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„Die meisten leben von ihren Ersparnissen“

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Von: Tobias Peter

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Verdi-Vorsitzender Frank Werneke.
Verdi-Vorsitzender Frank Werneke. © Christoph Soeder/dpa

Verdi-Chef Frank Werneke über die Probleme von Soloselbstständigen in der Krise, neue Schulkonzepte und befristete Arbeitsverträge.

In Politik und Öffentlichkeit wird heftig darüber debattiert, ob Schulen und Kitas angesichts des Infektionsgeschehens schließen oder in den Wechselbetrieb übergehen sollten. Ebenfalls umstritten ist, wie hoch die Belastung von Beschäftigten im Homeoffice ist und ob die Heimarbeit gesetzlich geregelt werden sollte. Der Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Werneke, hat nicht nur zu diesen Themen klare Meinungen.

Herr Werneke, sollte der Betrieb von Kitas und Schulen beschränkt werden, um Erzieher:innen und Lehrer:innen, aber auch die Kinder in Zeiten hoher Corona-Infektionszahlen besser zu schützen?

Eine der wesentlichen Lehren aus diesem Frühjahr ist, dass der Schaden für Kinder und Jugendliche immens ist, wenn Kitas und Schulen geschlossen sind. Wir verlieren dann gerade die Kinder, die es zu Hause nicht so einfach haben. Deshalb wollen wir Kitas und Schulen offen halten – mit durchdachten Hygienekonzepten.

Sind Sie mit dem Arbeitsschutz für die Erzieherinnen und Erzieher in den Kitas in der Pandemie zufrieden?

Die Erzieherinnen und Erzieher geben alles für einen guten Schutz, um Corona-Fälle zu verhindern. Doch sie können an widrigen Voraussetzungen natürlich wenig ändern. Gerade in großen Städten haben wir oft zu große Gruppen für zu kleine Räume. Teils sind die Räume nicht gut zu belüften. Und klar, die Kita-Kinder können und werden nicht den ganzen Tag lang Masken tragen.

Was lässt sich also tun, um den Arbeitsschutz zu verbessern?

Die Arbeitgeber sollten Erzieherinnen, Altenpflegern und, wo es sinnvoll ist, auch zu Pflegenden FFP2-Masken zum Schutz vor Corona zur Verfügung stellen – und zwar in ausreichender Zahl und nicht eine jede Woche, wie das jetzt geplant ist. Es gibt noch immer riesige Defizite. Jetzt rächt sich, dass die Politik und viele Arbeitgeber die Augen vor der Gefahr einer zweiten Welle verschlossen haben, anstatt gründliche Vorbereitungen zu treffen. Das gilt übrigens auch für die räumliche Situation.

Wie meinen Sie das?

Ich unterstütze ausdrücklich die Forderung, dass die Kommunen jetzt endlich einmal wirklich ernsthaft prüfen, welche zusätzlichen Räume es gibt, die in der Pandemie leer stehen und die man nutzen könnte. Ein Messezentrum und ungenutzte große Tagungsräume in Hotels sind dann vielleicht nichts für die Kita-Kinder, aber vielleicht für Schulen. Es bringt doch nichts, wenn Politiker solche Ideen alle paar Wochen immer nur in den Raum stellen und dann nie etwas geschieht.

Was würden weitere Corona-Einschränkungen im Dezember wirtschaftlich bedeuten – auch und gerade für die Beschäftigten im Land?

Das Gute ist: Wir verzeichnen keinen massiven Einbruch von Kaufkraft, was auch an der guten Regelung beim Kurzarbeitergeld liegt. Die Einschränkungen im November treffen aber gerade die Menschen im Kultur- und Veranstaltungswesen und den Tourismus hart. Wenn diese Anti-Corona-Maßnahmen im Dezember verlängert werden sollten, muss die Bundesregierung auch die bestehenden Hilfen, die bislang nur für den November vorgesehen sind, verlängern.

Zur Person

Frank Werneke, 53, ist seit September 2019 Vorsitzender der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi). Der gelernte Verpackungsmittelmechaniker war zuvor schon 18 Jahre lang Mitglied im Bundesvorstand von Verdi, seit 2002 als stellvertretender Bundesvorsitzender.

