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Wunsch nach Gemeinschaft in Frankfurt-Westhausen

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Die Mittagshitze in Westhausen eignet sich gut, um in der flirrenden Sonne die Wäsche zu trocknen. Viel mehr bekommt man von den Bewohner:innen der Siedlung nicht zu sehen.
Die Mittagshitze in Westhausen eignet sich gut, um in der flirrenden Sonne die Wäsche zu trocknen. Viel mehr bekommt man von den Bewohner:innen der Siedlung nicht zu sehen. © Oeser

In der verschlafenen Frankfurter Wohngegend träumen die Menschen von einer sauberen Nachbarschaft, einem Ort für soziale Interaktion und mehr Einkaufsmöglichkeiten in der Nähe. Die Dartpfeil-Reportage von Paula Tauber.

Ein Dartpfeil auf dem Metro-Parkplatz. Wie spannend. Als sich der gelbe Pfeil in die ramponierte Karte bohrt, muss ich erst mal schlucken. Was gibt es in Rödelheim oder Praunheim, oberhalb der A66 schon zu entdecken? An diesem Mittwochmorgen hat sich herausgestellt: eine ganze Menge.

Je näher ich meinem Ziel komme, desto leerer wird mein Abteil. Zum Schluss teile ich es mir lediglich mit drei weiteren Fahrgästen. Als ich an der Stephan-Heise-Straße die U-Bahn verlasse, schlägt mir flirrende Hitze entgegen. Es ist wenig los an diesem heißen Morgen. Eine Frau fährt auf dem E-Scooter an mir vorbei, und zwei Freunde schlendern plaudernd im Schatten der Bäume in Richtung Nidda.

Judith Habermann ist mit ihrem Kind gerade auf dem Weg zum Markt an der Bockenheimer Warte. Sie wohnt seit zweieinhalb Jahren in der Wohnsiedlung Westhausen, die zum Stadtteil Praunheim gehört, und fühlt sich hier sehr wohl. „Es ist total bereichernd, die Nidda direkt vor der Haustür zu haben“, sagt sie. Nur Einkaufsmöglichkeiten, die gebe es hier leider nicht.

Günther, der sich gerade mit einer Nachbarin unterhält, als ich auf ihn treffe, lebt eher weniger gerne in der Siedlung. Er wohnt bereits seit 1994 in dem Viertel und beklagt, dass es sich sehr verändert habe. Heutzutage gebe es eine völlig neue Mieterstruktur, und die Bewohner:innen seien äußert unachtsam, wenn es darum gehe, die Wohngegend sauber zu halten. Und es stimmt. Gerade die Grünflächen sind besonders vermüllt, und auch Sperrmüllhaufen gibt es zur Genüge.

Während Günther mich ein wenig durch sein Viertel führt, stoßen wir auf den Nachbarschaftstreff „Nebenan“. Ich überlasse Günther seinem Morgensport und komme mit Tanja Göller und Malte Stieber, den beiden Leiter:innen des Raums, ins Gespräch. Sie sagen, dass in Westhausen vor allem eines fehle: ein Raum für Gemeinschaft.

Die beiden arbeiten eigentlich für das Quartiersmanagement Praunheim und sind seit Oktober 2021 abgestellt für das Nachbarschaftsbüro. Sie erzählen, dass die Bewohner:innen der Siedlung den neuen Treffpunkt freudig angenommen hätten. Einige haben sogar geholfen, den kleinen Raum zu renovieren, oder Möbel gespendet. Heute gibt es in dem Treff unterschiedliche soziale Angebote. Neben einem Familiencafé, einer Fahrradwerkstatt und einer allgemeinen Sozialberatung organisieren einige der Frauen des Viertels ein Frauencafé. Das ist auch der Wunsch von Tanja Göller und Malte Stieber: Es soll ein „Mitmachraum“ werden.

Nur einige Schritte entfernt wird noch einmal deutlich, wie wichtig ein Begegnungsort für diese Wohnsiedlung ist. In einer Ladenzeile mit insgesamt vier Geschäften sind nur zwei noch in Betrieb. Eines davon ist der Kiosk von Berhemesfün Megos, der vor einigen Jahren aus Äthiopien nach Frankfurt gezogen ist. Seit sieben Monaten ist er der Besitzer des Ladens. Viel Kundschaft habe er nicht, weil das Geschäft zu weit von der Innenstadt entfernt sei. Auf die Frage, ob er mit seinem Laden an diesem Ort bleiben wolle, lächelt er aber verschmitzt und erwidert nur: „I will try.“

Zufälliges Ziel

Ganz unvorbereitet gehen FR-Reporter:innen für diese Serie auf Tour. Ihr Ziel ist jeweils ein Ort, der zufällig bestimmt wird - durch einen ungezielten Pfeilwurf auf den Frankfurter Stadtplan.

