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Die Linke auf Selbstzerstörungskurs

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Von: Jan Emendörfer, Markus Decker

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Am Boden? Die Partei ist angeschlagen, ihr politisches Gewicht in der Bundespolitik sinkt.
Am Boden? Die Partei ist angeschlagen, ihr politisches Gewicht in der Bundespolitik sinkt. © imago images / Karina Hessland

Die Linke ist seit Jahren in inneren Konflikten gefangen –und trägt sie sogar öffentlich aus. Nun droht der Partei eine Spaltung.

Bernd Riexinger macht aus seinem Herzen keine Mördergrube. Und damit ist der ehemalige Linken-Chef in der 39-köpfigen Bundestagsfraktion seiner Partei nicht allein. „Ich bin stinksauer, weil wir uns den Sommer über eigentlich berappelt hatten und in den Umfragen wieder bei fünf Prozent oder etwas darüber lagen“, sagt der Schwabe am Telefon. „Die Rede von Sahra Wagenknecht macht das alte Spiel neu auf.“

Die 53-Jährige war am vorigen Donnerstag während der Bundestagsdebatte über den Etat des grünen Wirtschaftsministers Robert Habeck ans Rednerpult getreten – ermächtigt von den Fraktionsvorsitzenden Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch und von ihnen anschließend mit Beifall bedacht. Bei vielen in Partei und Fraktion sorgt dieses Ereignis für fast ohnmächtigen Zorn. Denn obwohl der Erfurter Parteitag im Juni den russischen Angriff auf die Ukraine mehrheitlich verurteilt hat, attestiert Wagenknecht der Bundesregierung, einen beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen Russland „vom Zaun zu brechen“ und fordert Verhandlungen mit dem Regime Wladimir Putins zur Sicherstellung der deutschen Energieversorgung.

Seitdem hagelt es fraktionsintern Proteste und bisweilen auch Parteiaustritte wie von Fabio de Masi und dem des Hauptgeschäftsführers des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider. Er schreibt bei Twitter, der Auftritt, zu dem es gar nicht hätte kommen dürfen, sei einfach „zu viel“ gewesen.

Auseinandersetzungen um Wagenknecht sind in der Linken nicht neu. Mal geht es um die Eurorettungspolitik, mal um Flüchtlinge. Immer wieder bezieht die in Jena geborene Wahl-Saarländerin zielgerichtet und lautstark Positionen, die von der Mehrheit der Partei nicht geteilt werden. Beim Magdeburger Parteitag 2016 bekommt sie dafür eine Torte ins Gesicht.

Nachdem Wagenknecht 2015 gemeinsam mit Bartsch zur Fraktionsvorsitzenden aufgestiegen ist, sucht sie überdies den direkten Machtkampf mit den damaligen Parteivorsitzenden Katja Kipping und Riexinger – und tut kund: entweder werde sie die Spitzenkandidatur bei der Bundestagswahl 2017 allein mit Bartsch übernehmen. Oder gar nicht. Manche sprechen von Erpressung.

2018 gründet Wagenknecht die so genannte Sammlungsbewegung „Aufstehen“. Manches deutet daraufhin, dass aus ihr eine Konkurrenzpartei zur Linken werden soll. Doch „Aufstehen“ scheitert. Und mit der Bewegung scheitert auch Wagenknecht. 2019 zieht sie sich von der Fraktionsspitze zurück – angeblich aus gesundheitlichen Gründen. Schon bald sorgt sie aber erneut für interne Konflikte, diesmal wegen der Coronapolitik. Stets aufs Neue steht die Linke kurz vor der Explosion.

Im Spätsommer 2022 könnte sie tatsächlich stattfinden. Das drückt sich auch physisch aus. Als die Linke in der vergangenen Woche zu einem Medien-Treff in das Berliner Restaurant „Umspannwerk Ost“ einlädt, ist die Distanz zwischen Fraktions- und Parteispitze mit Händen zu greifen.

Die Fraktionsspitze um Bartsch und Mohamed Ali zieht sich an einen Tisch in der Ecke zurück, um bei Bier und Wein mit der Presse zu plaudern. Derweil steht Parteichefin Janine Wissler am anderen Ende des Raumes an einem Stehtisch in der Nähe des Ausgangs Rede und Antwort. Ein Mitarbeiter erläutert, dass dies ja eine Veranstaltung der Fraktion sei – und Wissler nur Gast.

Aber die Fraktion selbst ist ebenfalls nicht in voller Stärke anwesend; der Ostbeauftragte Sören Pellmann etwa fehlt – und Wagenknecht, der Smalltalk zuwider ist, fehlt auch. Als Bartsch zu fortgeschrittener Stunde mit der Frage gequält wird, weshalb denn ausgerechnet die rebellische Parteifreundin am nächsten Morgen im Bundestag zu Haushaltsfragen rede, wo sie doch keinem Ausschuss mehr angehöre und in der Fraktion keine besondere Zuständigkeit mehr habe, zieht sich der Fraktionschef mehr oder weniger auf die Gegenfrage zurück, warum er es ihr denn verwehren sollte. Die Antwort liefert Wagenknecht am nächsten Tag.

Szenen offener Zwietracht sind im Laufe der Jahre zur Regel geworden. So sieht man Parteichefin Kipping einst rauchend vor dem Berliner Redaktionsgebäude des „Neuen Deutschland“ stehen, nachdem der Machtkampf um die Spitzenkandidatur ausgefochten ist. Normalerweise raucht die heutige Berliner Sozialsenatorin nicht – es sind die Nerven.

