Wie Kreative Krisen meistern

Keine Ausstellungen, kaum Perspektiven: Corona und Krieg haben die Kunstwelt arg gebeutelt. Auch den 75 Jahre alten Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler Frankfurt
Eine Mondnacht-Landschaft, eine Graffiti-Licht-Wand, eine fliegende Feuermücke und weitere Beiträge waren geplant für die Luminale 2020. Ein halbes Dutzend Mitglieder des Berufsverbandes Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK) Frankfurt hatte Werke für die große Leucht-Biennale geschaffen, doch just als es losgehen sollte, funkte Corona dazwischen. Der erste Lockdown bahnte sich an, Großveranstaltungen wurden verboten, Schulen und Kitas dicht gemacht. Es war Freitag, der 13. März.
„Da ahnten wir schon, dass einiges auf uns zukommen würde“, erinnert sich Viktor Naimark an diesen Tag vor fast exakt drei Jahren. Der Architekt und Künstler ist einer der drei Vorsitzenden des BBK Frankfurt und hatte damals eine mystische Lichtinstallation gebaut für die Luminale, die „sehr wichtig war für uns als Verband“. Die Beteiligten hätten sich lange vorbereitet, viel Publikum wurde erwartet. Alles umsonst. Und das war erst der Anfang von „dramatischen Zeiten“ für die Kunst und Kultur. Wie überhaupt für die ganze Welt.
Museen und Galerien mussten schließen, Ausstellungen, Performances, Kurse und Workshops wurden abgesagt, die Menschen hatten andere Sorgen, als sich Kunst anzuschauen, geschweige denn zu kaufen. Kurzum: Wer kein zweites Standbein hatte, „hatte keine Möglichkeiten, Geld zu verdienen“, sagt Naimark. Das habe die „Existenzängste, die viele Künstlerinnen und Künstler ja ohnehin begleiten“, verstärkt, für manche der mehr als 350 Mitglieder das BBK Frankfurt so sehr, dass sie sich Zusatzjobs suchten, ganz den Beruf wechselten, in Lethargie und Depression verfielen. Kunst wurde plötzlich abgekanzelt als „nicht systemrelevant“.
Auch als die Lockdowns vorbei waren, habe sich die Lage kaum entspannt. Maske, Abstand, Hygieneregeln, reduzierte Gästezahl: „Die ständig wechselnden Verordnungen und Maßnahmen haben es uns sehr schwer gemacht, irgendetwas zu organisieren und zu planen.“ Der seit 1922 veranstaltete Künstlerweihnachtsmarkt in den Römerhallen, alljährlich eine wichtige Einnahmequelle für viele BBK-Künstler:innen, fiel 2020 komplett aus, abgesehen von der Nachkriegszeit zum ersten Mal in seiner 100-jährigen Geschichte. 2021 wurde er auf einen Bruchteil seiner normalen Größe beschränkt, erst im Jubiläumsjahr 2022 näherte er sich wieder dem Vor-Corona-Niveau.
Ausgerechnet mitten in der Pandemie jährte sich die Gründung des BBK Frankfurt zum 75. Mal. Größere Feierlichkeiten waren unmöglich, im September 2021 zelebrierte der Verband sein Dreivierteljahrhundert immerhin im kleineren Kreis. Ein umfangreicher Katalog mit dem Titel „75 Jahre BBK Frankfurt“ wurde gestaltet, der, eingebunden in leuchtendes Lagunenblau, rund 150 Künstlerinnen und Künstler auf jeweils einer Doppelseite vorstellt. Doch auch hier bremste das Virus den vorgesehenen Lauf der Dinge. „Die Produktion des Katalogs hat sich wegen Corona verzögert“, sagt BBK-Sprecher Markus Elsner. Statt pünktlich zum Jubiläum im Juni 2021 erschien er erst im Herbst 2022.
„Kunst lebt vom Austausch und von der Begegnung.“ Als „verheerend“ bezeichnet der Fotograf, der unter anderem mit seinen teils großformatigen Polaroidarbeiten eine eigene Farb- und Bildsprache kreiert hat, daher die vergangenen drei Jahre. „Online-Ausstellungen sind kein adäquater Ersatz für das reale Erlebnis.“ Und als man Anfang 2022 gerade dachte, „es wird wieder besser, kam dieser barbarische Krieg in der Ukraine“. Der habe sich nicht nur auf die Energiepreise und Lebenshaltungskosten ausgewirkt, auch Papier und Arbeitsmaterial seien teurer geworden. Ein weiterer Grund, weshalb der BBK-Katalog anderthalb Jahre verspätet gedruckt und veröffentlicht wurde.
