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Eine ungewöhnliche Verkettung glücklicher Umstände

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An diesem Gitter klammerte sich Jake fest. victoria police
An diesem Gitter klammerte sich Jake fest. victoria police © Victoria Police

InMelbourne kann ein Junge, der vom Hochwasser in ein Kanalrohr gerissen wurde, in letzter Sekunde gerettet werden

Australien kämpft seit Monaten mit Überschwemmungen. Vor allem im Osten des Landes fallen aufgrund des Wetterphänomens La Niña ungewöhnlich hohe Niederschläge. Die Wassermassen wären dem elfjährigen Jake Gilbert in einem Stadtteil von Melbourne dieser Tage beinahe zum Verhängnis geworden. Der Junge war mit einem Freund auf dem Fahrrad unterwegs, als er über einen überschwemmten Abfluss fuhr und von der Strömung unter Wasser gesaugt wurde.

Das schnell fließende Wasser spülte den Jungen in einen offenen Kanal, riss ihn etwa zehn Meter durch das Rohr, bis sich der Fahrradhelm des Jungen am Gitter eines Straßenabflusses verfing. Jake gelang es, das Metallgitter von unten zu greifen und sich festzuhalten. Dabei musste er gleichzeitig gegen die starke Strömung ankämpfen und versuchen, den Kopf über Wasser zu halten.

„Ich liebe euch alle!“

Allein dies war schon ein kleines Wunder. Glücklicherweise wurde dann noch ein Passant auf den Jungen aufmerksam und rief um Hilfe. Diesen Notruf hörte ein Mitarbeiter des Rettungsdienstes SES, der bei Katastrophen ausrückt. Der Mann, der gerade nicht im Dienst war, eilte herbei. Auch ein Polizist kam innerhalb kürzester Zeit hinzu. Dieser beschrieb später, wie unglaublich dramatisch die Situation war, die er vorfand: „Als wir ankamen, war der Junge vollständig unter Wasser und klammerte sich buchstäblich mit seinen Fingernägeln an den Rost, damit er nicht in den Untergrund gesaugt wurde“, sagte Peter Ivory. Die Kraft des Wassers sei „außergewöhnlich“ gewesen, meinte er.

Während der Mitarbeiter des Katastrophendienstes versuchte, die Schrauben, mit denen das Abflussgitter befestigt war, zu entfernen, sprach der Polizist beruhigend auf Jake ein: „Zu einem Zeitpunkt fragte er mich, ob er es schaffen werde und ich sagte ihm: ‚Klar, du wirst das schaffen, alles ist gut, halt dich nur weiter fest.‘" Den Rettern gelang es schließlich, das Gitter aufzuhebeln und den Jungen aus dem wild abfließenden Sturmwasser zu ziehen.

Der Elfjährige selbst war von seiner Rettung ebenso überwältigt wie seine Retter. „Ich liebe euch alle“, soll Jake seinen Rettern laut einer Mitteilung der Victoria Police zugerufen haben. Später fragte er noch nach seinen Schuhen – die hatte allerdings das Wasser mitgerissen. Die Rettungskräfte versorgten den Jungen vor Ort und brachten ihn später ins Krankenhaus, wo er sich am Wochenende von seinem Albtraum erholte. Körperlich ist der Elfjährige kaum verletzt, er kam mit einigen Kratzern davon. Sein Freund, der ebenfalls von seinem Fahrrad gespült worden war, schaffte es, sich aus eigener Kraft zu retten. Er blieb ebenfalls unverletzt.

La Niña und der viele Regen

Kristy Briffa von der Polizei in Melbourne beschrieb die Rettungsaktion als „höchst erstaunlich“. Es bestehe kein Zweifel, dass die schnelle Reaktion aller Beteiligten dem Kind das Leben gerettet habe: „Wir freuen uns sehr, dass diese Geschichte ein Happy End hat.“ Eine Geschichte, die allerdings auch zeige, wie heimtückisch und gefährlich Hochwasser sein könne. Der Polizist Peter Ivory, der an der Rettung beteiligt war, lobte vor allem den Passanten und den Mitarbeiter des Rettungsdienstes: „Sie sind die wirklichen Helden dieser Geschichte“, meinte er.

Vom Krankenhausbett aus berichtete Jake Gilbert dem australischen Sender ABC von seiner Angst, dass er sterben würde. „Als es mich runterzog, dachte ich: ‚Ich bin nicht bereit zu gehen, ich will nicht in den Himmel kommen, und deshalb habe ich versucht, rauszukommen‘.“ Außerdem sei ihm durch den Kopf gegangen, ob es seinem Freund gut gehe und was seine Eltern und die Schule über den Vorfall denken würden. Radfahren werde er weiterhin, nur im Regen will Jake künftig nicht mehr unterwegs sein.

Der Osten Australiens kämpft gerade mit dem fünften großen Hochwasser in nur 19 Monaten. Extreme Regenfälle haben etliche Städte in den Bundesstaaten New South Wales, Victoria und Tasmanien überschwemmt. Fachleute prognostizieren, dass die ungewöhnlich hohen Niederschläge voraussichtlich bis 2023 andauern werden. In der Fünf-Millionenstadt Sydney wurden in diesem Jahr 2,40 Meter Regen registriert. Letzteres bedeutet laut eines Berichts des Fachmagazins „New Scientist“, dass sich eine Wassermenge von etwa drei Millionen olympischen Schwimmbecken über die Stadt ergossen hat.

Verantwortlich für die vielen Niederschläge ist das Klimasystem La Niña, das im Pazifischen Ozean entsteht und Regen an die Ostküste Australiens bringt. Eine seltene Gruppierung von drei La Niña-Zyklen hintereinander seit Ende 2020 hat die Situation nochmals intensiviert.

Dazu beigetragen hat auch ein Phänomen namens Indischer-Ozean-Dipol (IOD): Dieser befindet sich in einer Phase, die ebenfalls mehr Regen nach Südostaustralien bringt. Auch der Klimawandel könnte laut der Wissenschaft eine Rolle spielen. Denn jedes zusätzliche Grad in der Atmosphäre bedeutet, dass diese zusätzliche sieben Prozent Feuchtigkeit aufnehmen kann – die sich dann auch wieder als Regen übers Land ergießen.

Polizist Peter Ivory (li) und der Mann vom Katastrophendienst. victoria police
Polizist Peter Ivory (li) und der Mann vom Katastrophendienst. victoria police © Victoria Police

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