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Die große Berichtigung

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Von: Daniela Vates

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„Wir werden der Ukraine Kampfpanzer liefern“, sagt Scholz.
„Wir werden der Ukraine Kampfpanzer liefern“, sagt Scholz. © iStock

Nach der Entscheidung für die Panzerlieferung dringt die Ukraine auf Kampfjets. Kanzler Scholz schließt das aus. Doch Deutschland und seine Partnerländer lassen noch immer keine Strategie erkennen.

Der Kanzler kommt mit einer roten Mappe und er kommt als letzter. Die Abgeordneten im Plenarsaal des Bundestags stehen gerade zur Begrüßung des Tagungspräsidiums. Olaf Scholz betritt den Saal wie eine Bühne vor ehrfürchtigem Publikum, die rote Kanzlermappe lenkt den Blick auf ihn. Zufall oder Inszenierung? Genau weiß man so etwas bei Scholz nicht. Auf jeden Fall passt dieses Entrée zum Tag.

Es ist erst wenige Stunden her, da hat er eine schwerwiegende Entscheidung getroffen: Deutschland macht den Weg frei für die Lieferung von „Leopard“-Kampfpanzern an die Ukraine. Die Debatte darüber hat lange gedauert, auch aus der Koalition ist Scholz vorgeworfen worden, er zaudere. Nun stellt er sich den Fragen der Abgeordneten – wie passend, dass dieser Termin gerade angesetzt ist. Und wieder kann man fragen, wie viel davon geplant ist und was sich einfach so ergeben hat.

Scholz erhebt sich und wenn er nervös ist, lässt sich das höchstens an einem Detail erkennen: Er vergisst es, Bundestagspräsidentin Bärbel Bas zu begrüßen. Bas wird ihn im Anschluss an seinen Auftritt daran erinnern. „Entschuldigung“, raunt Scholz.

Es wird aber die einzige defensive Sekunde von Scholz sein. 13 Minuten nimmt er sich davor, um die Ukraine-Politik seiner Regierung darzustellen. Er wählt einen selbstsicheren, einen zufriedenen, sogar mitunter triumphierenden Ton. Und er beginnt nicht mit den Panzern, sondern mit der Energiesicherheit – trotz des Endes russischer Lieferungen.

Der Kanzler (hinten) muss seiner Koalitionärin Strack-Zimmermann (vorne) antworten. Oder ausweichen. Kay Nietfeld/dpa
Der Kanzler (hinten) muss seiner Koalitionärin Strack-Zimmermann (vorne) antworten. Oder ausweichen. Kay Nietfeld/dpa © dpa

Die Wende als Kontinuität

„Manche haben schon über Wutherbst und Wutwinter gesprochen“, sagt Scholz. „Die Wahrheit ist, das ist nicht eingetreten. Wir sitzen hier im Warmen.“ Zu der von manchen prophezeiten Wirtschaftskrise sei es auch nicht gekommen. „Wir haben gezeigt, was in uns steckt.“

Über Wochen und Monate sind Scholz aus der Opposition, von Fachleuten, auch aus der Koalition fehlende Entschlossenheit und mangelnden Gestaltungswillen vorgeworfen worden – es hat ihn geärgert. Der Kanzler verweist darauf, dass Deutschland mit Großbritannien das europäische Land sei, das die Ukraine am meisten unterstütze. Jetzt ist er doch mal bei den Panzern.

„Wir werden der Ukraine Kampfpanzer liefern“, sagt Scholz. Klar und entschlossen klingt er. Man sei „mit voller Absicht“ Stück für Stück zu dieser Entscheidung gekommen. „Es war richtig und es ist richtig, dass wir uns nicht haben treiben lassen.“ Man müsse sich mit den USA abstimmen und mit Europa. „Es ist das einzige Prinzip, mit dem wir Sicherheit in Europa gewährleisten können.“

Scholz spricht viel von Prinzipien, und in einem Appell an die Bevölkerung sagt er: „Vertrauen Sie mir und vertrauen sie dieser Bundesregierung. Wir werden weiter sicherstellen, dass die Unterstützung der Ukraine möglich ist, ohne dass die Risiken wachsen.“ Seinem Ärger macht er Luft, als der Außenpolitik-Experte der Union, Jürgen Hardt, das Tempo erneut als zu langsam kritisiert. Scholz scharf: „Wenn wir ihren Ratschlägen folgen würden, wäre das eine Gefahr für die Sicherheit Deutschlands. (...) Es wäre ein schlimmer Fehler, alleine voranzugehen.“

Wenige Menschen haben seit Invasionbeginn öffentlich mehr Druck auf die Bundesregierung ausgeübt, Waffen zu liefern, als der frühere ukrainische Botschafter und heutige Vize-Außenminister Andrij Melnyk – er hat die zögerliche Haltung Berlins kürzlich noch frustriert mit „Himmel, Arsch und Wolkenbruch“ kommentiert. Nach dem „Leopard“-Durchbruch zeigt sich Melnyk ausnahmsweise enthusiastisch: „Heute werde ich mich betrinken. Mit meinem deutschen Lieblingsbier“, schreibt er auf Twitter. „Prost, meine lieben Freunde in Deutschland und auf der ganzen Welt!“

WAS NÜTZT DER „LEOPARD“?

Der Standard-Kampfpanzer der Bundeswehr und 21 weiterer Streitkräfte wird als eines der besten Kriegsgeräte seiner Art gelobt. Deutsche Enthusiasten werden nie müde, die Vorzüge des „Leopard“ vor allen anderen westlichen Panzern zu preisen. Einig ist sich die westliche Welt nur, dass das Gerät russischen Typen locker überlegen ist. Aber was heißt „überlegen“?

