Die Inflation kehrt zurück

Die Preise für Rohstoffe steigen massiv. Sie sind Vorboten einer Teuerungswelle, wie sie die Welt lange nicht gesehen hat. Doch der Wertverlust des Geldes scheint einkalkuliert. Die Politik will um jeden Preis Pleiten und Massenarbeitslosigkeit vermeiden.
Was kostet es, einen Seecontainer von Europa nach Asien schippern zu lassen? Bei Fragen wie diesen können neue Onlineplattformen weiterhelfen. Zum Beispiel Xeneta, ein europäisches Start-up mit Sitz in Oslo und Büros in Hamburg und New York, gegründet von Jungs in Rollkragenpullovern. Die Firma vergleicht Frachtraten und hilft, gute Angebote zu finden.
Xeneta kann sogar noch etwas mehr. Firmenchef Patrik Berglund ist stolz auf den von ihm entwickelten Xeneta Shipping Index (XSI). Er beschreibt ihn als ein digitales Thermometer fürs Marktgeschehen auf den Meeren, gestützt auf „mehr als 200 Millionen Datenpunkte“. Als Berglund dieser Tage seinen eigenen Index betrachtete, war er selbst verblüfft: „Die Temperatur steigt gerade durchs Dach.“
Rund um den Globus gibt es eine Nachfrage nach Containern wie noch nie. „Die Lage auf unserem Markt ist gerade völlig außergewöhnlich und sehr komplex“, sagte vergangene Woche ein Manager von Maersk, dem größten Container-Transporteur der Welt mit Sitz in Kopenhagen, im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Während Bestellungen sich türmen und die Kundinnen und Kunden warten, arbeiten die Häfen auf allen Kontinenten pandemiebedingt viel langsamer als sonst. Die Folge: Die Händler:innen werden nervös – und zahlen den Reedern jeden Preis. In Hamburg rechnet Hapag-Lloyd-Chef Rolf Habben Jansen fürs erste Quartal mit einem Rekordgewinn von 1,25 Milliarden Euro. Das ist neunmal mehr als im ersten Quartal 2020.
Frachtraten waren schon oft Frühindikatoren für kommende Teuerungswellen. Es ist, als fielen im Bergbau die Warnvögel, die auf Sauerstoffmangel empfindlich reagieren, in ihren Käfigen reihenweise von der Stange. Laut „World Container Index“ werden neuerdings für die Tour der klassischen Zwölf-Meter-Kiste von Schanghai nach Los Angeles mehr als 4000 Dollar aufgerufen; jahrelang schwankte der Preis zuvor um 1500 Dollar.
Allerorten beugen sich Ökonominnen und Ökonomen über diese kuriosen neuen Kurven: Was ist da los? Wie immer hat das aktuelle Wirtschaftsgeschehen viel mit Erwartungen zu tun. Jeder erhofft sich eine Eindämmung der Pandemie für den Herbst. Dies dürfte die Kauflaune der Konsumenten nach langer Zurückhaltung ebenso beleben wie die Investitionslaune der Firmen. Händlerinnen und Händler rund um die Erde beeilen sich jetzt, rechtzeitig Ware heranzuschaffen. In der globalen Gleichzeitigkeit aber liegt die Tücke. Schon jetzt wird nicht nur Frachtraum teuer. Skeptisch blicken Analyst:innen auf die Breite der Welle, die sich da erhebt.
Die Preise von Hightech-Komponenten wie Halbleitern steigen, die Preise für Agrarprodukte aber auch. Baumwolle etwa kostete im Frühjahr weniger als 50 Cents pro Pfund, jetzt sind es plötzlich 74. Batteriemetalle, die für E-Autos gebraucht werden, ziehen an. Zugleich steigt der Preis für Öl, den Kraftstoff, den das E-Auto überflüssig machen soll – von „Twin Peaks“ ist an den Märkten die Rede. Der Preis für Kupfer kletterte binnen Jahresfrist um fast 40 Prozent, auf rund 7300 Euro pro Tonne. Sogar für Schrott wird mehr Geld hingelegt. Stahlwerke boten zu Jahresbeginn plötzlich bis zu 100 Euro pro Tonne zusätzlich. „Es ist verrückt, verrückt, verrückt“, zitierte der Informationsdienst Euwid Recycling und Versorgung dieser Tage einen fröhlichen Schrotthändler.