Obwohl sich die Situation allmählich bessere, könne von Normalität noch lange keine Rede sein. Ausstellungen würden zwar wieder zahlreicher, die Gäste aber hielten sich zurück. Er selbst sowie andere Kolleg:innen kämen derzeit „quantitativ auf etwa die Hälfte des Publikums und damit auch auf deutlich weniger Kaufinteressenten und Kunstverkäufe“, sagt Elsner. Die Verunsicherung sei nach wie vor groß. „Wir sind noch nicht über den Berg.“
Nicht alle Kunstschaffenden leiden derart unter den Folgen von Pandemie und Krieg. Einzelne konnten sich wirtschaftlich sogar weiterentwickeln. Chris Kircher zum Beispiel. „Da bin ich aber eine riesige Ausnahme“, betont sie gleich zu Beginn des Gesprächs. „Für mich hat die Pandemie tatsächlich Entspannung gebracht.“ Was zum einen an der Art ihrer Kunst liegen dürfte, vor allem aber daran, dass sie bereits vor Corona sehr präsent und aktiv im Internet war. Die studierte Biologin, die als Botanikerin und feministische Selbstverteidigungstrainerin arbeitete, bevor sie sich nach Abendkursen an der Frankfurter Städelschule ganz der Kunst zuwandte, fertigt neben Gemälden vor allem Skulpturen aus Stahlschrott, hauptsächlich Vögel und Fische.
75 Jahre BBk Frankfurt
Die existentielle Not vieler Kunstschaffender und der Wunsch nach einem Neuanfang auf demokratischer Grundlage nach der NS-Diktatur führten im Juni 1946 zur Gründung des Berufsverbands Bildender Künstler (BBK) Frankfurt. Initiatoren waren die Maler Wilhelm Kesting und Fritz Fischer sowie der Bildhauer Oskar Ufert.
Der BBK Frankfurt schloss sich 1960 mit dem konkurrierenden, gewerkschaftlich organisierten Schutzverband Bildender Künstler (SBK) zusammen und richtete sich in Räumen innerhalb des Karmeliterklosters ein. Nach einigen Umzügen aus unterschiedlichen Gründen ist die BBK-Galerie heute in der Hanauer Landstraße 89.
Mit mehr als 350 Mitgliedern aus dem ganzen Rhein-Main-Gebiet ist der BBK Frankfurt der größte Regionalverband in Hessen. Mehr als 30 Nationen und sämtliche Sparten der Bildenden Kunst sind vertreten: Malerei, Bildhauerei, Fotografie, Druckgrafik, Videokunst, Performance, Keramik und Schmuck.
Der Katalog „75 Jahre BBK Frankfurt“ , der rund 150 Künstler:innen vorstellt, ist wegen der Corona-Pandemie und dem Uktaine-Krieg mit einem Jahr Verspätung im Herbst 2021 erschienen. Er kostet 25 Euro und kann per E-Mail an post@bbk-franfurt.de bestellt werden.
Die Ausstellung „Druck Kunst“ zeigt bis Sonntag, 26. März, Holzschnitte, Linolschnitte, Lithographien, Materialdrucke, Monotypien, Radierungen und Siebdrucke von 25 Künstler:innen in der BBK-Galerie. Anlass ist der „Tag der Druckkunst“ am Mittwoch, 15. März. Öffnungszeiten sind Samstag und Sonntag von 14 bis 18 Uhr und Dienstag bis Freitag von17 bis 20 Uhr. myk
www.bbk-frankfurt.de
www.chris-kircher.de
www.viktor-naimark.com
Auf ihrer Homepage können sich Gäste munter durch ihr illustres Tier- und Figurenkabinett klicken – und sämtliche Werke bestellen und sich zusenden lassen. Zwar hätten heute viele Künstlerinnen und Künstler einen Online-Auftritt, sagt Chris Kircher. Der Online-Verkauf hingegen sei in der Kunstszene lange nicht besonders angesehen gewesen. „Kunst macht man schließlich aus Überzeugung und stellt sie nicht aus kommerziellem Interesse ins Internet.“ Corona hat in mancherlei Hinsicht ein Umdenken erfordert.
