visapolitik.

Der Grünen-Abgeordnete Erik Marquardt bestätigte, dass er von Kaili angerufen worden ist. „Sie hat sehr großes Interesse daran gezeigt, dass dem Golfemirat Visaerleichterungen schnell und ohne allzu viele Bedingungen gewährt werden“, sagte Erik Marquardt dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Dagegen habe Kaili kaum Interesse an den anderen von dem Thema betroffenen Staaten Ecuador, Kuwait und Oman gezeigt. Ihre politischen Ämter hat die Griechin inzwischen verloren.

Grundsätzlich seien Anrufe dieser Art im parlamentarischen Betrieb in Brüssel und Straßburg jedoch nicht ungewöhnlich, so Marquardt. Das gelte auch für die spätere Teilnahme Kailis an der Abstimmung im Innenausschuss, obwohl die Abgeordnete aus Griechenland nicht Mitglied des Ausschusses ist.

Aber seit Beginn der Pandemie fehlten immer wieder Abgeordnete bei Abstimmungen und würden von Kolleg:innen vertreten, so Marquardt. Der Ausschuss stimmte für die Visa-Liberalisierung für Katar.

Sollte sich bestätigen, dass hohe Geldsummen geflossen seien, um auf parlamentarische Entscheidungen Einfluss zu nehmen, dann „ist das eine schwere Belastung für die diplomatischen Beziehungen und auch für meine Arbeit mit der Delegation“, sagte die Grünen-Politikerin Hannah Neumann, seit 2019 Europaabgeordnete. Eine geplante Reise der Leiterin der Delegation für die Arabische Halbinsel nach Katar im Februar sei auf unbestimmte Zeit verschoben worden.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hält auch eine Reaktion der EU auf den „unglaublichen Vorfall“ für „denkbar“. Es gehe um die Glaubwürdigkeit Europas, sagte Baerbock am Montag am Rande eines Treffens der EU-Außenministerinnen und –minister. Der CDU-Europaabgeordnete Dennis Radtke forderte die Bundesregierung auf, angesichts der unerhörten Vorwürfe die vor wenigen Tagen geschlossenen Lieferverträge für LNG-Gas aus Katar zu überprüfen.

Im Fall der Einreiseerleichterungen für Katar ist der vermeintliche Plan zur Einflussnahme nicht aufgegangen. Es wird erwartet, dass das EU-Parlament den Beschluss auf Eis legt. Man könne „nicht so tun, als hätten wir beste Beziehungen mit einem Staat, der im Verdacht steht, unsere Demokratie mit Korruption anzugreifen“, so Marquardt.

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