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Die Folgen einer Niederlage

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Von: Sven Christian Schulz

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Der Deserteur Tikhiy kämpft nun für die Ukraine – und für ein anderes Russland.
Der Deserteur Tikhiy kämpft nun für die Ukraine – und für ein anderes Russland. © Sameer Al-Doumy

Der Waffengang in der Ukraine kann für Putins Russland lebensgefährlich werden

Ungeachtet westlicher Sanktionen setzt Russland seinen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine weiter fort. An seinem Ziel, der Einverleibung des Nachbarlands, hält Präsident Wladimir Putin unverhohlen fest. „Russland setzt auf Krieg, Zermürbung der regelbasierten Ordnung und den Zerfall der Ukraine verbunden mit einer Abnutzung der öffentlichen Aufmerksamkeit im Westen“, sagte der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter jüngst dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Er forderte: „Russland muss verlieren lernen, ansonsten wird es seine Kriegsziele nicht so einfach aufgeben.“

Der Westen muss jedoch auch die Folgen aus einer Kriegsniederlage Russlands bedenken. Darauf weist die Leiterin der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Claudia Major, hin. „Jegliche Schwächung von Russland und das möglicherweise Auseinanderbrechen dieses Vielvölkerstaates hat eine enorm destabilisierende Wirkung auf Europa und darüber hinaus“, sagt sie. „Auf den ersten Blick ist ein schwaches Russland also erfreulich, auf den zweiten Blick gibt es aber viele destabilisierende Nebeneffekte.“

„Deutsche Tragik“

Für Europa ergeben sich neue Herausforderungen: „Wir müssen uns fragen, wie wir mit dem möglichen Chaos umgehen, wenn Russland keine Führungsmacht mehr ist, etwa im zentralasiatischen Raum“, sagte Major. Schon jetzt seien die Folgen bereits in Zentralasien, wo Russland eine hegemoniale Führungsmacht war, sichtbar. „Der Kreml wird dort nach den militärischen Niederlagen in der Ukraine als schwach wahrgenommen und erste Staaten wollen dies nutzen, um sich aus der Einflusssphäre Moskaus zu lösen.“ Als Beispiele nennt Major die aufflammenden Konflikte zwischen Aserbaidschan und Armenien, Kirgisien und Tadschikistan sowie die Unruhen in Kasachstan.

Die SWP-Spezialistin sieht eine größere Unterstützung der Ukraine als notwendig an, um Russland entscheidend zurückzudrängen und damit im besten Fall den Weg zum Frieden zu verkürzen. „Um die russische Kommunikation, Logistik, Führung zu bekämpfen, braucht sie Drohnen, Artillerie und Raketenartillerie mit größerer Reichweite“, so Major. „Um weitere Gebiete zu befreien, benötigt sie Kampfpanzer und Schützenpanzer.“

Schon seit Monaten stockt die Debatte über die Lieferung von Kampf- und Schützenpanzern an die Ukraine. Das Kanzleramt blockiert die Abgabe von Leopard 2 aus Deutschland und anderen Ländern. Da es sich um ein deutsches Modell handelt, benötigen andere Länder Berlins Placet für die Lieferung des Panzertyps an die Ukraine. Andere Länder, darunter Polen, haben bereits Kampfpanzer geliefert, jedoch keine westlichen Modelle.

„Kampf- und Schützenpanzer allein sind keine Wunderwaffe“, betont Sicherheitsexpertin Major, aber sie hätten sicherlich einen großen Unterschied gemacht – militärisch, aber auch in der politischen Signalwirkung. „Deutschland hat hier klar eine wichtige Chance vertan.“ Zwar habe die Bundesrepublik in den vergangenen zehn Monaten Waffensysteme wie Iris-T, Panzerhaubitze 2000 und Mars-Raketenwerfer an die Ukraine abgegeben, was vor einem Jahr niemand für möglich gehalten hätte. Gemessen an dem, was die Ukraine für die Rückeroberung bräuchte, reiche das aber noch lange nicht aus. „Das ist die Tragik der deutschen Position. Wir haben eine bemerkenswerte 180-Grad-Wende vollzogen, aber müssten trotzdem noch mehr tun.“

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