Im November werden bei Soloselbstständigen und Künstlern als Entschädigung 75 Prozent des Umsatzes aus dem Vergleichszeitraum im Vorjahr ausgeglichen. Die jetzigen Einschränkungen sind mit Blick auf die Belastungsgrenzen im Gesundheitssystem gerechtfertigt, haben aber massive Auswirkungen, etwa auf Kulturschaffende. Wenn es zu einer Verlängerung der Einschränkungen im Dezember kommen sollte, darf die Unterstützung nicht nachlassen. Dann müssen aus den Novemberhilfen Dezember- und Januarhilfen werden.

Die Bundesregierung plant bereits eine Neustarthilfe für Soloselbstständige – mit einer einmaligen Betriebskostenhilfe von bis zu 5000 Euro.

Das reicht hinten und vorn nicht. Die Soloselbstständigen werden bei dieser sogenannten Neustarthilfe ins Hartz-IV-System gedrängt und sollen dann einen kleinen, am Umsatz orientierten Zuschlag bekommen. Die Neustarthilfe ist ein Beispiel für ein Konzept, das einen wohlklingenden Namen hat, aber kaum hilft.

Das Geld käme ja auf die Grundsicherung drauf, zu der es einen vereinfachten Zugang gibt.

Nur wenige der Betroffenen beantragen tatsächlich Hartz IV, auch wenn ihnen in dieser Situation mehr Schonvermögen zugestanden wird. Die meisten leben von ihren Ersparnissen. Bei Hartz IV stellt sich zum einen eben immer die Frage, ob jemand in einer Bedarfsgemeinschaft lebt. Zum anderen wollen diese Menschen, die sehr selbstständig arbeiten und leben, nicht ins Hartz-IV-System. Es gibt bessere Wege, ihnen zu helfen.

Was erhoffen Sie sich generell in dieser Legislaturperiode noch von der großen Koalition?

Ein wichtiges Vorhaben, das von der großen Koalition unbedingt noch angepackt werden sollte, ist die Begrenzung von sachgrundlosen Befristungen. Das ist fest im Koalitionsvertrag vereinbart, das haben die Regierungsparteien den Menschen in diesem Land versprochen. Das war einer der wesentlichen Gründe für die Zustimmung der SPD-Mitglieder zur Koalition. Ich nehme derzeit jedoch leider nicht die Energie wahr, die notwendig ist, um in dieser Legislaturperiode noch zu einem Ergebnis zu kommen. Das wäre nicht akzeptabel, dabei geht es auch um die Glaubwürdigkeit von Politik.

Können Sie die Forderung der Wirtschaft nicht verstehen, in einer so großen Krise keine zusätzlichen Belastungen zu schaffen?

Verlässliche Arbeitsverhältnisse sind keine Belastung für die Unternehmen, sondern geben den Beschäftigten Sicherheit und helfen damit am Ende auch der Produktivität der Unternehmen. Was ich nicht akzeptiere, ist, wenn eine schwierige Arbeitsmarktsituation ausgenutzt werden soll, um generell unfaire Bedingungen zu erhalten oder auszuweiten. Und derzeit wird leider wieder verstärkt mit sachgrundloser Befristung eingestellt.

Geht es beim Gesetzentwurf zum Thema Homeoffice, für den Arbeitsminister Hubertus Heil kämpft, im Vergleich um ein Luxusproblem?

Es gibt auf jeden Fall einen Regelungsbedarf beim Thema Homeoffice und beim mobilen Arbeiten. Es geht vor allem darum, Arbeitnehmer zu schützen. Unser Eindruck ist, dass die Beschäftigten etwa von Banken, Versicherungen, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und ähnlichen Arbeitgebern massiv zum mobilen Arbeiten gedrängt werden, um Bürokosten zu sparen. Hier braucht es ein hartes Mitbestimmungsrecht von Betriebs- und Personalräten. Ich fordere Union und SPD auf, sich beim Thema Homeoffice noch zu verständigen.

Interview: Tobias Peter

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