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Wegen eines Kusses getötet

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Von: Stefan Behr

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Fotos, Kerzen und Blumen erinnerten 2015 am Unfallort in der Kapellenstraße in Kriftel an das Opfer Silke T.. Knapp
Fotos, Kerzen und Blumen erinnerten 2015 am Unfallort in der Kapellenstraße in Kriftel an das Opfer Silke T.. Knapp © Knapp

Erneuter Prozess um eine Tat, die 2015 nicht nur die Menschen am Tatort Kriftel schockierte.

Die Anklage wegen Totschlags, die am Mittwochmorgen vor dem Landgericht verlesen wird, ist alt: Sie wurde dort bereits im Dezember 2016 vorgetragen. In der Nacht zum 6. September 2015 tötet Hendrik K. die 41 Jahre alte Silke T. – weil er sich ärgert, dass sie ihren Verlobten auf einem Zebrastreifen küsst und die Fahrbahn nicht freigibt. Er fährt auf Tuchfühlung heran, die beiden küssen sich weiter.

Dann gibt K. in seinem 275-PS-Mercedes Gas. Der Mann wird zur Seite geschleudert, die Frau landet auf der Motorhaube, K. fährt in den Kreisel, sie kann sich nicht halten, stürzt auf die Straße, wird überrollt und unter dem Radkasten eingeklemmt. Obwohl seine beiden Mitfahrer ihn anbrüllen, er solle sofort anhalten, fährt K. mit der eingeklemmten Frau noch mehrere Hundert Meter. Die 41 Jahre alte Silke T. überlebt die Tortur nicht. Alleine durch die Reibungshitze erleidet sie diverse Verbrennungen.

Im Februar 2018 verurteilt das Landgericht K. entgegen der ursprünglich auf Totschlag lautenden Anklage lediglich wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von fünfeinhalb Jahren. Staatsanwaltschaft und Nebenklage, aber auch der Angeklagte legen Revision ein, der Bundesgerichtshof gibt im April 2019 zumindest der der Klägerseite statt und verweist den Fall zurück ans Landgericht.

Dort aber liegt er erst mal auf Eis. Zweimal werden Verhandlungen angesetzt, zweimal platzt der Prozess bereits im Voraus. Einmal ist die Seuche der Grund, einmal die Arbeitsüberlastung. Die Kammer muss sich vorrangig um Haftsachen kümmern. Und um eine Haftsache handelt es sich hier nicht: Hendrik K. saß bis heute noch keinen einzigen Tag im Gefängnis.

Das ist unbefriedigend. Möglicherweise auch für den heute 33 Jahre alten Angeklagten, der seit Jahren in Ungewissheit lebt. Ganz sicher aber für die Hinterbliebenen und Freunde von Silke K., die auch am Mittwoch in großer Zahl im Gerichtssaal sitzen.

Zu ihrer Beerdigung waren damals gut 600 Trauernde erschienen. Silke T. war in Kriftel eine Institution – ob als Trainerin des örtlichen Handballclubs oder als leitende Angestellte einer Bankfiliale. Als der Vorsitzende Richter im ersten Prozess einen Zeugen fragte, was für ein Mensch Silke T. gewesen sei, rief einer der Zuschauer: „Ein Engel!“

Und auch heute noch sieht die überwältigende Mehrheit des Publikums in Hendrik K. einen Teufel. Noch immer schlägt ihm Hass entgegen. Wie im ersten Prozess versucht er, sich so gut es geht zu verstecken – erst mit einem Aktenordner vor dem Pressefotografen, später vor allem mit einer Schutzmaske, die er als Einziger im Gerichtssaal trägt.

Im ersten Prozess hatte K., der zur Tatzeit bis zu 1,2 Promille Alkohol im Blut hatte und wie seine Opfer auf dem Heimweg von einem Hoffest war, ausgesagt, er habe „den schlimmsten Fehler meines Lebens begangen“. Er habe das Paar nicht absichtlich überfahren – was eindeutig eine Lüge war. Und er habe nicht bemerkt, dass die Frau unter dem Auto eingeklemmt worden war. Das könnte sogar wahr sein, denn dies hatten auch seine gegen die Unfallflucht protestierenden Mitfahrer, die danach den Kontakt zu K. abgebrochen hatten, nicht bemerkt. Als K. damals den Rettungsdienst rief, hatte er gelogen, ihm sei „eine Person vor das Auto gelaufen“.

Am Mittwoch passierte vor der Großen Strafkammer nicht viel mehr als die Verlesung der Anklage. Aber bereits am morgigen Freitag will K. sich einlassen, ebenso wird eine Aussage des ehemaligen Verlobten von Silke T. erwartet, der in dem Prozess als Nebenkläger auftritt. Bislang sind für den Prozess zehn Verhandlungstage bis Anfang Juni angesetzt.

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