„Die ballistischen Tests müssen aufhören“

Olaf Scholz will die Zusammenarbeit mit Südkorea verstärken und sendet dem Nachbarn Pjöngjang eine Botschaft.
Es gibt zwei eiserne Regeln in der demilitarisierten Zone zwischen Nord- und Südkorea. Die erste lautet: niemals rennen. Die zweite: keine Überraschungen. Wann immer etwas Außergewöhnliches geschieht, berichtet Major Chris Rickey von der australischen Armee, rufe man auf der nordkoreanischen Seite an und setzte die Grenztruppen darüber in Kenntnis – ganz gleich ob es sich um einen medizinischen Notfall oder eine Reparatur an einem Gebäude handelt. „Transparenz ist sehr wichtig“, sagt Rickey. „Ohne können die Dinge hier schnell außer Kontrolle geraten.“
Überraschenderweise ist der Besuch eines deutschen Bundeskanzlers kein Grund, Nordkorea vorzuwarnen. „Das sieht für die aus wie eine Besuchergruppe, und Besucher haben wir hier oft“, erklärt der Soldat. Die sogenannte Joint Security Area an der Grenze zwischen Nord- und Südkorea ist ein seltsamer, fast surrealer Ort. Inmitten kleiner Reisfelder und sanfter Hügel stehen sich zwei gewaltige Pavillons gegenüber wie lauernde Gegner.
Das Gebäude auf der südkoreanischen Seite hat eine gläserne Fassade, das im Norden ist aus Stein. Die Pavillons werden als Büro- und Veranstaltungsflächen genutzt sowie zur Beobachtung des jeweiligen Gegners. Objektive und Okulare, wohin man blickt. In der Mitte zwischen den beiden Gebäuden stehen drei in die Jahre gekommene Baracken in leuchtend hellblauer Farbe. Sie stehen exakt auf der Demarkationslinie, die seit dem Waffenstillstandsabkommen von 1953 die Grenze zwischen dem kommunistischen Norden und dem demokratischen Süden der koreanischen Halbinsel markiert. Die Hütten stammen noch aus der Zeit der Friedensverhandlungen. Sie haben je eine Tür in den Norden und eine in den Süden.
Ein bewegender Besuch
„Man hat das Areal als Stätte der Begegnung angelegt“, erklärt Major Rickey, der als Teil eines UNO-Bataillons für dessen Bewachung zuständig ist. Zu solchen Begegnungen ist es in der Vergangenheit bereits mehrfach gekommen. 2018 überschritt der nordkoreanische Machthaber Kim Jong-un an dieser Stelle die Grenze, um sich mit dem südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in dem südlichen Pavillon zum Gipfelgespräch zu treffen. 2019 traf sich am gleichen Ort der damalige US-Präsident Donald Trump mit dem nordkoreanischen Diktator. Beide überschritten in beiden Richtungen die Grenze.
Auch Olaf Scholz und seine Ehefrau Britta Ernst wagen den kurzen Abstecher in den Norden – allerdings nur innerhalb der Baracke und bei geschlossener Tür. Sicher ist sicher. Der Kanzler wirkt ernst, als er sich von den UN-Soldatinnen und -Soldaten den komplizierten koreanischen Grenzalltag erklären lässt. Es sei ein bewegender Besuch für ihn gewesen, erklärt Scholz wenig später. Deutschland habe das Glück, wieder vereint zu sein, und an dieser Grenze könne man sehen, wie groß dieses Glück sei. Der 64-Jährige hat die unmittelbare Nachwendezeit in Ostberlin verbracht. Als junger Arbeitsrechtler hat er in den ehemaligen Volkseigenen Betrieben neu gegründete Betriebsräte beraten.
Viel Zeit für den Blick zurück bleibt Scholz allerdings nicht – dafür sind die Probleme der Gegenwart zu groß. Das größte Problem auf der koreanischen Halbinsel ist Kim Jong-un im Norden. „Die Atomtests, die verschiedenen Versuche, Raketen abzuschießen und ballistische Tests vorzunehmen, sind ein Zeichen dafür, dass hier eine unverändert gefährliche Situation ist“, sagt Scholz. Es sei ihm deshalb wichtig, den Ort der Konfrontation persönlich zu besichtigen. Der Deutsche hat eine Botschaft an Pjöngjang mitgebracht: „Diese ballistischen Tests müssen aufhören; der Versuch, sich selber nuklear zu stärken, muss aufhören. Das ist eine Bedrohung für Frieden und Sicherheit in dieser Region.“
Südkoreas Präsident Yoon Suk-yeol dankte Scholz bei einer Pressekonferenz für die Unterstützung und lobt dessen „Führungskraft“ bei der Zeitenwende. Deutschland sei ein „wichtiger Wertepartner und Verbündeter“. Beide Länder hätten trotz Jahrzehnten der Teilung eine beachtliche wirtschaftliche Entwicklung vollzogen, seien stark in der industriellen Produktion und erfolgreich im Export.
Der letzte Besuch eines deutschen Bundeskanzlers datiert aus dem Jahr 1993, als Helmut Kohl kam. Künftig aber, das betonten beide, sollen die Beziehungen enger werden. Scholz und Yoon wollen eine engere Zusammenarbeit bei der Herstellung von Wasserstoff, grüner Energie und Biotechnologien. Auch bei der Produktion von Batteriezellen für die Autoindustrie sollen Kooperationsmöglichkeiten ausgelotet werden.
Auf die Frage, ob Südkorea bald Waffen an die Ukraine liefern werde, was es bislang nicht getan hat, antwortet der Südkoreaner, dass er eine Liste von der ukrainischen Regierung bekommen habe, die er nun prüfen lasse.