„Wellnessurlaub“ für Schlange und Schwein

Senckenberg restauriert seine weltberühmte Anakonda und ihr weniger berühmtes Opfer. Sie sollen auch eine neue Umgebung bekommen.
Die Anakonda dürfte eine der beliebtesten Bewohnerinnen des Senckenberg-Naturmuseums sein. Allerdings nicht bei dem bedauernswerten Wasserschwein, das seit fast 100 Jahren im Maul der Schlange steckt. Jetzt gehen beide in den „Wellnessurlaub“, wie die Senckenberg-Gesellschaft mitteilt.
An diesem Mittwoch verschwinden Würgeschlange und Säugetier hinter den Museumskulissen. In der Zoologischen Präparation gilt es, die Szene fachgerecht zu restaurieren. Im April wird sie, falls das Reptil nicht auch noch sämtliche Präparatorinnen und Präparatoren verschlingt, an seinen alten Platz zurückkehren – aber in eine neugestaltete Umgebung: Die Vitrinen drumherum sollen Fragestellungen aufgreifen wie: Sind Dinosaurier Verwandte heutiger Reptilien? Welche Schlangen gibt es in Deutschland? Und wie unterscheiden sich Gift- von Würgeschlangen?
Viele Menschen denken, Anakonda und Wasserschwein seien einst gemeinsam verendet – verschluckte sich die Schlange an ihrer Beute? – und anschließend ins Museum gelegt worden. Nicht ganz. Museumsdirektorin Brigitte Franzen sagt, wie es wirklich war: „Das Tier wurde 1924 in Brasilien von einem Trophäenjäger und Sammler erlegt. Senckenberg erwarb das Schlangenleder 1925 von einem damaligen Naturalien- und Lehrmittelhändler in Hamburg für 100 Mark, das sind auf heutige Zeiten umgerechnet etwa 430 Euro.“ Ein Schnäppchen. Den großen Schnapp der Boaartigen machte laut Archivunterlagen wahrscheinlich der Präparator Christian Kopp daraus, ein Spezialist für diese Art Dermoplastiken.
Begnadeter Körper
Daheim in Südamerika steht die Anakonda an der Spitze der Nahrungskette „und frisst alles, was sie als lauernde Jägerin überraschen und mit ihrer immensen Körperkraft und -masse überwältigen kann“, erklärt Franzen. Pech für das Wasserschwein, seines Zeichens weltgrößtes Nagetier, wenn es in der Nähe ist. Dann zieht das Reptil „seinen flexiblen Körper mithilfe seiner sehr beweglichen Kiefer regelrecht über die Beute“. Begnadeter Körper. Das Objekt werfe existentielle Fragen auf und rege die Fantasie an, schildert Brigitte Franzen, etwa darüber, „was das Reptil noch alles verschlingen könnte“.
Hoffentlich nicht Udo Becker. Der Senckenberg-Präparator wird es in den Präparationswerkstätten des Museums mit dem ungleichen Duo aufnehmen. Erst macht er eine Bestandsaufnahme, dann behebt er Schäden, entfernt Staub und bessert die Kolorierung aus. Der Charakter des Objekts soll auf jeden Fall erhalten bleiben – „schließlich ist die Schlange ein Unikat mit Ikonenstatus und ein Highlight unseres Museums“, sagt Franzen.
Für die „anakondafreie Zeit“ kündigt das Museum einen mitnehmbaren „Starschnitt“ mit Informationen über das Reptil an. Wie es mit der Restaurierung vorangeht, ist zu verfolgen unter www.senckenberg.de/anakonda – da soll man sogar mit der Schlange in den Dialog treten und sich nach ihrem Zustand erkundigen können. Und das Tier in ihrem Maul? Interessiert natürlich wieder kein Schwein.