Die frühere Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht treibt die Parteispitze vor sich her.
Die frühere Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht treibt die Parteispitze vor sich her. © Florian Gaertner

Im Herbst 2017 sitzen Bartsch, Wagenknecht, Kipping und Riexinger bei der Fraktionsklausur in Potsdam in einem verglasten Raum wie in einem Aquarium, in das alle hineinschauen können. Erneut geht es um Macht. An den Gesichtern lässt sich ablesen, was Partei- und Fraktionsvorsitzende voneinander halten: nichts. Anderen Parteien gelingt es meist, Reibereien im Verborgenen auszufechten. Nicht so der Linken.

Wie vergiftet das Klima jetzt ist, wird Mitte August sichtbar. Wissler will mit drei anderen Linken-Politikerinnen – Anke Domscheit-Berg, Martina Renner und Katina Schubert – in die Ukraine fahren, um ein Zeichen der Solidarität zu setzen. Die Pläne werden wie bei Reisen dieser Art üblich aus Sicherheitsgründen geheim gehalten. Doch plötzlich stehen sie in der Zeitung „Junge Welt“ – durchgestochen von jemandem, der eine Gefährdung der vier Frauen entweder billigend in Kauf nimmt oder, was noch näher liegt, die Reise verhindern will.

Die Fraktionssitzungen gelten als kaum mehr erträglich. Es gibt Fraktionsmitglieder, die offen zugeben, dass sie da gar nicht mehr hingehen – weil es überwiegend Zoff gibt. Bei Twitter blockieren sich verfeindete Partei- und Fraktionsmitglieder gegenseitig.

Und der Streit eskaliert weiter. So mahnt der erst Ende Juni ins Amt gekommene Parteichef Martin Schirdewan die Fraktionsspitze, so ein Vorgang wie mit der Wagenknecht-Rede dürfe sich nicht wiederholen. Ihre Erklärungen widersprächen der Parteilinie. Prompt koffert Wagenknecht zurück: „Ein Parteivorsitzender, der das Paralleluniversum seiner Twitter-Blase mit der Stimmung in der Bevölkerung verwechselt, ist eine Fehlbesetzung.“

Schon droht nach der im April resigniert zurück getretenen Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow auch ihr Nachfolger seine Autorität zu verlieren.

Riexinger ist wegen der Wagenknecht-Rede immer noch erbost. „Dafür trägt ganz klar die Fraktionsführung die Verantwortung“, sagt er. „Denn es war völlig klar, wie das endet. Insbesondere Bartsch steht jetzt vor dem Scherbenhaufen des Bündnisses, das er eingegangen ist. Wenn er meint, er könne sich da weiter so durchschummeln, dann habe ich dafür kein Verständnis.“ Politiker, die sich nicht an Beschlüsse hielten, gebe es in jeder Partei, betont der Ex-Linken-Chef. Doch dann müssten Partei- und Fraktionsführung sagen, was gilt. Die Parteiführung habe das getan, die Fraktionsführung nicht.

Der Ostbeauftragte Pellmann befindet: „Die Linke ist in einer schwierigen Lage.“ Allerdings werde er sich nicht öffentlich zu den aktuellen Personaldebatten äußern, sondern „mit Nachdruck innerparteilich notwendige Dialoge begleiten beziehungsweise initiieren“. „Zudem gilt mein Augenmerk der Organisation des heißen Herbstes meiner Partei“, so Pellmann. „Die aktuelle Energie- und Inflationskrise braucht unsere soziale, linke Stimme auf der Straße und in den Parlamenten – wann, wenn nicht jetzt.“

Die Sache gehe aufs Finale zu, glaubt ein prominenter Wagenknecht-Gegner. Er rechnet damit, dass sie auf einen günstigen Zeitpunkt wartet, um die Fraktion zu verlassen – vor der Europawahl 2024 zum Beispiel.

Weitere Abgeordnete könnten sich anschließen, so Sevim Dagdelen, Zaklin Nastic, Andrej Hunko, Klaus Ernst und Alexander Ulrich. Es wäre wahrscheinlich der Kern einer neuen linkspopulistischen und latent nationalistischen Partei, die bei der nächsten Bundestagswahl mit der alten Linken konkurrieren würde.

Parteichefin Wissler hingegen möchte nicht von der Gefahr einer Spaltung sprechen. Denn es gebe keinen Riss quer durch die ganze Partei. „Es gibt offenbar einzelne Leute, die gerade für sich in Frage stellen, ob sie noch Teil dieser Partei sein wollen“, sagt sie vielmehr, ohne Namen zu nennen. Mit Blick auf die Wagenknecht-Rede fährt Wissler fort, es müssten in der äußerst knapp bemessenen Redezeit der Linken im Bundestag die zentralen Punkte transportiert werden, auf die man sich in Partei und Fraktion geeinigt habe. „Jeder hat natürlich das Recht auf seine Minderheitenmeinung“, beteuert sie, „aber die Person kann dann nicht im Bundestag im Namen der ganzen Fraktion sprechen.“ Das dürfe die Fraktionsspitze zukünftig nicht mehr zulassen.

So dreht sich der Streit einmal mehr im Kreis. Vielleicht knallt es. Vielleicht auch nicht.

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