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Widerständige Lebensläufe

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Von: Marie-Sophie Adeoso

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Architektin und Widerstandskämpferin Margarete Schütte-Lihotzky in Frankfurt.
Architektin und Widerstandskämpferin Margarete Schütte-Lihotzky in Frankfurt. © Hermann Collischonn/Institut für Stadtgeschichte

Ein neuer Sammelband präsentiert die Biografien Frankfurter Frauen aus vier Jahrhunderten.

Sie hat nur knapp fünf Jahre in Frankfurt gelebt. Trotzdem ist der Name Margarete Schütte-Lihotzky untrennbar verbunden mit der Stadt, in der die 1897 geborene Wienerin zwischen 1925 und 1930 lebte und wirkte. Die erste diplomierte Architektin Österreichs führte einst den Frankfurter Architekten Ernst May durch ihre Stadt, der sich beeindruckt zeigte von ihren Arbeiten zur rationalen Küchenplanung in Wiener Arbeitersiedlungen. May holte Schütte-Lihotzky nach Frankfurt, wo sie für seine Siedlungen die als Vorbild moderner Einbauküchen dienende „Frankfurter Küche“ entwarf. 

Dass sie auf diese Arbeit Zeit ihres fast 103-jährigen Lebens reduziert wurde, habe Schütte-Lihotzky geärgert, schreibt Jutta Zwilling in ihrem Aufsatz über die Architektin, der nun in einem neuen Sammelband der Gesellschaft für Frankfurter Geschichte und des Instituts für Stadtgeschichte erscheint. So habe Schütte-Lihotzky, die wegen ihrer politischen Tätigkeit als antifaschistische Widerstandskämpferin in der NS-Zeit traumatische Jahre in Haft verbrachte und als bekennende Kommunistin auch Jahre nach dem Krieg keine öffentlichen Aufträge als Architektin mehr erhielt, kurz vor ihrem Tod im Jahr 2000 gesagt: „Wenn ich gewusst hätte, dass alle immer nur davon reden, hätte ich diese verdammte Küche nie gebaut.“

Im neuen Band „Frankfurter Frauengeschichte(n)“ wird das Leben der Architektin und politischen Aktivistin umfassender gewürdigt. So wie auch die Lebensläufe weiterer ganz unterschiedlicher Frankfurter Frauen aus vier Jahrhunderten. Die 14 Aufsätze basieren großteils auf einer gleichnamigen Vortragsreihe, die das Institut für Stadtgeschichte und die Gesellschaft für Frankfurter Geschichte in den Jahren 2011 bis 2013 ausgerichtet hatten. 

„Hexen“, Künstlerinnen, Frauenrechtlerinnen

„Wenige deutsche Städte können auf Anhieb mit so vielen bekannten Frauen aufwarten wie Frankfurt“, sagt Evelyn Brockhoff, Direktorin des Instituts für Stadtgeschichte, die das Buch gemeinsam mit der früheren Kuratorin des Historischen Museums, Ursula Kern, herausgibt. Der Band versammele Lebensläufe von Hausfrauen, Müttern, Künstlerinnen, Mäzeninnen, Schriftstellerinnen, Reisenden, Frauenrechtlerinnen und Sozialreformerinnen und reiche von der Zeit der Hexenverfolgung bis ins 20. Jahrhundert. 

„In diesem Band begegnen Ihnen einige gute Bekannte, aber auch Persönlichkeiten, die sich bislang eher am Rande der Geschichtsschreibung bewegt haben“, ergänzte Herausgeberin Kern, die selbst einen Beitrag verfasst hat über die Patriotin Clothilde Koch-Gontard, die zur Zeit der deutschen Nationalversammlung einen politischen Salon in der Stadt unterhielt, sowie über deren Tante, die Schriftstellerin Maria Belli-Gontard.

Gewürdigt werden Berühmtheiten wie etwa die Künstlerin und Naturforscherin Maria Sybilla Merian, deren Blumenbilder aktuell auch im Städel zu bewundern sind, politische Vorreiterinnen wie die erste Ministerin der Bundesrepublik, Elisabeth Schwarzhaupt, oder schillernde Figuren des Frankfurter Bürgertums wie die Mäzenin Lilly von Schnitzler, die in den 20er und 30er Jahren die intellektuelle Elite der Stadt in ihrem Salon im Westend empfing. Von Schnitzler sei schon „für die erste Reihe geboren“, schreibt Autor Andreas Hansert über das ambivalente Leben von Schnitzlers, deren Mann Georg Vorstandsmitglied der I. G. Farben war und die auch Hitler einige Male persönlich begegnete, andererseits aber eine bedeutende Förderin des Malers Max Beckmann war, der sie mehrfach porträtierte und dessen von den Nazis als „entartete Kunst“ verfemte Bilder sie beim Besuch von Parteimitgliedern hinter Vorhängen verbarg.

Wahre Entdeckungen sind aber insbesondere die Texte über unbekanntere Frankfurterinnen. So etwa der Beitrag Udo Steins über die Bürgerstochter Maria Kunkel, die im 18. Jahrhundert in einem aufsehenerregenden Prozess ihre Scheidung durchfocht und so ein damals für Frauen seltenes Selbstbestimmungsrecht erstritt. Oder Marianne Rodensteins Darstellung des Frankfurter Sonderwegs in der Zeit des Hexenwahns, da am Main keine Frauen als „Hexen“ verbrannt, wohl aber gefoltert wurden. Rodenstein zitiert aus Verhörprotokollen von als Hexen angeklagten Frauen und belegt so eindrücklich deren Widerständigkeit. 

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