Wo der Pfeil stecken bleibt, sind Fotograf:in und Schreiber:in am selben Tag unterwegs, sehen sich genau um und fragen die Leute, die sie treffen: Was machen Sie denn da?

Die Zufallstreffer, die daraus entstehen, sind Geschichten, die sonst vielleicht nie erzählt worden wären.

Und doch sind Megos’ Sorgen verständlich. Mein Spaziergang durch Westhausen bleibt weitestgehend unbehelligt. Nur selten treffe ich auf andere Passant:innen, und auch die Straßen sind größtenteils leer. Ob das an der Mittagshitze liegt oder aber normal ist, lässt sich nur schwer herausfinden.

Erst als ich in die Kollwitzstraße einbiege, wird es etwas lauter. Die linke Straßenseite wird gesäumt von verschiedenen Kindergärten und Schulen. Vor der Horteinrichtung „Schülerladen Seestern“ machen gerade die Erzieherinnen Ute Kuyrim und Sandra Döppes eine Pause.

Sie erzählen mir, dass der Hort eine sehr breitgefächerte Klientel habe. Kuyrim, die bereits 18 Jahre in dem Schülerladen arbeitet, freut sich, dass hier ausgehandelt, gestritten, experimentiert und ausprobiert werden kann. Eine Sache gibt den beiden allerdings zu denken: „Eltern haben heute eine große Not, überhaupt noch einen Hortplatz für ihr Kind zu finden. Das ist auch für uns Erzieherinnen nicht leicht, wenn wir den Eltern immer wieder einen Platz verwehren müssen“, sagt Ute Kuyrim.

Auch hier wird also deutlich: Es sollte mehr soziale Einrichtungen in Westhausen geben. Vor allem für Kinder im Alter von zehn bis 14 Jahren gibt es keinen Treffpunkt, da das einzige Jugendhaus der Gegend erst für Kinder ab 14 zugänglich ist.

Während die Erzieherinnen weiter ihre Pause genießen, führt mich der Weg zum Ziel des Dartpfeils noch an einen ganz besonderen Ort: den Tierfriedhof. Inmitten eines kleinen Waldstücks befindet sich dieser Ruhepol der kuriosen Art.

Als ich das Gelände betrete, höre ich Vögel zwitschern und entdecke einige Schmetterlinge, die von Grab zu Grab fliegen und sich für einen kurzen Moment auf den Blumen der Ruhestätten niederlassen. Diese spezielle Nähe zwischen dem Jetzt und dem Vergangenen löst ein bizarres Gefühl in mir aus. Gegen Ende meines Rundgangs hoppelt ein Hase über den Kiesweg und verschwindet in Richtung Wald. Ob er hier wohl auch um jemanden trauert?

Nun bin ich nur noch einen Katzensprung von meinem eigentlichen Ziel entfernt. Bahngleise versperren allerdings den Weg ins Rödelheimer Industriegebiet, und weit und breit gibt es keine Überquerungsmöglichkeit. Also zurück und außenrum.

Mitten im Gewerbegebiet zwischen Continental, VGF und einem Toom-Baumarkt erreiche ich dann doch noch die Endstation. Auf dem Metro-Parkplatz treffe ich Markus Weber, der gerade für sein Architekturbüro in Wiesbaden einkauft.

Neben vielen Äpfeln befinden sich auch ein paar Ordner in seinem Einkaufswagen. Als ich ihn frage, was an diesem Metro-Geschäft ganz besonders schön sei, muss er nicht lang nachdenken: „Die große Käseauswahl ist einfach toll!“

Der Nachbarschaftstreff befindet sich im ehemaligen Planungsbüro der Nassauischen Sparkasse.
Der Nachbarschaftstreff befindet sich im ehemaligen Planungsbüro der Nassauischen Sparkasse. © ROLF OESER
Paula Tauber hat den Dartpfeil geworfen. Nun marschiert sie los.
Paula Tauber hat den Dartpfeil geworfen. Nun marschiert sie los. © Oeser

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