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Abschied von einem Giganten

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Von: Johannes Dieterich

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Ende eines langen Kampfes für Gerechtigkeit: Tutus Leichnam am Sonntag vor der anglikanischen Kathedrale in Kapstadt.
Ende eines langen Kampfes für Gerechtigkeit: Tutus Leichnam am Sonntag vor der anglikanischen Kathedrale in Kapstadt. © Nic Bothma/afp

Mit der Beerdigung des südafrikanischen Erzbischofs Desmond Tutu geht eine Epoche zu Ende.

Das Jahr beginnt und eine Epoche geht zu Ende. Am ersten Tag des Jahres 2022 – Twenty-Tu-tu, wie es jetzt in Südafrika heißt – wurde der letzte Gigant des Anti-Apartheidkampfs zu Grabe getragen: Erzbischof Desmond Tutu, der am zweiten Weihnachtsfeiertag im Alter von 90 Jahren gestorben war. „Der spirituelle Vater unserer neuen Nation“, nannte ihn Südafrikas Staatspräsident Cyril Ramaphosa bei der Beerdigungsfeier: „Er stand neben Nelson Mandela, dem Vater unserer Demokratie.“

Die Verabschiedung von dem feurigen Propheten fand am Samstag in kleinem Rahmen in der Kapstädter St. George’s Cathedral statt, der ehemaligen Kirche des Oberhirten. Ohne das Brimborium eines Staatsbegräbnisses; wegen der Pandemie waren nur 100 Gäste zugelassen; statt opulenter Blumengebinde lag nur ein Strauß weißer Nelken auf der Kiste aus unbehandeltem Tannenholz, die statt an Kupfergriffen an Schlaufen aus Seil getragen wurde. Unter Südafrikas Besserbetuchten ist in Mode gekommen, für Bestattungen sündhaft teure Sarkophage aus den USA kommen zu lassen: Dem Protzkult hielt Tutu seinen Wunsch nach dem „billigsten Sarg, der zu bekommen ist“, entgegen.

Auf dem Programm steht eine anglikanische Totenmesse mit viel Weihrauch, vielen Geistlichen in weißen Gewändern und goldenen Mitren, Chorgesängen und einer Predigt von Michael Nutall, der einst als weißer Bischof dem schwarzen Erzbischof diente. Als „Tutu Number Two“ scherzt er: Ein Jahrzehnt vor dem Ende der Apartheid eine handfeste Provokation für die Rassistenregierung. Heute kann man darüber lachen.

Ende eines langen Kampfes für Gerechtigkeit: Tutus Leichnam am Sonntag vor der anglikanischen Kathedrale in Kapstadt.
Ende eines langen Kampfes für Gerechtigkeit: Tutus Leichnam am Sonntag vor der anglikanischen Kathedrale in Kapstadt. © Nic Bothma/afp

„Hey, was schaut ihr denn so traurig drein?“, beginnt Präsident Ramaphosa seinen Nachruf vor den Trauergästen und Fernsehzuschauer:innen aus aller Welt: Etwas Ähnliches hätte Tutu seinen Freundinnen und Freunden wohl auch an den Kopf geworfen, denn Melancholie war nie seine Sache. Der Erzbischof sei ein „Kreuzritter“ im „Kampf für Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit und Frieden“ gewesen, fährt Ramaphosa fort: Nicht alle der unzähligen, in diesen Tagen über den Verstorbenen geschütteten Appositionen sitzen einwandfrei. Als Kreuzritter hätte sich der ruhelose Verteidiger der Rechte der Palästinenser jedenfalls nicht gesehen.

Am Kap der Guten Hoffnung löste Tutus Tod eine Festspielserie aus. In den zahllosen anglikanischen Kirchen des Landes fanden Gedenkveranstaltungen statt, der Tafelberg wurde lila – der Farbe des erzbischöflichen Gewands – angestrahlt, TV-Anstalten hoben eine Tutu-Dokumentation nach der anderen ins Programm, aus aller Welt trafen Grußbotschaften ein: vom Papst, vom Dalai Lama, der Queen, von Barack Obama.

In den Botschaften wurde der Verstorbene als Held, Prophet, Schelm, Hirte, Patriot, Weltgewissen gerühmt. „Wenn ich den Erzbischof ehren soll“, wandte Justin Welby, das weltweite Oberhaupt der anglikanischen Kirche, ein, „dann ist das, als ob eine Maus einen Elefanten preist“. Neben dem feurigen, geistreichen, witzigen, furchtlosen und trotzdem liebevollen Menschen scheinen alle anderen zu verblassen: Der „Arch“, wie er von Freund:innen zärtlich genannt wurde, scheint keine Feinde zu haben.

Desmond Tutu wurde 1984 mit dem 
Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Desmond Tutu wurde 1984 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. © Alexander Joe/afp

Ein gewaltiger Irrtum. Schon die Apartheidherrscher verunglimpften den aufmüpfigen Geist als äffischen Gnom, die Mehrheit der weißen Südafrikaner:innen habe in dem turbulenten Priester den „inkarnierten Teufel“ gesehen, schreibt sein Biograf John Allen. Später machte sich Tutu auch bei den neuen Herrschern vom Afrikanischen Nationalkongress (ANC) unbeliebt: Er solle „das Maul halten“ und „nach Hause gehen“, fauchte ihn der heutige Polizeiminister Bheki Cele einst an: Schließlich sei er kein „Vize-Christus“. Im Internet werden heute neben Lobgesängen auch Hasstiraden laut: Tutu sei der „Liebling weißer Liberaler“, die Auffassungen und Interessen der schwarzen Mehrheit der Bevölkerung repräsentiere er nicht. Der von ihm geprägte Begriff der Regenbogennation ist längst verblasst oder gar zum Gespött geworden: Mit seinem Versöhnungsgeschwafel habe Tutu wie Nelson Mandela das Land den Profitinteressen der weißen Geschäftswelt ausgeliefert.

Dabei ließ der „Arch“ keine Gelegenheit aus, auch der weißen Geschäftswelt, seinen weißen Schäfchen und dem europäischen Polit-Establishment die Leviten zu lesen. Er wollte Tony Blair wegen des Irakkriegs vor den Kadi bringen, geißelte seine Kirche für die Ausgrenzung geschlechtlich anders Orientierter und suchte, Südafrikas Bonzen zur Nivellierung der sozialen Kluft in der Gesellschaft zur Kasse zu bitten. Anders als im Kampf gegen die Apartheid war der Erzbischof bei keiner dieser Anstrengungen erfolgreich – was nicht heißt, dass sie aussichtslos sind.

Nach dem Requiem wurden Tutus Leichnam alkalisch zersetzt und seine Knochen zu Mehl zerrieben: Eine Methode des Kremierens, die die Umwelt weit weniger als das Verbrennen belastet. Schließlich fand am frühen Sonntagmorgen die Einlassung der Urne in den Boden direkt vor dem Altar der St. George’s Cathedral statt: Zurück blieb ein kleines Loch und die große Frage, ob die Welt jemals wieder einen derartigen Menschen hervorbringen wird.

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