Wie stark wird all dies am Ende die einzelnen Normalbürgerinnen und -bürger treffen? Bundesbankpräsident Jens Weidmann nannte vor wenigen Tagen erstmals eine Zahl: „Aus heutiger Sicht dürfte die Inflationsrate gemäß dem harmonisierten Verbraucherpreisindex in Deutschland zum Jahresende hin über drei Prozent liegen.“
Drei Prozent – das hört sich nicht nach viel an. Doch es bedeutet auch: Alle, die in diesem Jahr nicht auch ihr Einkommen um drei Prozent zu steigern vermögen, stehen am Ende des Jahres mit weniger Kaufkraft da – ein bisschen ärmer. „Aufpassen, das Monster Inflation kehrt zurück“, überschrieb ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski einen Warnhinweis an seine Kundinnen und Kunden.
In Berlin gehen die Regierenden von SPD und Union in Deckung. Debatten über Geldentwertung sind das Letzte, was sie im Superwahljahr 2021 mit einer Bundestagswahl und sechs Landtagswahlen gebrauchen können. Unvergessen ist, wie die AfD in ihrer Anfangszeit mit Ängsten vor einem instabilen Euro Anhänger:innen sammelte.
Fest steht aber: Die schon jetzt objektiv registrierten Inflationstendenzen werden im Laufe dieses Jahres noch zusätzlich befeuert – durch zwei staatliche Konjunkturpakete von nie da gewesener Dimension. Die EU lässt zur Ankurbelung der Wirtschaft 750 Milliarden Euro in die Märkte fließen. Der Kongress der USA soll zum gleichen Zweck, so will es der demokratische Präsident Joe Biden, sogar die Rekordsumme von 1,9 Billionen Dollar lockermachen.
Solche Programme haben ihre Tücken. Die Nachfrage wird steigen, nach Arbeitskräften und Material. Dies aber wird auch die Preise in die Höhe treiben, so sind die Gesetze des Marktes. Den nüchternen Wolfgang Schäuble, der vor seiner Politikerlaufbahn Finanzbeamter in Baden-Württemberg war, haben staatliche Konjunkturprogramme nie richtig begeistern können. „Ich weiß doch, wie es ist“, ätzte er in kleiner Runde, als er noch Finanzminister war. „Wenn ich ein Programm zur Bauförderung verkünde, wird am nächsten Tag der Sand teurer.“
Ähnliche Warnungen gibt es jetzt wieder. Bidens 1,9-Billionen-Programm sei insgesamt „bewundernswert“, schrieb der Harvard-Ökonom Lawrence Summers, lange Zeit Chefökonom der Weltbank und später Barack Obamas Finanzminister, in einem weltweit beachteten Aufsatz in der „Washington Post“. Man müsse allerdings die Risiken und Nebenwirkungen im Auge behalten. Dazu gehöre die Gefahr, dass die geplanten Impulse „einen Inflationsdruck auslösen, wie wir ihn in einer Generation nicht gesehen haben“. Biden will jetzt auch noch den gesetzlichen Mindestlohn in den USA anheben, auf 15 Dollar pro Stunde. Die Betroffenen jubeln, die Bewegung „Fight for 15“ sieht sich am Ziel. Als Spielverderber steht da, wer dies alles als perfekten Mix zum Anschieben einer lehrbuchreifen Lohn-Preis-Spirale sieht.
