Doktor Autsch

Die meisten Menschen wollen weder gebissen noch gestochen werden – Sam Robinson stellt sich dem Schmerz im Dienste der Wissenschaft
Tweets von Sam Robinson lesen sich meist so: „Velvet Ant. Ehutomorpha bicolorata. 12mm. Australien. Scharf, glitzernd, überraschend hartnäckig – wie eine Weihnachtskugel, auf der Sie standen und die einen Glassplitter in Ihrem Fuß hinterlassen hat. Schmerzlevel: 1,5.“
Sam Robinson arbeitet am Institute for Molecular Bioscience der Universität von Queensland. Der Forscher hat sich auf das spezialisiert, was die meisten Menschen eher umgehen wollen. Er forscht über den Effekt und die Gifte von Tieren und Pflanzen und lässt sich deswegen im Namen der Wissenschaft selbst stechen und beißen. Robinson informiert sich dabei aber genauestens: Er gehe nicht „leichtsinnig“ vor, sondern recherchiere viel vorab und achte darauf, dass ihn „nichts umbringt“, sagt er.
Honigbiene ist Mittelmaß
Das heißt, die wirklich tödlichen Giftmischer des fünften Kontinents – Schlangen wie der Taipan, die Trichternetzspinne oder die Würfelqualle – hat er nicht ausgetestet. Trotzdem ist seine Aktivität natürlich nicht nachahmenswert. Robinson ist auf die Gifte nicht allergisch und hatte deswegen nie eine wirklich ernsthafte Reaktion, obwohl er – wie er sagt – schon von 200 verschiedenen Tieren und Pflanzen gestochen worden ist.
Seine Familie hat sich inzwischen daran gewöhnt, dass der Wissenschaftler Experimente am eigenen Leib unternimmt – wobei „meine Frau mir manchmal vorwirft, dass ich mich in einen verrückten Wissenschaftler verwandle“. Als einmal eine der großen „Teddybärbienen“ in Robinsons Haus flog, hat er diese eingefangen und sich von der australischen Bienenart stechen lassen. Laut des Molekularbiologen erreichte der Stich der Biene mit dem wissenschaftlichen Namen Amegilla bombiformis ein Schmerzniveau von 2,5 von insgesamt vier und ist damit etwas schmerzhafter als der der europäischen Honigbiene, die mit einer Zwei das Mittelmaß darstellt.
Robinson arbeitet mit dem „Schmidt-Stichschmerz-Index“, der es erlaubt, Schmerzen durch einen Stich oder Biss zu beschreiben. Der Index reicht von eins (am wenigsten schmerzhaft) bis vier (am schmerzhaftesten). Den Index entwickelte Justin Schmidt, ein US-amerikanischer Insektenforscher, der sich schon von mehr als 150 Insektenarten aus aller Welt hat stechen und beißen lassen.
Die Qualen nimmt Sam Robinson auf sich, um anhand der pflanzlichen und tierischen Toxine potenzielle biomedizinische Anwendungen zu finden. Außerdem will er verstehen, wie die Gifte den menschlichen Körper beeinflussen. Dabei geht es darum herauszufinden, was verschiedene Tiere und Pflanzen verwenden, um sich zu verteidigen, und wie diese Moleküle im menschlichen Körper wirken.
Laut Robinson ist Schmerz ein sehr „komplexes“ Thema. Es gebe viele verschiedene Arten von Schmerzen, aber nur begrenzte Medikamente, um sie zu behandeln. Mehr Alternativen in der Schmerzbehandlung zu finden, erfordere Kreativität und das Wissen, worauf diese Medikamente genau abzielen sollen. Die vergangenen 50 Jahre waren laut Robinson die „Ära der Molekularbiologie“ und die Möglichkeiten für viele neue Entdeckungen sind seiner Meinung nach groß.
Zu den schmerzhaftesten Erlebnissen zählt bisher Dendrocnide moroides – ein Gympie-Gympie genannter Baum – den Robinson auf der Schmerzskala mit einer Drei bewertet hat. Mit dem Baum kam er in einem australischen Nationalpark in Berührung. Es sei „ein intensiver, stechender Schmerz“ gewesen, der sofort eingesetzt habe. Außerdem habe die Stelle auch noch wochenlang danach geschmerzt. „Sobald etwas Kaltes an die Stelle kam, war der Schmerz wieder da – ebenso intensiv wie am Anfang“, sagte er.
Nochmal schlimmer als der giftige Baum sei ein rothaariger Tausendfüßler gewesen – Scolopendra morsitans –, der ebenfalls auf dem fünften Kontinent wohnt und auf der Skala bei einer 3,5 angesiedelt ist. Den Schmerz dieses Bisses beschrieb der Molekularbiologe als einen „tiefgehenden Schmerz“, der sich nach und nach aufbaue – ein wenig, als würde einem ein brennender Baum aus dem Arm wachsen.
Das schmerzhafteste Erlebnis war jedoch der Stich einer Spinnenwespe ( Heterodontonyx bicolor ), der auf der Schmerzskala die Höchststufe vier erreichte. Die bis zu vier Zentimeter große Wespe, die Spinnen jagt, musste Robinson mit einer langen Pinzette festhalten, um sie nah genug an sich heranzubekommen, damit sie ihn stechen konnte. Der Schmerz setzte sofort ein und war „pulsierend“, so, als würde man „seinen Finger in einer Tür einklemmen“. Von diesen Wespen, sagt er, will er sich in Zukunft lieber fernhalten.
