Es gab zum Teil aus dem betroffenen Stadtteil Wilhelmsburg heraus Ängste vor Gentrifizierung. Wilhelmsburg ist ja ein armer Stadtteil mit einem hohen Anteil migrantischer Bevölkerung. Wir sind dann sehr stark auf die Bevölkerung zugegangen und haben Einrichtungen geschaffen wie das Bildungszentrum „Tor zur Welt“, mit drei Schulen, einer Kita und einem freien Kindertheater. So konnten wir Ängste abbauen. Als wir dann die IBA weiter entwickelt haben über Wilhelmsburg hinaus und an die Stadtgrenzen gekommen sind, stießen wir dann zum Teil auch auf Widerstand von Anrainergemeinden.
Die Gegensätze zwischen der Kernstadt Frankfurt und den umliegenden Gemeinden wurzeln in Projekten wie einer Regionalstadt in den 70er Jahren, die damals schon Ängste vor Eingemeindung hervorriefen.
Das Misstrauen in der Rhein-Main-Region gegenüber der Kernstadt Frankfurt ist sicher ausgeprägt. Es hilft aber nichts, immer nur auf die Vergangenheit zu schauen. Die Probleme auf dem Wohnungsmarkt sind so gravierend, dass Kernstadt und Region sie nur zusammen lösen können. Man darf nicht immer nur auf die eigenen Grenzen schauen.
Sie haben schon unlängst bei einer Pressekonferenz darauf hingewiesen, dass die Wohnungsproblematik sich nur in die Region hinein verlagere, wenn der neue Stadtteil beidseits der A5 nicht gebaut würde.
Das ist richtig. In Frankfurt und in den Umlandgemeinden werden viel zu wenige Wohnungen gebaut. Im Flächennutzungsplan gibt es bei den Umlandgemeinden viele Baulandreserven, die aber nicht ausgeschöpft werden. Die Leute werden auf diese Weise gezwungen, sich in immer größeren Entfernungen von der Kernstadt niederzulassen. Das ist eine sehr kurzsichtige Politik. Denn der Flächenverbrauch steigt linear, je weiter man sich von der Kernstadt entfernt. In den Umlandgemeinden wird zum Teil nur mit 20 Prozent der Dichte von Frankfurt gebaut.
Warum verwirklichen die Umlandgemeinden die vorhandenen Baupläne nicht?
Das hat verschiedene Ursachen. Zum Teil gibt es richtige Restriktionen wie komplizierte Eigentumsverhältnisse. Viele kleine Gemeinden trauen sich nicht, vorhandene Instrumente des Baugesetzbuchs wie etwa die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme anzuwenden, die ja bis zu Enteignungen führen kann – auch wenn dies nur äußerst selten vorkommt. In kleinen Gemeinden kennt jeder jeden. Die Orte scheuen oft auch die Kosten für die Infrastruktur, die neue Wohnquartiere brauchen, also etwa Schulen und Kitas. Und es gibt auch Orte, die schlicht nicht wachsen wollen.
Was kann man den Menschen entgegenhalten, die sagen, wir wollen keinen Zuzug in unsere Gemeinde, unsere Region?
Der Bedarf wächst einfach durch den Zuzug, das ist nicht zu leugnen. Und auch in den wachstumskritischen Kommunen gibt es junge Familien, die eine Wohnung suchen. Noch einmal: Die Wohnungen werden dann weiter weg von der Kernstadt entstehen, die Leute werden aufs Auto angewiesen sein, der Verkehr wird wachsen mit allen negativen Folgen.
Die Situation zwischen der Kernstadt Frankfurt und der Region ist verfahren, der neue Stadtteil droht zu scheitern. Was kann man tun, um das Projekt noch zu retten?
Alle müssen jetzt über den eigenen Schatten springen. Sie müssen verstehen: Wir sind eine Region und so nehmen wir unsere gemeinsame Verantwortung wahr. Alle Verantwortlichen müssen sich jetzt an einen runden Tisch setzen. Es braucht ein Wechselspiel zwischen Freiwilligkeit und Anreizen von oben. In Nordrhein-Westfalen gibt es die „Regionale“, ein Strukturförderkonzept mit Unterstützung des Landes, bei dem dann auch Geld des Landes fließt für Projekte vor Ort. Die hessische Landesregierung wäre gut beraten, ein solches Instrument auch für das Rhein-Main-Gebiet zu prüfen.
Aber die hessische Landesregierung hält sich aus dem Konflikt heraus, wie der zuständige Minister Tarek Al-Wazir gerade wieder gesagt hat.
Das kann sie aber nicht. Die Landesregierung ist kein Unbeteiligter. Und heraushalten ist keine verantwortliche Raumordnungspolitik, wie sie das Raumordnungsgesetz vorsieht. Die Landesebene ist eine Verantwortungsebene in der Raumordnung und muss ihre Rolle wahrnehmen. Die Landesregierung muss aktiv werden.
Könnte eine Internationale Bauausstellung den neuen Stadtteil retten?
Nun, eine „Regionale“ nach dem Vorbild von Nordrhein-Westfalen ist ja im Grunde schon eine Art Bauausstellung. Das Entscheidende ist, dass das Land sich engagiert. Eine Bauausstellung kann es nicht geben ohne Unterstützung des Landes.
Sie haben bei der Internationalen Bauausstellung in Hamburg auch stark auf Kunst und Kultur gesetzt. Welche Rolle könnten Kunst und Kultur beim neuen Stadtteil in Frankfurt spielen?
Sie könnten eine Riesenrolle spielen. Künstlerinnen und Künstler denken nicht in administrativen Grenzen. Kulturfestivals auf regionaler Ebene in Rhein-Main wären ein wichtiges Instrument, um das regionale Bewusstsein zu stärken. Sie wären Teile einer Strategie des Zusammenraufens zwischen Kernstadt und Region. Man könnte sogar an eine Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas denken. Das würde zeigen: Nur zusammen sind Kernstadt und Region wirklich stark.
Interview: Claus-Jürgen Göpfert