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Wohnen wie Kolle an der A5

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Von: Stefan Behr

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Spatenstich für alternatives Hausprojekt in Griesheim

Triggerwarnung: In diesem Artikel geht es um ein Haus, das den Menschen gehören soll, die darin wohnen, an dem niemand etwas verdienen darf und das nicht als Spekulationsobjekt verwendet werden kann. Immobilienhändler, Makler und Freidemokraten könnten durch die Lektüre traumatisiert werden.

Ein Hauch von Volksfest weht am frühen Sonntagnachmittag durch eine Ecke von Griesheim, in der solch ein Hauch bislang eher selten ist. Auf einem Brachgelände in der Schöffenstraße, umgeben von eher tristen Wohnblocks, Kleingärten und der Autobahn 5, ist offizieller Spatenstich für ein Projekt, zu dem auch der Planungsdezernent und designierte Oberbürgermeister Mike Josef angereist ist und von dem er hofft, dass es als „Blaupase für kommende Wohnprojekte in der Stadt“ dienen werde. Mike Josef ist in der SPD, den Rest des Publikums kann man zumindest optisch getrost der linken Szene zuordnen.

Das scheint die eher bürgerlich anmutende Nachbarschaft aber nicht zu schrecken. Viele schauen mit freundlicher Neugier aus dem Fenster, andere verschenken Naschwerk an die angereisten Kinder, manche gesellen sich zum Spatenstich dazu.

Hier lässt die Projektgruppe „Kolle“ ein Haus für 42 Menschen bauen, die solidarisch zusammenleben wollen - „Kolle“ steht für „kollektiv leben“. Die Mieten sollen niedrig sein und bleiben. Wer wenig verdient, soll wenig zahlen, Besserverdiener ein bisschen mehr. Ein Verkauf des Hauses ist durch rechtliche Konstrukte so gut wie unmöglich.

Das fünfgeschossige Haus soll zwar relativ kleine Wohnungen, aber große Gemeinschaftsbereiche wie etwa eine Dachterrasse mit Außenküche und einenm Habitat für Wanderfalken haben. Im Erdgeschoss sollen zudem auch für Nichtbewohner offene Räume entstehen - etwa ein Raum für Veranstaltungen, Co-Working-Spaces und eine Werkstatt. Selbstbeverständlich alles so ökologisch und nachhaltig wie möglich.

Alex Wagner war mit dabei, als die Idee zu dem Projekt vor neun Jahren in einem Raum der DGB-Jugend geboren wurde. Als vor einigen Jahren dann der Standort feststand, war sein erster Gedanke: „Scheiße - direkt an der Autobahn.“ Aber für einen Berliner Architekten war das mehr Herausforderung als Hindernis - er entwarf ein Haus, das Funktionalität und Schallschutz mit - zumindest als Modell - durchaus ansprechender Architektur vereint.

Das gibt es nicht für lau. „Wir brauchen zur Autobahn hin sehr massive Wände und sündhaft teure Fenster“, hatte Fabian Jellonnek von „Kolle“ schon vor Wochen der FR erzählt. Gut eine Millionen Euro – ein Neuntel der Investitionssumme – wird alleine für den Schallschutz investiert. Das Geld haben die „Kolles“ aus eigenen Taschen und mit Hilfe von Direktkrediten aufgebracht. Mehrfach stand das Projekt auf der Kippe. Aber es kippte nicht. „Wir bauen trotz Krise“, steht fast trotzig auf einem zum Spatenstich aufgehängten Transparent.

Umso größer ist nun die Freude, dass es endlich mit dem Bau losgeht. Wenn die künftige Hausbewohnerschaft dem Spatenstichpublikum entspricht, dann kann sich Griesheim auf eine bunte, relativ junge Truppe freuen. Wenn auch zu bunt. „Ist Mike Josef jetzt auch bei ,Kolle‘?“, fragt eine Frau leicht verschreckt. Aber da kann Alex Wagner, der in Studienzeiten mit Josef den AStA unsicher machte, Entwarnung geben: „Der Mike“ ist nur als Stadtrat hier und hat auch noch kein Interesse an einer Bude gezeigt. Wäre für einen Oberbürgermeister auch ein bisschen nah an der Autobahn.

Entwarnung auch an die Nachbarn: Die „Kolles“ haben einen recht respektablen Musikgeschmack, eine Sieben-Tage-Dauerbeschallung mit den Bots ist nicht zu erwarten. Zum Spatenstich tönt „Our House“ von Madness und „We’re In This Together“ von Nine Inch Nails aus den Boxen. Und gerade, als man glaubt, hier entsünde vielleicht die beste aller Wohnwelten, folgt ausgerechnet „We Built This City“ von Starship. Aber irgendwas ist ja immer.

www.kolle-frankfurt.de

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