Die politische Führungsriege in den USA wie in der EU ist fest entschlossen, sich jetzt weniger um die Inflationsrate zu kümmern als darum, Pleiten zu vermeiden und Massenarbeitslosigkeit. Die Notenbanken, das ist historisch neu, ziehen mit. Vor dem traditionsreichen „Economic Club von New York“ an der 5th Avenue hielt der Chef der Federal Reserve Bank, Jerome Powell, am 10. Februar eine Rede, die von vielen als epochal empfunden wurde. Er bekannte sich deutlicher denn je zum „goal of maximum employment“, dem Ziel des Maximums an Beschäftigung.
Ganze Generationen von früheren Fed-Chefs gaben dem Geldwert oberste Priorität, alles andere, sagten sie, seien Fragen der Politik. Jetzt bahnt sich eine Ära an, in der die Versorgung der Menschen mit Geld wichtiger erscheint als dessen genaue Kaufkraft. „Ich habe viele Jahre damit verbracht, die Inflation zu studieren und mir Sorgen um sie zu machen“, sagte Janet Yellen, Bidens hochgeachtete Finanzministerin, die zuvor selbst Notenbankchefin war, dieser Tage dem Sender CNN. „Aber wir stehen hier vor einer großen wirtschaftlichen Herausforderung und enormem Leid im Land. Darum müssen wir uns kümmern, das ist das größte Risiko.“
Äußerungen wie die von Powell und Yellen sind nach Ansicht deutscher Finanzprofis kein Zufall, auch nicht vom Timing her. „Das ist alles forward guidance“, sagt ein Frankfurter Insider. „Die legen uns die Hand in den Nacken und führen uns ganz sanft in eine neue Richtung.“ Es gehe um die Vermeidung von Nervosität beim Aktienhandel.
Das Problem solcher Relativierungsversuche: Sie können schon ihrerseits bei Teilen des Publikums das Vertrauen in die Währung unterhöhlen. Die Folge sind Preissteigerungen bei Immobilien, bei Rohstoffen und Gold, aber auch bei den neuen Kryptowährungen. Der Bitcoin-Kurs etwa stieg inzwischen auf mehr als 52 800 Dollar, zu Weihnachten lag er noch bei der Hälfte. „Los Leute, greift zu“, jubelte die Szene diese Woche im Netz. „Yellen macht euch reich.“

Lange wurden Kryptowährungen als Hokuspokus abgetan. Inzwischen aber wiegen auch anfängliche Skeptikerinnen und Skeptiker bedächtig die Köpfe. Was bedeutet es, dass der US-Autohersteller Tesla 1,5 Milliarden Euro in Bitcoin investiert hat? Mastercard kündigte bereits an, sich für Kryptowährungen „zu öffnen“.
Vergangenen Donnerstag hatte der US-Sender NBC einen interessanten Gast. Rick Rieder, offenes Hemd, weiße Airpod-Stöpsel in den Ohren, kümmert sich als „Chief Investment Officer“ beim Vermögensverwalter Blackrock um „big picture trends“. Er erzählte in beiläufigem Tonfall, auch seine Firma werde sich „jetzt mal mit Krypto-Investments beschäftigen“. Die Menschen suchten nun mal „nach Anlagen, die auch im Fall wachsender Inflation im Wert steigen können“.
Auch Auftritte dieser Art schwächen das Vertrauen ins bisherige Geldsystem. Blackrock gebietet über sieben Billionen Dollar. Würde nur ein Bruchteil davon verschoben, könnte es die neuen Kryptowährungen härter und das alte staatliche Geld weicher machen.
Vor einer weichen Währung aber scheinen nicht mal mehr die Briten Angst zu haben. Die altehrwürdige Bank of England, das ahnt jeder, wird für das krachende Minus des Premiers Boris Johnson aufkommen müssen. Dieser Tage kursierten in London Warnhinweise, die Inflation in Großbritannien werde sich womöglich nicht auf die geplanten zwei Prozent eingrenzen lassen. Sofort schlugen die Verharmloser zurück. „Vergesst die Inflationsrate“, donnerte der „Evening Standard“, eine Zeitung, die den Konservativen nahe steht. „Für uns sind jetzt nur zwei Sachen wichtig: dass wir unseren Job behalten – und dass wir überhaupt am Leben bleiben.“