Die EU sucht nach Munition

Kiew braucht dringend Artilleriegranaten, aber Europa hat seine Rüstung eingemottet.
Bei den Sanktionen gegen Russland gingen der EU langsam die Optionen aus, hat deren Chefdiplomat Josep Borrell jüngst konstatiert. Dafür soll nun die Lieferung von Artilleriemunition an die Ukraine beschleunigt werden. Die Außen- und Verteidigungsminister:innen der EU wollen bei ihrem Treffen an diesem Montag in Brüssel über einen entsprechenden Vorschlag Borrells beraten.
Die Priorität laute „Munition, Munition und noch einmal Munition“. So hatte der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow der EU schon ins Gewissen geredet. Sein Land brauche dringend „eine Million Schuss Munition“. Vor allem geht es um Granaten vom Kaliber 155 Millimeter, die knapp werden. Diese Geschosse kommen etwa in der Panzerhaubitze 2000 zum Einsatz, die Deutschland an die Ukraine geliefert hat.
Doch woher nehmen? Estlands Außenminister Urmas Reinsalu brachte die Misere Ende Februar auf den Punkt: Derzeit verschießen die Russen an einem Tag so viel wie in der EU in einem Monat produziert werde. Die derzeitigen Produktionskapazitäten seien „absolut inakzeptabel“. Ähnlich alarmiert klang Nato-Chef Jens Stoltenberg.
Das soll sich nun ändern – ziemlich genau ein Jahr nach dem Gipfel von Versailles, bei dem die Staats- und Regierungsspitzen der EU grünes Licht für gemeinsame Waffeneinkäufe gaben. Die EU will in drei Zügen vorgehen. Zunächst sollen ihre Mitglieder mit insgesamt einer Milliarde Euro gelockt werden, um so schnell wie möglich Geschosse aus eigenen Lagerbeständen freizugeben. Das Problem dabei ist, dass die EU nicht weiß, was alles in den Arsenalen ist, wie ein hoher EU-Beamter jetzt bedauernd einräumte. Das macht Planungen schwierig.
Deswegen sieht der zweite Teil des Plans vor, dass die EU-Staaten künftig bei der Nachbestellung von Munition und Waffen gemeinsam agieren. Auch dafür soll eine Milliarde Euro bereitgestellt werden. Nationale Alleingänge sollen so gut wie möglich vermieden werden. Die Bestellung von Artilleriegranaten soll ähnlich organisiert werden wie die gemeinsame Bestellung von Impfstoffen zu Beginn der Corona-Pandemie. Damals hatte die EU verschiedenen Pharmakonzernen feste Abnahmemengen garantiert. Die EU hofft, dass ein solches Vorgehen von der Industrie wohlwollend angenommen wird. Schließlich sende man ein klares Nachfragesignal, hieß es in Brüssel.
Zwar könnten schon im Mai erste Bestellungen bei den Waffenschmieden eingehen. „Das ist sehr ambitioniert, aber nicht unrealistisch“, sagt ein hoher Brüsseler Beamter. Doch die Lieferfrist beim Kaliber 155 beträgt derzeit gut ein Jahr. Offizielle der EU hoffen zwar, dass sich das auf vielleicht neun Monate reduzieren lässt. Doch sicher ist das nicht – und damit ist auch die Frage nicht beantwortet, ob in den nächsten Monaten überhaupt genug Munition für die Ukraine beschafft werden kann.
Denn es gibt auch keine gesicherten Angaben darüber, wie hoch die Produktionskapazität der 15 Rüstungsunternehmen in elf EU-Staaten, die für Haubitzen Munition produzieren, wirklich ist. Berichte, wonach pro Jahr maximal 600 000 Geschosse hergestellt werden können, will man in Brüssel nicht bestätigen.
Der dritte Teil des EU-Plans schließlich ist die Idee, die europäische Munitionsproduktion langfristig zu steigern. Dazu könnte es einen EU-eigenen Fonds geben, der – auch ähnlich wie bei der Impfstoffbestellung – der Rüstungsindustrie die Möglichkeit gibt, schon jetzt in neue Fertigungsstraßen zu investieren.