Als sich durch die Lockdowns und Kontaktbeschränkungen das kulturelle Leben fast nur noch virtuell abspielte, war Chris Kircher mit ihrem Online-Shop, den sie schon vor der Pandemie aufgebaut hatte, bestens aufgestellt. „Für geschweißte Vögel gibt es eine internationale Fangemeinde.“ Viele Interessent:innen könnten sowieso nicht persönlich zu ihr kommen. Statt viel Arbeit in Ausstellungen zu stecken, sei es für sie wesentlich entspannter, ihre Skulpturen online zu verkaufen.
Was allerdings nicht für jede Kunst funktioniere, räumt sie ein. „Es reicht nicht aus, einfach ein paar Bilder in den virtuellen Raum zu stellen.“ Malerei etwa ließe sich im Internet „eher schlecht transportieren“. Die Farben, das Format, die Wirkung: Wer beabsichtige, ein Gemälde zu kaufen, wolle es live und in echt an einer Wand sehen. Und nicht bloß auf dem Bildschirm.
Alles in allem habe sie es „mehreren Faktoren und einer Menge Glück“ zu verdanken, dass sie gut durch die Pandemie gekommen sei, sagt Chris Kircher. Viele Kunstschaffende seien anfangs in ein Loch gefallen. „Da muss man sich erstmal wieder rausziehen.“ Zwar habe es staatliche Hilfen gegeben, aber es dauerte, bis diese angelaufen seien. „Kunst ist in einer Krise immer das, was hinten anstehen muss, weil sie als Luxusprodukt wahrgenommen wird und nicht als etwas, das eine Gesellschaft prägt.“
Ähnlich äußert sich Viktor Naimark: „Wir leben in einem kapitalistischen System: Wenn man etwas macht, das nicht gebraucht wird, darf man dafür keinen Lohn erwarten.“ Gleichzeitig bekräftigt der BBK-Vorsitzende, dass die Stadt Frankfurt den Verband immer großzügig unterstützt habe, auch für die Hilfspakete, Initiativen und Stipendien von Land und Bund sei er dankbar. „Es war vielleicht nicht viel Geld, aber es sind dadurch viele interessante Ideen und Projekte entstanden“, versucht Naimark dem Virus auch etwas Positives abzugewinnen. „Künstler versuchen ja immer, einen Weg zu finden.“ Not macht eben erfinderisch, und Langeweile in der langen Weile kreativ. So seien etwa die Online-Präsentationen für die BBK-Homepage entstanden, in der die Mitglieder sich und ihre Werke vorstellen. Oder die Schaufensterausstellungen in der BBK-Galerie.
Er selbst hat sich künstlerisch mit der „Stay-Home“-Bewegung zu Beginn von Corona auseinandergesetzt, mit einer Fotoinstallation, in der Vögel eingesperrt in goldenen Käfigen hocken. Zudem hat er mit der Kunstjournalistin Edda Rössler ein Buch über „Galerien in Frankfurt“ verfasst, das bislang aber nur elektronisch vorliegt.
Nichtdestotrotz: „Es war schwierig, es ist schwierig, es wird schwierig bleiben“, resümiert er, auch mit Blick auf den Ukraine-Krieg. Er selbst zahle inzwischen für die Nebenkosten seines Ateliers 80 Prozent mehr. Die Kriegsfolgen machen sich auch anderweitig bemerkbar: Im BBK seien Künstler:innen aus mehr als 30 Nationen organisiert, auch aus der Ukraine und aus Russland. Einige Geflüchtete seien als Mitglieder neu dazugekommen. „Da gibt es keine Konflikte oder Anfeindungen, sondern eine große Hilfsbereitschaft und Solidarität“, sagt Naimark, der in St. Petersburg geboren wurde und seit 1990 in Frankfurt lebt. Ob Krise oder nicht: Für die Zukunft wünscht er sich, „dass der Wert der Kunst für die Gesellschaft mehr anerkannt wird“.

