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Befremdliche Chuzpe

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Von: Fabian Kretschmer

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Xi Jinping sieht China als Vorbild für die ganze Welt.P
Xi Jinping sieht China als Vorbild für die ganze Welt.P © afp

Der chinesische Staatschef skizziert die politische Stoßrichtung der kommenden Jahre

Es ist ein gar nicht so leichtes Unterfangen, sich durch die Reden des chinesischen Staatschefs zu wälzen: Zum einen liegt dies an der – gelinde formuliert – sperrigen Rhetorik, andererseits sind die ideologischen Chiffren des Parteivorsitzenden oft nur mühsam zu decodieren. Doch wenn der 69-Jährige seine erste Grundsatzrede seit langem hält, hat die Weltöffentlichkeit guten Grund dazu, einmal genauer zuzuhören. Schließlich skizziert Xi – nur einen Monat, bevor er beim Nationalen Volkskongress seine dritte Amtszeit beginnen wird – die politische Stoßrichtung Chinas der nächsten Jahre.

Am Dienstag trat er vor seine führenden Kader in der Parteischule des Zentralkomitees. Xis Kernbotschaft strotzt vor Selbstbewusstsein: China habe „den Mythos entlarvt, dass Modernisierung gleich Verwestlichung“ bedeute. Mehr noch: Der chinesische Weg diene den Entwicklungsländern des globalen Südens als Vorbild.

Seit einigen Jahren bereits versucht die Volksrepublik ihr autokratisches Regierungsmodell ins Ausland zu expandieren. Dabei lässt sich in der Argumentation der Staatsführung ein deutlicher Paradigmenwechsel beobachten: Lehnte Peking früher noch Begriffe wie „Demokratie“ und „Menschenrechte“ als eurozentristisch ab, hat man diese mittlerweile für sich selbst vereinnahmt.

So behauptet die chinesische Führung schlicht, dass man die bessere, „ganzheitliche Demokratie“ repräsentiere und auch die Menschenrechte wesentlich stärker fördere als beispielsweise die Vereinigten Staaten. Dabei wird insbesondere das Recht auf wirtschaftliche Entfaltung hervorgehoben, schließlich hätte kein anderes Land der Welt in solch kurzer Zeit so viele Menschen aus der Armut gehoben wie China.

Ohnehin, so Xi Jinping in seiner Rede, habe die Kommunistische Partei seit ihrer Machtübernahme 1949 einen Industrialisierungsprozess in nur wenigen Jahrzehnten abgeschlossen, wofür die „entwickelten Länder des Westens mehrere Hundert Jahre“ gebraucht hätten.

Viele Jugendliche arbeitslos

Die Chuzpe, die Xi Jinping an den Tag legt, wirkt angesichts der derzeitigen Nachrichtenlage durchaus befremdlich. Erst am Wochenende hat die „Spionageballon-Affäre“ dafür gesorgt, dass US-Außenminister Anthony Blinken seinen lang erwarteten Peking-Besuch platzen ließ.

Xi Jinping ist weiterhin davon überzeugt, dass Chinas Staatsbeamte daran arbeiten müssen, einen „effizienteren“ Weg als den Kapitalismus zu finden und die Gesellschaft gerechter zu gestalten. Was auf dem Papier nobel klingt, sieht in der Realität weniger rosig aus: Zuletzt hat Xi Jinpings erratische Wirtschaftspolitik mit zur rekordhohen Jugendarbeitslosigkeit beigetragen, nachdem beispielsweise die führenden Tech-Unternehmen des Landes massiv reguliert wurden. Ob es der Volksrepublik gelingen wird, die massive Ungleichheit in den Griff zu bekommen, ohne die gesamte Volkswirtschaft zu drosseln, ist bislang offen.

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