Die Klasse eines Panzers wird gerne durch vermeintlich objektive technische Angaben bewiesen: Die Kanone hat eine höhere Durchschlagskraft, die Panzerung ist dicker, der Motor stärker, die Bordcomputer stabiler ... Auf dem Schlachtfeld bedeutet das wenig.

Auf dem Schlachtfeld entscheidet am Ende immer der Mensch. Sprich: seine Ausbildung, Erfahrung, Entschlossenheit und psychische Durchhaltekraft. Die Ukrainer haben in diesen kriegsentscheidenden „soft skills“ bislang ihre Überlegenheit über die Russen bewiesen – immer wieder. Es gibt dafür aber keine technischen Werte. rut

Pistorius wird vorsichtig

Der Streit über Waffenlieferungen hat mit den „Leopard“ einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Beendet ist er nicht. „Und jetzt, liebe Verbündete, lasst uns eine mächtige Kampfjet-Koalition für die Ukraine aufbauen“, fordert Melnyk. Deutschland könne beispielsweise mit „Tornados“ und „Eurofighter“ helfen, sagte er den Sendern RTL und NTV. Auch Kriegsschiffe und U-Boote benötige die Ukraine.

Melnyks Forderungen nach Kampfjets ist auch Thema im Bundestag. Ein AfD-Abgeordneter fragt den Kanzler, ob das die nächste Entscheidung sei. „Wir werden uns weiter nicht von öffentlichem Druck und lautem Gerede beeindrucken lassen“, antwortet Scholz. „Dass es nicht um Kampfflugzeuge geht, habe ich früh klargestellt.“ Vorsorglich fügt er hinzu: „Bodentruppen werden wir in keinem Fall schicken.“ Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sagt aber auch: „Solange der Krieg dauert, wird es immer wieder Diskussionen geben über weitere Systeme; davon muss man ausgehen.“

Die Forderungen Kiews nach weiterem Kriegsgerät kommen nicht überraschend. Bereits am 3. März 2022 hatte man der Bundesregierung eine Wunschliste übergeben: Panzer und Artillerie, Flak und Hubschrauber, Drohnen und Flugzeuge, Schiffe und U-Boote. Einiges davon haben die westlichen Verbündeten inzwischen geliefert, besonders Deutschland hat da einen weiten Weg zurückgelegt – wenn auch oft überdeutlich widerwillig.

„Wir handeln international eng abgestimmt und koordiniert“, sagt Scholz einer Mitteilung zufolge bei der Kabinettssitzung am Mittwoch. Regierungssprecher Steffen Hebestreit kündigt an, Ziel sei es, „rasch zwei Panzerbataillone mit ,Leopard 2‘-Panzern für die Ukraine zusammenzustellen“ – also ungefähr 90 Panzer. Dazu werde man in einem ersten Schritt eine Kompanie mit 14 „Leopard 2A6“ zur Verfügung stellen, „die aus Beständen der Bundeswehr stammen“. Europäische Partner würden dem folgen.

Unter anderem Polen hat eine Lieferung von 14 „Leopard 2“ angekündigt. Finnland, die Niederlande und Spanien haben ebenfalls ihre Bereitschaft erklärt, der Ukraine diese Panzer aus deutscher Herstellung zur Verfügung zu stellen. Großbritannien schickt „Challenger 2“. Die USA wollen „Abrams“ liefern.

Just zum Geburtstag des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj – er ist am Mittwoch 45 Jahre alt geworden – scheint die „Panzerallianz“ Wirklichkeit zu werden. Aus Sicht der Ukraine keinen Tag zu früh: Die Panzer müssen geliefert werden, ukrainische Soldaten müssen an ihnen ausgebildet werden – Fachleute rechnen mit einer Trainingsdauer von rund sechs Wochen. Der ukrainische Geheimdienst warnt vor einer russischen Frühjahrsoffensive binnen Wochen nur. Auch westliche Fachleute befürchten, dass der Krieg 2023 noch einmal härter werden könnte.

Im Herbst hatten erfolgreiche Offensiven im Osten und im Süden für Enthusiasmus in der Ukraine gesorgt. Entschieden ist der Krieg aber nicht, die Ukraine kann ihn immer noch verlieren. Dass westliche Staaten nach langem Zögern nun doch Kampfpanzer liefern, ist auch Ausdruck dieser Sorge. Ein Allheilmittel sind die westlichen Panzer nicht. Wie sehr sie die Kampfkraft der Ukraine erhöhen, hängt auch von ihrer Zahl ab. Das britische International Institute for Strategic Studies schätzt, dass es etwa 100 „Leopard 2“ brauchen wird, damit sie „einen signifikanten Einfluss“ haben.

Neue Nachschubwege

Für die Bundeswehr wird es nach der ersten Tranche darum gehen, ihre Arsenale aufzufüllen. Pistorius kündigt nach seinem Antrittsbesuch beim Verteidigungsausschuss des Bundestages am Mittwoch an, Kontakt mit der Industrie aufnehmen zu wollen, um zu klären, wie verlässlichere Nachschub- und Nachbeschaffungswege hergestellt werden können. „Ich glaube, dass das die Herausforderung der nächsten Jahre sein wird“, sagt er.

Pistorius versucht, bei der politischen Bewertung der „Leopard“-Lieferungen die Waage zu halten: „Das ist eine historische Entscheidung in vielerlei Hinsicht, aber andererseits auch kein Anlass, um Halleluja zu rufen.“ Er zeigt auch Empathie für jene Menschen, die gegen Waffenlieferungen sind, weil sie eine Eskalation des Krieges befürchten. Er habe „großes Verständnis für Leute, die sich Sorgen machen“, sagt Pistorius. Kriegspartei werde Deutschland jedenfalls nicht. „Dafür werden wir sorgen.“

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