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Wasserstoff-Technik zum Anfassen

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Von: Alexander Kraft

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Noch läuft der Prototyp von Michael Röser, Stefan Dietrich und Georg Derscheid (v. l.) nur auf der Rolle.
Noch läuft der Prototyp von Michael Röser, Stefan Dietrich und Georg Derscheid (v. l.) nur auf der Rolle. © martin Weis

Studenten vom Rüsselsheimer RheinMain-Campus entwickeln einen neuartigen Antrieb fürs Fahrrad: Es wird mit Wasserstoff betreiben und schafft rund doppelt so viele Kilometer mit einer "Tankfüllung" wie die mit Akku befeuerten Elektroräder.

Der Fortschritt in Sachen alternative Mobilität kommt auf zwei Rädern daher. Während die Ingenieure bei den Elektroautos noch nach der zündenden Idee suchen, hat eine gigantische Welle mit E-Bikes den Markt überrollt. Jetzt schickt sich der nächste Antrieb ohne klassischen Verbrennungsmotor an, den Vierrad-Kutschen die Schau zu stehlen: Junge Ingenieure der Hochschule RheinMain haben ein mit Wasserstoff betriebenes Fahrrad entwickelt. Der Witz: Es schafft rund doppelt so viele Kilometer mit einer „Tankfüllung“ wie die boomende Konkurrenz der mit Akku befeuerten Elektroräder. Bei denen ist eine der Hauptklagen der Nutzer, dass ihnen nach rund 60 Kilometern der „Saft“ ausgeht.

Dabei ist das 26 Kilo schwere Gerät, das im Wasserstofflabor der Rüsselsheimer steht, noch der etwas sperrige Prototyp. Dennoch: „2013 soll es zumindest in einer kleinen Serie in den Markt gehen“, erzählt Projektleiter Michael Röser stolz. Dass sich der wissenschaftliche Mitarbeiter aus dem Studienbereich Physik da so sicher ist, liegt unter anderem auch an dem guten Draht, den seine Chefin, Professor Birgit Scheppat, zur Industrie hat. In dem Falle zum Radhersteller Sustamo. Der ist auf dem Markt mit normalen E-Bikes bereits erfolgreich und bringt außer der Rahmentechnologie auch das Know-how für den Elektromotor mit.

Für den Laien sieht die Konstruktion zwischen den Rahmenrohren erst einmal ziemlich gewöhnungsbedürftig aus. Auch die Technik – unter anderem ein Gastank unter dem Hintern – sorgt für Stirnrunzeln. Doch wenn Röser sowie die Bachelorstudenten Stefan Dietrich und Georg Derscheid mit dem Erklären anfangen, dann lösen sich Bedenken fast so schnell auf wie Wasserstoff in der Luft. Dietrich und Derscheid haben mit ihren Arbeiten den Grundstein für das Bike mit Brennstoffzelle gelegt.

Der 23-jährige Dietrich etwa hat die Machbarkeit eines Wasserstoffflitzers untersucht. Das Problem, so erläutert er, ist die fehlende Dynamik der Zelle, in der Wasserstoff „verbrannt“ wird. Um der trägen Brennstoffzelle Dampf zu machen, haben die Rüsselsheimer nun einen Mini-Akku in ihr System eingebaut. Der stellt den notwendigen Strom fürs flotte Durchstarten zur Verfügung.

Ist das Zweirad erst mal auf Touren, kann der Akku sofort wieder zurückgeladen werden. Kommilitone Derscheid hat in seiner Arbeit nachgewiesen, dass sich die verschiedenen Komponenten an ein Rad schrauben lassen und dann auch reibungslos zusammenarbeiten. Denn außer Tank, Brennstoffzelle und Akku sowie einer Steuereinheit braucht es noch einen Luftkompressor, ein Kühlsystem und eine sichere Konstruktion, damit der Tank befüllt oder ausgetauscht werden kann.

Ganz schön viel, was da zwischen die Beine des Radlers soll. Aber es geht – und zwar erheblich eleganter als beim Erstling. „Das Ganze muss jetzt optimiert werden“, erläutert Projektleiter Röser. Das heißt erstens: kleinere Bauteile Platz sparend anbringen. Zum Zweiten lässt sich an der Technik noch feilen. Ein schwieriges Kapitel ist die Kühlung. Von der Variante mit Luft sind die Ingenieure abgekommen. An den heißen Kühlrippen zwischen den Knien hätte man sich unweigerlich Brandblasen geholt. Jetzt wird die Zelle mit Wasser auf 36 Grad runtergepegelt – für beste Wirkungsweise wären 55 optimal. Und schließlich sehen die Entwickler noch reichlich Potenzial, um ihr Rad kostengünstiger herzustellen.

Über den Preis, der für die Serienstücke ab 2013 zu zahlen sein wird, schweigen sich die Rüsselsheimer zwar noch aus. Den Optimismus schöpft Scheppat aber aus den Entwicklungssprüngen, die der Wasserstofftechnik derzeit gelingen. Bundesweit in diversen Gremien im Bereich Brennstoffzellentechnologie gut vernetzt, weiß die Professorin, was da alles in nächster Zeit kommt: „Wenn die Bauteile erst gängiger werden, sinken auch die Preise.“ Der Minitank am Prototypen etwa kostet 1000 Euro. Neuentwicklungen könnten demnächst bei 400 liegen. Je mehr „Kleinanwendungen“ es gibt, desto schneller purzeln die Preise. Ein paar kann man sich sogar schon auf dem RheinMain-Campus anschauen: den Strandbuggy etwa oder den Großrasenmäher.

Das, was das Herzstück, den Wasserstoffantrieb, gegenüber Lithium-Ionen-Akkus auszeichnet, ist außer der Reichweite das unkomplizierte Befüllen. „Wir haben uns für ein Kartuschensystem entschieden“, sagt Scheppat, ähnlich wie man es vom Campingkocher kennt. Statt über Nacht lange zu laden, dauert das schlichte Auswechseln zwei Minuten. Das Schwerste an dem druckstabilen Tank ist übrigens sein Eigengewicht: Er bringt 1,1 Kilo auf die Waage – hinein kommen 25 Gramm Wasserstoff. Der ist im Übrigen „erheblich unkritischer als Benzin“, so Scheppat. Das gefährliche Knallgas, an das der Laie schnell denkt, kann gar nicht entstehen: „Wenn, dann entweicht der Wasserstoff einfach in die Luft.“ Ein weiterer Pluspunkt für Technikfreaks: Mit einer Photovoltaikanlage auf dem Dach können sie den sogar selbst herstellen.

So war es auch kein Wunder, dass sie bei der Präsentation des Rades auf der Hannover-Messe großen Anklang fanden. Während Wasserstofftechnik sonst meist „nach einem großen grauen Kasten aussieht, in dem irgend etwas passiert“, wie die Professorin leicht ironisch erzählt, sei ihr Rad ein Stück Technik zum Anfassen.

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